Essen. Proben, die 2023 bei Grabungen an der Alteburg in Heidhausen genommen wurden, deuten darauf hin, dass die Anlage sehr viel älter ist als bekannt.
Menschen und Vieh bot sie im frühen Mittelalter Schutz. Drohte Gefahr, konnten sie sich hinter Gräben, Wälle und Mauern zurückziehen. Die Rede ist von der Alteburg auf dem Pastoratsberg in Heidhausen, einstmals die größte Burganlage auf Essener Stadtgebiet. Essens Stadtarchäologe Sebastian Senczek bot sich im Spätsommer vergangenen Jahres die Gelegenheit, nach Jahrzehnten am Pastoratsberg zu graben und Teile der einstigen Fliehburg freizulegen. Erst jetzt machte die Stadt Essen öffentlich, dass dabei Sensationelles zutage trat.
Im vergangenen Jahr konnte Essens Stadtarchäologe weite Teile des ehemaligen Steintores der Alteburg freilegen, eines von vier Toren, die einst ins Innere der Wehranlage führten. Wie sich dabei zeigte, war der Zugang zur Burg in mehreren Phasen ausgebaut worden. Verschiedene Bereiche der Befestigungsmauer waren im Laufe der Zeit ergänzt und erneuert worden.
In Mauerfugen und Aufschüttungen stießen Senczek und sein Grabungsteam unter anderem auf Holzkohlereste. Der Archäologe hatte gezielt danach gesucht. „Wo Menschen lebten, fiel Holzkohle an“, erläutert Senczek. Deren Alter lässt sich mithilfe einer sogenannten radioaktiven Zeitmessung bestimmen. Die nun vorliegenden Ergebnisse der Untersuchungen hätten auch ihn überrascht, sagt Senczek und spricht gelassen aus, dass die Geschichte der Alteburg neu geschrieben werden muss. Denn von sieben Proben, die in einem Labor auf ihr Alter hin untersucht wurden, weisen sechs zurück bis in Zeiten weit vor Christi Geburt.
Die älteste Probe stammt aus der Jungsteinzeit (ca. 4400 bis 3400 v. Chr.), drei Proben datieren in die mittlere Bronzezeit (ca. 1600 bis 1200 v. Chr.), zwei weitere Proben in die späte Eisenzeit (ca. 350 v. Chr. bis zur Zeitenwende). Lediglich eine Probe weist ein nachchristliches Alter auf und kann in die römische Kaiserzeit (ca. die ersten vier Jahrhunderte nach Christi Geburt) datiert werden.
Erste schriftliche Hinweise auf die Befestigungsanlage stammen aus fränkischer Zeit. Sie finden sich in einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 801. Experten waren aber davon ausgegangen, dass die Alteburg älter sein dürfte als bekannt. Umfangreiche Grabungen gab es in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter der Leitung von Ernst Kahr, dem damaligen Leiter des Ruhrlandmuseums. Ein Großteil der seinerzeit erstellten Dokumentation ist jedoch seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen, erhalten sind nur wenige Beschreibungen, Zeichnungen und Fotos.
Größere archäologische Grabungen gab es seit den 1930er Jahren nicht mehr, denn sie erfordern Zeit und Geld. Zudem befindet sich das Bodendenkmal auf privaten Grund und Boden. Gegraben wurde 1992 lediglich im Bereich des „Holztores“ der 200 mal 400 Meter großen Ringwallanlage. Die Vermutung, dass die Anlage älter ist als angenommen, ließ sich seinerzeit anhand von Funden aber nicht konkretisieren.
Die Holzkohleproben, die Sebastian Senczek nun bei den Grabungen im Spätsommer des vergangenen Jahres freigelegt hat und die er in einem Labor per Radiokarbonmethode untersuchen ließ, bestätigen nun, dass Menschen sich schon viele Jahrhunderte vor den Franken und Sachsen am Berg über der Ruhr aufhielten. Den Ort hatten sie bewusst gewählt. „Menschen hatten immer ein Schutzbedürfnis. Und die Stelle war schwer zugänglich“, sagt Sebastian Senczek.
Um den Zufluchtsort zu befestigen und Mauern zu bauen, nutzten sie Material, das sie in der Umgebung zusammentrugen, ist sich Senczek sicher. Deshalb fanden sich Holzkohlespuren in den Aufschüttungen und Mauerfugen. Unter einer sehr stark verdichteten Bodenschicht entdeckte der Archäologe zudem eine weitere, ebenfalls stark komprimierte Schicht, die er anhand von Fundproben auf die Bronzezeit zwischen 1600 und 1200 vor Christi Geburt datiert. „Dies deutet darauf hin, dass es unter der Burganlage eine weitere Anlage gegeben hat“, schlussfolgert Senczek. Teile der Alteburg erinnerten sogar an bekannte Wehranlagen aus der Eisenzeit. Im Laufe der Zeit wurde die Anlage auf ihre heute bekannte Größe ausgebaut.
Senczeks Worte beflügeln die Fantasie. Spontan mag einem das antike Troja einfallen, das sich unter mehreren Schichten verbarg, und der Schatz des Priamos, den Heinrich Schliemann dort fand. Ein Schatz ist am Pastoratsberg wohl kaum zu erwarten, aber womöglich weitere wertvolle Erkenntnisse für die Archäologie. Senczeks Funde sprechen dafür. Welche Geheimnisse schlummern unter dem Bodendenkmal? Essens Stadtarchäologe würde es gerne wissen und hofft, dass sich ihm bald wieder die Möglichkeit und die finanziellen Mittel für weitere Grabungen bieten mögen. Denn die Geschichte der Alteburg scheint längst noch nicht auserzählt.
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