Essen. Letzte Woche kündigte die Ruhrbahn an, dass ab sofort einige Fahrten von Bus und Bahn ausfallen. Jetzt erklärt der Chef, warum das so ist.
Bei der Ruhrbahn melden sich an manchen Tagen bis zu 20 Prozent der Bus- und Bahnfahrer krank. Diese Ausfälle könne das Nahverkehrsunternehmen derzeit nicht mehr täglich ausgleichen mit Ersatz-Personal. Das berichtet Michael Feller, Geschäftsführer der Ruhrbahn. Am Freitag hatte die Ruhrbahn überraschend angekündigt, dass es wegen akuten Personalmangels Ausfälle in den Fahrplänen gebe – in Mülheim sind vor allem Busse, in Essen die Straßenbahnen betroffen.
Dauerhaft kämpfe die Ruhrbahn mit einem Krankenstand beim Fahrerpersonal, der bei 20 Prozent liege, erklärte Feller. „Das ist nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Branche so.“ Auch die Deutsche Bahn hatte – zumindest im Regionalverkehr – im Sommer 2022 mit massiven Ausfällen zu kämpfen.
Ruhrbahn: Durchschnittsalter der Bus- und Bahnfahrer aktuell bei 47 Jahren
Durchschnittlich sind im Jahresmittel laut Statistik der gesetzlichen Krankenkassen rund 5,6 Prozent der Beschäftigten in Deutschland krank gemeldet, im Sommer sinkt dieser Wert zumeist. Die Quote bei der Ruhrbahn liegt somit um mindestens das Dreifache höher. „Es ist eine körperlich sehr anstrengende Arbeit, die nicht vergleichbar ist mit einem Bürojob“, so Feller zu möglichen Gründen.
Der Ruhrbahn-Chef sieht den Nahverkehr nicht gänzlich vor Zusammenbruch und Vertrauensverlust: „Wir sind weit weg von einem Notfallplan.“ Er sagte für den heutigen Dienstag und Mittwoch voraus, dass sich die Personallage entspannen könnte. Weiter vorausschauen möchte er aber nach eigenen Angaben nicht.
Durchschnittsalter der Fahrer der Ruhrbahn liegt bei 47 Jahren
Drei Tage nach der beispiellosen Ankündigung der Ruhrbahn, dass die Fahrpläne bis auf weiteres kurzfristig gekürzt werden müssten, gab es am Montag unter den Busfahrern in Essen einen Krankenstand von etwa 15, bei den Straßenbahnfahrern von 17 Prozent. Von insgesamt 525 Schichten in Essen und Mülheim seien 16 offen geblieben – wie viele Fahrten am Montag konkret ausfielen, lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.
Das Durchschnittsalter der Bus- und Bahnfahrer der Ruhrbahn liege derzeit bei 47 Jahren und damit etwas höher als der Beschäftigtendurchschnitt in Deutschland. Den hohen Krankenstand erklärt dies aber allenfalls zu einem kleinen Teil. „Wir haben zuletzt ordentlich verjüngt“, sagt der Vorstandschef. In der Vergangenheit hatte die Ruhrbahn wiederholt mit Kampagnen um neues Fahrpersonal geworben, „und das werden wir auch in Zukunft tun“, kündigte Feller an.
Der Ruhrbahn-Chef berichtet, dass das Unternehmen im laufenden Kalenderjahr 135 neue Fahrerinnen und Fahrer eingestellt hat bzw. einstellt. „Das hilft Ihnen aber wenig, wenn gleichzeitig viele Kollegen kündigen oder langfristig erkrankt sind.“ Schon 2019 war bekanntgeworden, dass der Krankenstand unter den Fahrern der Ruhrbahn dauerhaft um die 20 Prozent liegt.
Was der Betriebsrat sagt
Eine „Spirale“ zwischen sich gegenseitig aufschaukelnder Personalmisere und hohem Krankenstand sieht Ruhrbahn-Betriebsratsvorsitzender Ahmed Avsar. Immer wieder würden Kolleginnen und Kollegen für erkrankte Fahrer einspringen. Die Belastungen würden immer größer, auch diese Fahrer drohten auszufallen.
Durch Optimierungen im Dienstplan würden Pausenzeiten kürzer, etwa um mal zur Toilette zu gehen, der Stress im Verkehr nehme zu, bei Verspätungen ließen Fahrgäste ihren Frust an Fahrern aus. Der Fahrplan-Wechsel in Mülheim sorge außerdem dafür, dass Fahrer viele Fragen zu beantworten hätten und ebenso Frust von Kunden über geänderte Linienwege und Co abbekämen.
Noch mehr Ausfälle durch Baustellen
Avsar hält es für notwendig, dass die Städte als Aufgabenträger, die Politik und die Ruhrbahn gemeinsam ihre Anstrengungen intensivieren, um „die Spirale einmal zu durchbrechen“. „Alle müssen sich hier ihrer Verantwortung bewusst werden“, sagt der Betriebsrat. „Vielleicht ist jetzt mal der Zeitpunkt gekommen, wo alle wachgerüttelt sind und erkennen, dass es so nicht weitergeht.“ Es gebe „einen riesigen Optimierungsbedarf im Fahrbetrieb“. So sei es unrealistisch, „dass nächste Woche plötzlich alles besser wird“, warnt Avsar vor der Erwartungshaltung, dass das Problem mit Ausfällen bei Bus und Bahn schon zeitnah behoben sein könnte. „Nur ein Pflaster hier und da - das wird nicht reichen.“
Ob es die Fahrgäste in Essen gemerkt haben? Am Montagmittag ist der Bahnsteig am Berliner Platz, an dem die Trams in Richtung Westen halten, verdächtig voll – das liegt aber nicht am aktuellen Krankenstand bei den Ruhrbahn-Fahrern, sondern an der schlichten Tatsache, dass die Linien 101, 103 wegen Bauarbeiten ausfallen: In Altendorf werden Weichen erneuert. Statt der Trams fahren Busse, die Ruhrbahn hatte das groß und breit angekündigt. Trotzdem gibt es gut vernehmbare Lautsprecherdurchsagen – und viele Fahrgäste, die das alles noch nicht mitbekommen hatten und sich augenscheinlich wundern, warum nur die 105 unterwegs ist.
Woanders kommt die Ankündigung der Ruhrbahn, dass es bis auf weiteres zu Fahrtenkürzungen kommen kann, erwartungsgemäß nicht gut an: Eine Frau Mitte 30 ruft dem Reporter am Rüttenscheider Stern panisch zu, bevor sie in die Linie 108 in Richtung Hauptbahnhof hetzt: „Das ist eine Katastrophe für mich, ich muss nach Bochum pendeln und immer pünktlich sein.“
In Mülheim kritisieren Verkehrspolitiker die Ruhrbahn scharf
Ein älteres Ehepaar hat deutlich mehr Zeit im Alltag, kann den Frust aber ausdrücklich verstehen: „Schön ist das nicht, vor allem nicht für diejenigen, die darauf angewiesen sind, pünktlich zu sein.“
Studentin Lara Moreno sitzt am Montagvormittag gegen 10.30 Uhr in der U11, um zum Campus der Uni Duisburg-Essen zu fahren. Sie sieht die Situation der angekündigten Fahrtausfälle etwas entspannter, weiß aber um ihre vergleichsweise privilegierte ÖPNV-Situation – zumal gerade Semesterferien sind. „Das regt mich auf“, sagt sie, „aber dann muss ich mich eben darauf einstellen.“
In Mülheim kritisierten Verkehrspolitiker drastisch die Art und Weise, wie die Ruhrbahn ihre Probleme kommuniziert hatte, nämlich mit einer Pressemitteilung am vergangenen Freitag Abend. „Die Kommunikation der Ruhrbahn ist definitiv maximal ausbaufähig“, meinte der Grünen-Politiker Timo Spors. Der Aufsichtsrat des Unternehmens, die Stadtverwaltung und die Ratspolitik dürften von so gravierenden Problemen nicht derart beiläufig erfahren, zumal die Unternehmensspitze zumindest hätte ahnen müsse, dass die Dinge bei den Personalausfällen eskalieren würden.
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