Als Schikane empfinden Hertie-Mitarbeiter die von Dawnay Day erzwungene Verlegung des Firmensitzes von Kettwig nach Gladbeck. Obwohl der britische Investor offenbar keinen Nachmieter für die Essener Immobilie hat, muss Hertie für nur noch wenige Wochen ein neues Domizil beziehen.
Es klingt wie eine Nachricht aus Absurdistan, für die leidgeprüfte Hertie-Belegschaft aber ist es bittere Realität: Nur wenige Wochen vor der Abwicklung der Konzerns muss dessen Zentrale von Kettwig nach Gladbeck umziehen. „Offenbar wünscht der Eigentümer Dawnay Day eine neue Nutzung des Essener Gebäudes, und so ziehen wir zügig um”, erklärt Hertie-Sprecher Wolfgang Weber-Thedy lapidar.
"Wir waren immer eine Familie"
Was zügig in diesem Fall bedeutet, erklärt am Donnerstag eine gewissenhafte Mitarbeiterin, die ihren Büro-Anschluss während des Umzugs auf ihr Handy umgeleitet hat. „Wir haben am Dienstag erfahren, dass wir in die alte, zuletzt als Abstellfläche genutzte Zentrale in Gladbeck zurückziehen. Am Mittwoch haben wir gepackt, heute wurde geräumt.” Am Montag werde sie sich den Kurzzeit-Arbeitsplatz in Gladbeck ansehen, Dienstag spätestens wolle sie regulär arbeiten. Sie identifiziere sich halt mit Hertie: „Wir waren hier immer eine Familie”. Als „üble Machenschaft” von Dawnay Day empfinde sie dagegen den Umzugsbeschluss, den die Kollegen dennoch „fast amüsiert” aufgenommen hätten.
Man lasse sich von Dawnay Day eben nicht den Schneid abkaufen, sagt Bernhard Wagner. Der ist Bereichsleiter Organisation und hat sich bislang zu Firmen-Interna nicht geäußert. Nun hat sich seine Geduld erschöpft, Wagner redet. „Bis Montagabend hat der Insolvenzverwalter mit Dawnay Day verhandelt, um den Umzug abzuwenden, aber die waren kein Stück kompromissbereit. Sie drohten, Freitag den Gerichtsvollzieher zu schicken. Das sind frühzeitliche Kapitalisten, die mit Geld spielen und sich nicht um die Menschen kümmern.” Und nichtmal das Spiel mit dem Geld beherrsche der britische Investor: Schließlich verursache der Umzug unnötige Kosten, und dass es schon Nachmieter für die Kettwiger Immobilie gebe, bezweifelt Wagner.
"Juristisch fragwürdig und moralisch verwerflich"
Als „wirtschaftlich unsinnig, juristisch fragwürdig und moralisch verwerflich”, bezeichnen Kenner der Branche den Zwangsumzug denn auch, ähnliches habe man in anderen Insolvenzverfahren noch nicht erlebt. Eine letzte Schikane eines Investors sei das, der kein Interesse am Erfolg von Hertie gezeigt habe.
Diesen Eindruck teilt auch Wagner: „Wenn die unseren Fähigkeiten vertraut hätten, wäre Hertie ein Erfolg geworden.” Selbst angesichts der bevorstehenden Arbeitslosigkeit zeige die Belegschaft enorme Flexibilität und Leistungsfähigkeit, „wenn sie eine Verwaltungsfläche von 8000 qm in nur drei Tagen umzieht”. Tatsächlich halfen einige der Mitarbeiter aus der Hertie-Zentrale nach der Räumung ihrer Büros noch in den Filialen aus, wo derzeit ein gigantischer Räumungsverkauf tobt. „Das ist zwar eine Ausnahmesituation, aber ein Drittel der jetzigen Umsatzzuwächse hätte schon ereicht, um zu überleben”, sagt Wagner. So jedoch werde wohl Mitte August die letzte Filiale dicht machen.