Essen. Sie sind wütend: Essener Vivawest-Mieter leben seit Monaten auf einer Großbaustelle. Sie berichten von Stillstand, Einbrüchen und Ratten.
Seit sechs Monaten wohnen sie hinter Baugerüsten, sie leben mit der großen Baustelle und ihrer Wut: Die Mieter der Frillendorfer Vivawest-Wohnsiedlung beschreiben fassungslos die Zustände rund um die Straße Auf‘m Uhlenbroich, wo zahllose Container, Schutt, Steine, Bretter, Eimer und Anhänger vor ihren Häusern stehen. Die Arbeiten sollten längst abgeschlossen sein: „Stattdessen leben wir wie Affen im Käfig.“
Im November vergangenen Jahres sollte die Sanierungsmaßnahme abgeschlossen sein, sagt eine Mieterin verzweifelt. Doch seien die Arbeiten bislang an keinem der Häuser mit den ungeraden Nummern 1 bis 21 fertig. Je nach Haus, seien sie mal weiter fortgeschritten, mal sei kaum etwas passiert. Viele Dächer sind inzwischen immerhin neu, die Haustüren ausgetauscht und Flure gestrichen. Die Fassaden leuchten in neuen Farben, sind pink, gelb oder grau. Dahinter aber bei den Mietern der Vier-Familien-Häuser macht sich Unmut breit. Es gehe einfach nicht weiter – „Stillstand“.
Einst seien das Sozialbauten gewesen, eine Siedlung für Bergleute und deren Familien, erzählt eine langjährige Mieterin, deren Eltern schon hier lebten. Sie erinnert sich gut an die Modernisierung in den 1990ern, als sie neue Bäder und Heizungen statt der Kohleöfen erhalten hätten. „Ratzfatz war alles fertig.“
Viele wohnen wie sie lange Auf‘m Uhlenbroich, mitunter seit Jahrzehnten, kennen sich gut. Was sie derzeit eint: „Wir sind stinkesauer“, ruft eine Anwohnerin, zeigt auf die Gerüste und die Grünflächen rund um die Bauten. Neben den Containern, Anhängern und dem Baumaterial stehen auch Bagger, liegen große Platten auf den Wiesen, daneben Schläuche und Plastikplanen.
Seit sechs Monaten leben Vivawest-Mieter in Essen-Frillendorf auf einer Großbaustelle
„Seit sechs Monaten leben wir so“, sagt sie, während ihre Anfragen an Vivawest und die Zuständigen vor Ort ins Leere liefen. Ob Malerarbeiten, die unfertigen Balkone oder fehlende Türgriffe, sie würden immer wieder hingehalten und hörten Aussagen wie: „da müssen wir wiederkommen“, „es kommt jemand“ oder „wenden Sie sich an Vivawest“.
Eine Anwohnerin mache genau das, kontaktiere den Vermieter nun beinahe täglich, da ihre neue Haustür nicht richtig schließe. Dabei habe es bereits Einbrüche in die Häuser gegeben, seit ihre Siedlung zur Großbaustelle geworden sei. Keller seien aufgebrochen, Balkontüren aufgehebelt worden. Nicht nur den allein lebenden Frauen bereite das große Sorge. „Manche haben panische Angst.“ Einige haben sich mit Blick auf all diese Umstände ihren Galgenhumor bewahrt, andere hingegen formulieren deutlich: „Wir fühlen uns verarscht.“
Angefangen hat es mit einem Infoschreiben vergangenen August. Da sei ihnen die Sanierung angekündigt und erläutert worden, fasst eine Mieterin den Brief zusammen. Da ahnten viele von ihnen noch nichts, obwohl sie wussten, wie lange die Bewohner der benachbarten Vivawest-Siedlung Am Heimbusch unter vergleichbaren Umständen wohnten. Die Klagen klangen damals nahezu identisch.
Die Baugerüste seien so lange an den Häusern dort geblieben, bis sie Auf‘m Uhlenbroich benötigt wurden. „Wahrscheinlich bleiben die jetzt so lange hier, bis sie an der Schönscheidtstraße aufgebaut werden“, mutmaßt ein Anwohner, da eine weitere Siedlung unweit ihrer saniert werden könnte.
Vermieter Vivawest äußert sich zu der Sanierungsmaßnahme in Essen-Frillendorf
„Die Arbeiten im Bereich Auf’m Uhlenbroich 1-21 haben im September 2023 begonnen – die Gerüste wiederum wurden im Oktober 2023 aufgebaut“, sagt Vivawest-Sprecher Jens Rospek. Die Sanierungsmaßnahmen der 44 Wohnungen in den elf Gebäuden, die 1959 erbaut worden seien, entsprechen denen, die Vivawest zuvor bereits Am Heimbusch durchgeführt habe: „Sukzessive wurden und werden Balkone, Dächer, Fassaden, Treppenhäuser, sämtliche Türen sowie Vordächer und die Außenanlagen (z.B. Müllstellplätze) erneuert.“ Da die Kosten für Instandhaltungsmaßnahmen Vermieter selbst tragen und es sich hier um eine solche handele, sei keine Mieterhöhung vorgesehen.
„Der im Vorfeld festgelegte Zeitplan konnte trotz der Umsetzung über die Wintermonate weitestgehend eingehalten werden, die Arbeiten haben sich durch Materialengpässe und teilweise schwierige Witterungsbedingungen wie Regen und Kälte nur leicht verzögert“, erklärt der Sprecher. Darüber seien die Mieter vorsorglich bereits Ende 2023 per Anschreiben informiert worden – denn man wolle die Auswirkungen der Arbeiten so gering wie möglich halten und bestmöglich über den Verlauf informieren. „Davon unabhängig ist uns bewusst, dass Baumaßnahmen über einen längeren Zeitraum für unsere Mieter keine einfache Situation darstellen“, lenkt Jens Rospek ein.
Die Dachdecker waren auf den meisten Häusern in Essen-Frillendorf mit ihrer Arbeit schnell fertig
Auf‘m Uhlenbroich taucht indes die gleiche Frage auf wie seinerzeit Am Heimbusch: „Warum wird nicht ein Haus nach dem anderen saniert?“ Überall werde angefangen, alles bleibe liegen. Dennoch haben sie gedacht, man habe aus dem Vorgehen der Siedlung Am Heimbusch, die in Sichtweite liegt, Konsequenzen gezogen. „Wir haben gehofft, dass es nun besser läuft.“ Vergebens. Dabei waren sie zunächst begeistert, wie schnell es anfangs voranging: „Die Dachdecker waren super.“
„Das war‘s aber auch“, sagen sie nun mit Blick auf die Grundstücke und Gerüste. Nach ihren Beobachtungen und Empfinden seien sie offenbar vergessen worden, manchmal passiere tagelang kaum etwas. Die Böden ihrer Balkone beispielsweise seien nun größtenteils angebracht, alles andere daran fehle. „Wir zahlen doch dafür“, sagt ein Mieter, der zudem findet, dass die Gerüste an den Vorderseiten der meisten Häuser längst wieder abgebaut hätten sein können.
Anwohner beschreiben Rattenplage wegen weggeworfener Essensreste in ihrer Siedlung in Essen-Frillendorf
Dort liegen vor einigen Eingängen ihre „mobilen Briefkästen“, wie sie die alten Kästen ironisch nennen. Denn nicht alle Haustüren haben auch neue Briefkästen. „Manche Türen sind offenbar zu eng dafür gewesen“, sagt ein Nachbar. Wie das Problem gelöst werden soll, das wissen sie noch nicht. Derzeit jedenfalls werfen die Postboten Briefe in die alten, herausgetrennten Briefkästen am Boden. „Die mussten wir kürzlich auf den Kopf stellen, um die Post da überhaupt herausholen zu können.“
Auf dem Schotter wiederum, der auf dem Bürgersteig gelegen habe, hätten die Kinder gespielt. „Abends im Dunkeln hätten wir uns auf diesem Weg aber die Beine brechen können“, beschreibt eine Nachbarin. Zudem hätten hier noch viel mehr Container herumgestanden. „Das war noch viel schlimmer“, sagt eine Seniorin. Besorgt blicken sie vor allem auf den Müll. „Hier werden überall auch Essensreste weggeworfen“, sagt eine 78-Jährige. Die Folgen: „Hier laufen die Ratten barfuß.“ Diese Missstände müssten sofort behoben werden.
Essener Mieter widersprechen dem Eigentümer der Siedlung in Frillendorf
„Mittlerweile sind die Arbeiten zum Großteil abgeschlossen“, sagt Jens Rospek. Aktuell werde noch das letzte der elf Dächer fertiggestellt, zudem würden die Treppenhäuser gestrichen und die Balkongeländer montiert. Abschließend folgen die Außenanlagen. „Wir gehen davon aus, dass die Gerüste im Mai 2024 abgebaut werden.“
Die Mieter bleiben bei dieser Ankündigung skeptisch. Sie hoffen aber, dass spätestens im Sommer alles fertig sein wird. Nur daran zu glauben, das fällt nicht jedem leicht. „In den ersten beiden Häusern haben sie ja nicht einmal richtig angefangen“, widerspricht eine Mieterin. Lediglich der Fassadenanstrich und die Türen seien erneuert. Mit viel Glück, sagt sie, werde Weihnachten ein Ende in Sicht sein. „Sonst feiere ich mit dem Baum auf dem Baugerüst.“
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