Essen-Nordviertel. Im Essener Nordviertel sind Jugendliche am sogenannten Rattenparkplatz für die gute Sache im Einsatz. Das steckt hinter dem „Taschengeldprojekt“.

Rund zehn Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren laufen geschäftig durch die Straßen. In den Händen halten sie große, blaue Mülltüten und Zangen aus Holz. Ein Junge spießt eine platt gedrückte Getränkedose auf, ein anderer Jugendlicher hält die Mülltüte auf, damit sein Kumpel den Abfall entsorgen kann. Inzwischen ein ganz normaler Montagabend im Essener Nordviertel.

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Einmal in der Woche sammeln Jugendliche am Parkplatz an der Kleinen Stoppenberger Straße, wegen seines Ratten- und Abfallproblems auch Rattenparkplatz genannt, zwei Stunden lang Müll ein. Dafür ziehen sie in kleinen Gruppen über den Platz und durch die umliegenden Straßen und füllen so jede Woche dutzende Mülltüten. Der Mülleimer neben dem Parkplatz quillt über, daneben türmen sich weitere Abfälle: Verpackungen, zerknüllte Taschentücher, leere Bierflaschen, Styroporreste. Ein verrosteter, verdrehter Kinderwagen parkt neben einer Kleidertonne. Müll finden, das dürfte hier nicht so schwer sein.

Essener Nordviertel: Jugendliche sammeln Müll und bekommen dafür Geld von Vonovia

Dass die Jugendlichen so euphorisch bei der Sache sind, liegt unter anderem daran, dass sie für ihre Arbeit im „Taschengeldprojekt“ bezahlt werden. Jeder, der bei der Müllsammelaktion mitmacht, bekommt 20 Euro Taschengeld. Finanziert wird das Projekt von Vonovia. Der Immobilienkonzern vermietet laut eigenen Angaben rund 60 Prozent der Wohnungen im Essener Nordviertel. Insgesamt hat Vonovia der CSE – Caritas SKF Essen rund 2000 Euro zur Verfügung gestellt, um die Jugendlichen für das „Taschengeldprojekt“ zu bezahlen.

Dass hier einmal pro Woche gemeinsam Müll eingesammelt wird, habe viele Vorteile – sowohl fürs Quartier als auch für die Jugendlichen, die zum Teil aus schwierigen familiären Situationen kämen oder im Heim wohnten. „Die Jugendlichen merken auf diese Weise: Ich kann etwas leisten und werde ernst genommen“, sagt Vonovia-Regionalleiter Ralf Feuersenger. Außerdem stärke die Aktion die persönliche Verbindung und Identifikation der Jugendlichen mit ihrer Heimat, dem Essener Nordviertel.

Essener Jugendliche werden sensibilisiert im Umgang mit Müll

Sie lernten außerdem einen umsichtigen Umgang mit Müll, da das Vermüllungsproblem des Nordviertels ja zum Teil auch durch die Jugendlichen verursacht werde. „Die merken ganz schnell: Müll hinwerfen ist leicht, aber ihn wieder aufheben ist schwer“, sagt CSE-Sozialarbeiter Thomas Rüth. Auch Anwohner profitierten von der Müllsammelaktion. „Viele Bewohner, die vorher ein schlechtes Bild von Jugendlichen hatten, sehen die jungen Menschen nun Gutes tun“, so Rüth. So sei es in den vergangenen Wochen schon mal vorgekommen, dass ältere Bewohner des Nordviertels den Jugendlichen als Dank für ihre Arbeit eine Cola ausgegeben hätten.

Ausgestattet mit Müllzangen und -tüten sammeln die Jugendlichen beim „Taschengeldprojekt“ den Müll in ihrem Viertel ein.
Ausgestattet mit Müllzangen und -tüten sammeln die Jugendlichen beim „Taschengeldprojekt“ den Müll in ihrem Viertel ein. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Seit Mai läuft das Projekt. In den Austausch gekommen sind die Sozialarbeiter mit den Jugendlichen durch die Arbeit des Streetworkers Nikolas Reichelt, der seit rund einem Jahr in einer vom Jugendamt finanzierten Stelle im Nordviertel arbeitet. „Nick“, wie ihn alle dort nennen, habe nach eigenen Angaben über das vergangene Jahr Vertrauen zu den Jugendlichen aufgebaut, sich mit einigen von ihnen angefreundet.

Essener Nordviertel: Jugendliche haben oft schlechte Erfahrungen gemacht

Seitdem organisiert er etwa abendliche Rap-Battles oder Boxkämpfe mit den jungen Männern. Seit dem vergangenen Jahr hat er außerdem mitgeholfen, den Rattenparkplatz an der Kleinen Stoppenberger Straße in einen Platz der Jugendkultur umzugestalten, mit Graffiti-Wänden, einer Skate-Rampe und selbst gebauten Sofas aus Europaletten. Zuvor hatte Thomas Rüth den Parkplatz als „Kriminalitätsbrennpunkt“ bezeichnet, an dem Drogenhändler „in aller Öffentlichkeit agieren.“ Dieser Entwicklung sei mit der Umgestaltung des Parkplatzes entgegengewirkt worden, so Rüth. Dabei wurden auch die Jugendlichen mit einbezogen.

Inzwischen erreicht Nick über eine Whatsapp-Gruppe rund 70 Jugendliche aus dem Nordviertel. Der Austausch sei rege, viele der jungen Männer hätten es zuhause schwer und freuten sich, gehört und respektiert zu werden, sagt Nick. Oft hätten sie schlechte Erfahrungen in der Schule und im familiären Umfeld gemacht. Bis Ende September kann mithilfe der Spenden von Vonovia noch Müll gesammelt werden. Die Sozialarbeiter hoffen auf eine Verlängerung des Projekts.

Thomas Rüth (CSE-Caritas SKF Essen), Ralf Feuersenger (Vonovia) und Streetworker „Nick“  (v.l.n.r.) organisieren und betreuen das sogenannte „Taschengeldprojekt“ im Essener Nordviertel.
Thomas Rüth (CSE-Caritas SKF Essen), Ralf Feuersenger (Vonovia) und Streetworker „Nick“ (v.l.n.r.) organisieren und betreuen das sogenannte „Taschengeldprojekt“ im Essener Nordviertel. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auch bei den Jugendlichen sei die Begeisterung über die Aktion groß. „Ich habe 100 Jugendliche, die Bock hätten, mitzumachen“, sagt Nick. Leider reiche das von Vonovia zur Verfügung gestellte Geld nicht für alle, also könne Nick jede Woche nur eine Handvoll Jugendliche einladen.

Essener Nordviertel: Jugendliche nutzen Taschengeld, um für große Ziele zu sparen

Was sie mit dem beim Müllsammeln verdienten Taschengeld machen wollen, darf jeder der Jugendlichen selbst entscheiden. Viele möchten das Geld sparen, um sich größere Projekte zu ermöglichen.

Lukas (17) möchte etwa für einen Führerschein sparen. Marti (15) will sich den Traum eines eigenen Tonstudios verwirklichen, eines Tages möchte er Rapper sein. Das „Taschengeldprojekt“ findet er gut. „Müll aufsammeln macht keinen Spaß, aber das Geld am Ende schon“, sagt er lachend. Außerdem passe er durch das Projekt inzwischen auch mehr auf, wo er seinen Müll entsorge.

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