Essen. Auf Essens Straßen fahren mehr E-Autos, aber die Zahl der Ladesäulen an Straßen wächst nur langsam. Dafür gibt es Gründe

Der Elektromobilität gehört die Zukunft, heißt es gerne. Und tatsächlich nimmt die Zahl an Elektro-Autos auch in Essen zu. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur an öffentlichen Straßen geht zwischen Karnap und Kettwig allerdings nur schleppend voran. Und wo es sie gibt, sind sie anscheinend nicht immer gut ausgelastet.

Dennoch beklagte der Verband der Automobilindustrie (VDA) erst jüngst eine „Lücke zwischen Angebot und Bedarf“, was die Ausstattung mit E-Ladesäulen angeht. Der Nachholbedarf sei groß. VDA-Präsidentin Hildegard Müller bezeichnete den Ausbau als „eine der dringendsten Infrastrukturaufgaben für Deutschland“.

Im bundesweiten Ranking des Automobilverbandes VDA landet Essen auf Platz 234

Der VDA untermauert dies mit Zahlen und einem bundesweiten Ranking. Essen schneidet dabei sehr bescheiden ab. Rechnerisch müssen sich in der Ruhrstadt 22,7 E-Autos einen Ladepunkt im öffentlichen Raum teilen. Damit reiht sich Essen unter den Großstädten und Landkreisen auf Platz 234 ein, gleich hinter Darmstadt und noch vor dem Werra-Meißner-Kreis in der Nordhessen. Gegenüber der letzten Erhebung hat Essen 35 Plätze eingebüßt.

Diese noch recht neuen E-Ladeplätze an der Alfredstraße sind bisher nur selten belegt.
Diese noch recht neuen E-Ladeplätze an der Alfredstraße sind bisher nur selten belegt. © WAZ

Schlusslicht auf Platz 397 ist diesmal Essens Nachbarstadt Mülheim mit 81,4 E-Autos pro Ladepunkt. Den Spitzenplatz belegt die Autostadt Ingolstadt, wo sich statistisch gesehen 4,2 E-Autos auf einen Ladepunkt kommen.

Der VDA gibt für Essen 14.095 E-Autos an, wobei es sich um vollelektrische Fahrzeuge und um Hybridfahrzeuge handelt. Die Zahl der Ladepunkte beziffert der Verband auf 621. Pro Ladesäule gibt es in der Regel zwei Ladepunkte. Ladesäulen stehen an Straßen, aber auch an öffentlich zugänglichen Parkplätzen, zum Beispiel von Supermärkten.

Anbieter von E-Ladesäulen schöpfen ihren Spielraum in Essen längst nicht aus

Um den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu steuern hat die Stadt Essen das Stadtgebiet in 200 mal 200 Meter Quadrate eingeteilt. In jedem Quadrat darf per Sondernutzungserlaubnis eine Ladesäule aufgestellt werden. Übersteigt deren Auslastung 70 Prozent, darf in dem Quadrat eine zweite Ladesäule aufgestellt werden.

Nach Angaben der Stadtverwaltung wurde bislang 320 Mal eine Sondernutzungserlaubnis für Anbieter von E-Ladesäulen ausgestellt. Dieses Potenzial wurde allerdings längst nicht ausgeschöpft. Im öffentlichen Straßenraum wurden 185 Ladesäulen errichtet. Das sind nicht viel mehr als 2021, da waren es 170, wie die Stadt seinerzeit mitteilte. Ob es in nahe Zukunft sehr viel mehr werden?

Westenergie errichtet in Eigenregie keine E-Ladepunkte mehr

Die Stadt Essen stellt selbst keine E-Ladesäulen auf, sie setzt Initiative der Privatwirtschaft. Mehrere Unternehmen engagieren sich auf diesem Gebiet. Anbieter E.ON Drive teilt auf Anfrage mit, im kommenden Jahr weitere 29 Ladesäulen aufzustellen, die Genehmigungen lägen bereits vor. Aktuell betreibt E.ON Drive 71 E-Ladesäulen an öffentlichen Straßen.

Westenergie war in der Vergangenheit beim Ausbau der Ladeinfrastruktur besonders aktiv. Inzwischen hat das Unternehmen einen Strategiewechsel vollzogen und arbeitet beim Ausbau der Ladeinfrastruktur nur noch im Auftrag Dritter. „In Eigenregie errichten wir keine Ladepunkte in Gemeinden“, erklärt Sprecherin Angie Kreutz.

Warum nimmt der Ausbau nicht mehr Tempo auf? Die Vermutung liegt nahe, dass sich der Ausbau der Infrastruktur für die Anbieter nicht bezahlt macht, zumindest nicht, wenn es um Ladesäulen im öffentlichen Raum geht. Wäre es anders, sprössen die Säulen wohl wie Pilze aus dem Boden.

Die Stadt hatte bereits erwogen, die Hürden für das Aufstellen von Ladesäule zu senken, offenbar um dadurch einen Anreiz zu schaffen. Eine zweite Ladesäule sollte auch dann innerhalb einer 200 mal 200 Meter großen Fläche gestattet sein, wenn die Auslastung der ersten Ladesäule unter 70 Prozent liegt. Der Gedanke wurde allerdings wieder verworfen. Ohnehin versteht man im Rathaus Ladesäulen im öffentlichen Straßenraum als Ergänzung.

Säulen im öffentlichen Straßenraum werden nicht immer gut angenommen

So sieht man es auch auf Anbieterseite: Erforderlich sei ein „gesunder Mix“, betont E.ON. Der sieht idealerweise so aus: Im Alltag laden E-Autobesitzer ihr Fahrzeug daheim, am Arbeitsplatz und bei Bedarf, wenn sie ihr Auto an einer Straße abstellen.

Dass Ladesäulen im öffentlichen Straßenraum nicht immer gut angenommen werden, ist ein Eindruck, der sich Beobachtern aufdrängt. Mitte 2023 wurden beispielsweise an der Alfredstraße/Ecke Joseph-Lenne-Straße zwei Ladeparkplätze ausgewiesen, die seitdem dem sonstigen Verkehr nicht mehr zur Verfügung stehen. Während in diesem dicht besiedelten Rüttenscheider Wohngebiet die frei nutzbaren Plätze fast immer belegt sind, steht an den beiden E-Ladeplätzen oft gar kein Auto, manchmal ist einer belegt, nur sehr selten beide.

Eine Einklärung: Viele E-Autosbesitzer legen offenbar wert darauf, dass sie ihr Fahrzeug jederzeit und zuverlässig an einer eigenen Ladesäule aufladen können. Tatsächlich kann man sich nicht hundertprozentig darauf verlassen, einen freien Ladepunkt an einer öffentlichen Straße zu finden, auch wenn das zurzeit - wie beschrieben - oft relativ leicht möglich ist.

Zur Zahl der E-Ladepunkte auf privaten Grundstücken kann die Stadt auf Nachfrage keine Angaben machen. 2021 waren es nach Angaben der Verwaltung 500 Ladepunkte, wovon 340 allerdings auf das Verteilzentrum von Amazon an der Pferdebahnstraße entfielen. Heute dürfte die Zahl der Ladepunkte auf Privatgrundstücken - in der Regel von Ein- oder Zweifamilienhäusern - höher liegen.

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