Essen. Am 4. Februar 1074 wurde die Stiftskirche geweiht, bis heute ein unterschätztes Kleinod im Essener Norden. Das weiß man über ihre Gründung.
Sie gehört zu den ältesten bis heute genutzten Gebäuden des Ruhrgebiets, ist schon auf mittelalterlichen Gemälden verewigt und war eine Filiale des Essener Frauenstifts: Vor 950 Jahren stiftete die Essener Äbtissin Schwanhild auf dem Stoppenberg die Pfarrkapelle „Maria in der Not“, die sich in den folgenden Jahrhunderten zu einer Stifts- und Klosterkirche entwickelte, in der bis heute eine Ordensgemeinschaft zu Hause ist. Mit einem Gottesdienst mit Bischof Franz-Josef Overbeck und einem Mittelalterfest samt Ausstellung über die vielfältige Geschichte der Kirche wurde am Sonntag, 4. Februar, der Weihetag gefeiert.
Wer heute aus der Essener Innenstadt zum Weltkulturerbe Zeche Zollverein fährt, muss auf der rund fünf Kilometer langen Strecke schon gut wissen, wo man zwischen hohen Bäumen, dichter Wohnhausbebauung und der großen St. Nikolauskirche links auf dem Hügel die Stiftskirche und das Kloster entdecken kann. Doch noch vor rund 150 Jahren, vor dem immensen Bevölkerungswachstum im Ruhrgebiet, war die Kirche auf dem kleinen, aber markanten Stoppenberg wohl eine echte Landmarke.
Das zeigen jedenfalls historische Postkarten ebenso wie das Bild „Beweinung Christi“ in der Anbetungskirche St. Johann neben dem Essener Dom: Auf der Altartafel hat der Kölner Künstler Bartholomäus Bruyn vor rund 500 Jahren die Kreuzigung Jesu vor der Skyline der mittelalterlichen Stadt Essen positioniert, hinter der sich - dramatisch überdimensioniert - der Stoppenberg samt Stiftskirche erhebt.
Äbtissin Schwanhild gründete in Stoppenberg eine Filiale des Essener Frauenstifts
Äbtissin Schwanhild, die vermutlich ab 1058 das Essener Frauenstift leitete, hatte offenbar schon früh die Idee, neben ihrem Stift für Töchter aus den allerhöchsten Häusern des Reiches noch eine ähnliche Einrichtung für Frauen aus niederen Adelsfamilien zu gründen. Zudem dürfte auch eine Rolle gespielt haben, den gewachsenen Einfluss des Essener Stiftes, eines im Hochmittelalter durchaus bedeutenden kirchlichen Kleinstaates, durch weitere Filialen zu ergänzen. Ähnlich hatte es einige Jahrzehnte zuvor Äbtissin Mathilde mit dem von ihr gegründeten Stift im heutigen Stadtteil Rellinghausen gehalten.
Es gibt zudem Hinweise, dass der 80 Meter hohe Stoppenberg bereits eine lange vorchristlich-religiöse Tradition besaß und womöglich auch deshalb als Ort für die neue Kirche auserkoren wurde. Der Historiker Josef Wormstall verortete dort in einer Publikation von 1907 eine heidnische Kultstätte des germanischen Volks der Marser, für die bislang jedoch jeder archäologische Beleg fehlt.
Stiftskirche erleichterte dem gesamten Essener Norden den Gottesdienstbesuch
Die am 4. Februar 1074 vom Kölner Erzbischof Anno II. eingeweihte Kirche hatte nicht zuletzt eine ganz praktische Bedeutung, denn sie erleichterte den Menschen in den Bauernschaften und Siedlungen im heutigen Essener Norden, leichter an Gottesdiensten teilzunehmen. Oder, wie es Erzbischof Anno II. in der Gründungsurkunde formuliert hat: „zu dem Zwecke nämlich, damit die weit von der Mutterkirche (gemeint ist die Essener Stiftskirche, der heutige Dom) Wohnenden und die in Todesgefahr sich Befindenden wegen der Zeit und des beschwerlichen Weges dort Taufe und Begräbnis und in der Not die Heilsmittel empfangen könnten…“
Ein wahres Wort. Lange vor Autos und Straßenbahn mussten Menschen aus den heutigen Stadtteilen Katernberg oder Schonnebeck für einen Gottesdienstbesuch gut zu Fuß sein und mindestens eine Halbtageswanderung in Kauf nehmen. In den tiefreligiösen Zeiten vor fast zehn Jahrhunderten dürften das zwar viele auf sich genommen haben, doch die Kirche auf dem Stoppenberg hat die geistliche Versorgung und, wenn man so will, die religiöse Lebensqualität der Menschen in ihrer Umgebung gewiss spürbar verbessert.
Geistliches Leben durch eine dort lebende Gemeinschaft entstand erst einige Jahrzehnte nach der Weihe. Im 12. Jahrhundert öffnete auf dem Stoppenberg ein erstes Kloster – vermutlich ein Doppelkonvent, in dem zunächst sowohl Prämonstratenser als auch Prämonstratenserinnen lebten. Im 13. Jahrhundert lebten indes nur noch wenige Nonnen dort. Aus dieser Gemeinschaft entstand schließlich das freiweltliche Frauenstift Stoppenberg, in dem bis zu 20 Frauen ohne ein Gelübde abzulegen in einer Lebens- und Gebetsgemeinschaft wohnten.
Wie am Essener Frauenstift und in vielen anderen kirchlichen Einrichtungen im Rheinland endete diese Ära 1803 mit der Säkularisation, der politisch erzwungenen Aufhebung kirchlicher Institutionen in Folge des Siegs Frankreichs unter Napoleon und der daraus folgenden Neuordnung des Heiligen Römischen Reiches. Die Kirche auf dem Stoppenberg wurde wieder zur Pfarrkirche, bis 1907 die neugebaute und deutlich größere Nikolauskirche am Fuß des Hügels diese Rolle übernahm. Durch die mit dem Bergbau und der nahe gelegenen Zeche Zollverein massiv gewachsene Einwohnerzahl war „Maria in der Not“ längst viel zu klein geworden. Noch bis in die jüngste Zeit litt das Gebäude stark unter den im Essener Norden typischen Bergsenkungen.
Schwere Beschädigungen durch Bomben im Zweiten Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg durch Bomben schwer beschädigt und nach 1945 vereinfacht wieder aufgebaut, begann 1965 ein neues Kapitel auf dem Stoppenberg, als wieder Nonnen in das Wohnhaus neben der Kirche zogen. Kurz nach Gründung des Ruhrbistums 1958 gelang es der Bistumsleitung mit Frauen aus dem Orden der unbeschuhten Karmelitinnen, den Kapitelberg wieder als einen besonderen geistlichen Ort zu beleben.
Die derzeit 16 Ordensfrauen leben zurückgezogen „in der Abgeschiedenheit der Klausur in einer kleinen, familiären Gemeinschaft“, wie sie es beschreiben. Wenn nicht wie vor einigen Jahren eine Bombenentschärfung zum Verlassen des Klosters zwingt, widmen sie sich Gebet und Gottesdienst in der Stiftskirche: werktags um 7, sonn- und feiertags um 8 Uhr laden sie zur Messfeier ein, täglich um 16.30 Uhr beten sie auf der Empore die Vesper. Besucher können dem beiwohnen und sich von der einzigartigen Atmosphäre des Ortes in den Bann ziehen lassen.
Innen hat die Kirche harmonische Proportionen, ihr romanischer Ursprung ist noch gut erkennbar, sie besitzt allerdings nicht mehr viele Details aus dem hohen Mittelalter. Einzig der roh behauene Taufstein hat alle Zeitläufe überlebt und ist so etwas wie das Prunkstück. Draußen kann man sich auf einer Bank in einem kleinen Gärtchen aufhalten und die Stille genießen: eine unterschätzte, vielen sogar unbekannte Oase im Großstadtgetriebe. tr/F.S.
Gemälde zeigt den alten Stoppenberg
In der Anbetungskirche St. Johann am Essener Dom sind im südlichen, rechten Nebenchor (Taufkapelle) zwei doppelseitig bemalte Altartafeln von Bartholomäus Bruyn dem Älteren (1493-1555) zu sehen. Derzeit zeigen beide Tafeln Szenen der Geburt Jesu. An Aschermittwoch werden sie umgedreht und zeigen dann – passend zur Passionszeit – je eine Kreuzigungsszene. Im Hintergrund der „Beweinung Christi“ ist dann auch wieder die älteste Essener Stadtansicht mit dem Stoppenberg samt Stiftskirche zusehen.