Essen. Bundesarbeitsminister Heil will Geld bei jungen Arbeitslosen sparen. Stadtdirektor Renzel warnt vor den Folgen dieses „Taschenspieler-Tricks“.
Essens Stadtdirektor und Sozialdezernent Peter Renzel läuft Sturm gegen die Kürzungspläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bei jungen Arbeitslosen. „Die Einsparungen sind völlig kontraproduktiv für unsere Bemühungen, Fach- und Arbeitskräfte zu gewinnen“, wettert Renzel im sozialen Netzwerk Facebook. Renzel spricht von Irrsinn und einem Schlag ins Gesicht der Jobcenter, die sich seit Jahren darum bemühen, Jugendliche auch mit schwierigen Biografien in eine Ausbildung oder in einen Job zu bringen. Renzel hat mittlerweile alle Essener Bundestagsabgeordneten angeschrieben und sie aufgefordert, den Haushaltsplänen nicht zuzustimmen, wie er im Gespräch mit der Redaktion betonte.
Bundesarbeitsminister Heil (SPD) plant ab 2025 einschneidende Änderungen in der Zuständigkeit. Ab dann sollen sich nicht mehr die Jobcenter um arbeitslose Jugendliche kümmern, sondern die Arbeitsagenturen. Damit würde für die Betreuung nicht mehr der Steuerzahler aufkommen, sondern der Beitragszahler. Heil will auf diese Weise 900 Millionen Euro im Bundeshaushalt sparen. Heil hat damit eine Welle der Kritik auf sich gezogen. So wandte sich jüngst auch NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann in einem offenen Brief an den Bundesminister. Auch die Chefin der Essener Arbeitsagentur, Andrea Demler, hatte jüngst Bedenken geäußert: „Fachlich ist es nicht sinnvoll, hier etwas zu verändern.“
Renzel: Jobcenter haben einen anderen Auftrag als die Arbeitsagenturen
Als reinen „Taschenspieler-Trick“ geißelt Renzel dieses Vorhaben und warnt vor den Folgen. Er befürchtet, dass viele Jugendliche, die die Schule mit keinem oder einem schlechten Abschluss die Schule verlassen, künftig durchs Rost fallen. „Die Jobcenter haben einen umfassenderen Auftrag als die Arbeitsagentur“, so Renzel, in dessen Verantwortungsbereich das städtische Jobcenter fällt.
In der Regel kümmerten sich die Arbeitsagenturen um die reine Berufsberatung. „Wenn ein junger Mensch dort einmal oder zweimal nicht zum Termin erscheint, dann ist er weg. Wir dagegen laufen denen immer wieder hinterher“, betont Renzel. Aus jahrelangen Erfahrungen wüssten die Jobcenter-Mitarbeiter, dass viele arbeitslose Jugendliche oft drei, vier oder mehr Anläufe bräuchten, bis sie eine Ausbildung erfolgreich absolvierten. „Aber das ist unser Potenzial. Das dürfen wir nicht liegenlassen“, meint Renzel mit Blick auf den wachsenden Fachkräftemangel in Essen.
Wen die Arbeitsagentur nicht vermitteln kann, der würde ab einem Alter von 25 Jahren ohnehin beim Jobcenter landen. „Wir müssten dann viele verlorene Jahre wieder aufholen. Das ist doch Irrsinn“, so Renzel.
Jugendberufsagentur stünde vor dem Aus
Heils Pläne würden in Essen auch Strukturen beenden, die als erfolgreich gelten. So arbeiten seit 2015 Arbeitsagentur, Jobcenter und Jugendamt in einer gemeinsamen Jugendberufsagentur zusammen. Damit soll vor allem Jugendlichen geholfen werden, die mehr als nur eine Berufsberatung brauchen, die aus schwierigen Elternhäusern stammen oder gesundheitliche Probleme haben. Diese Art der Zusammenarbeit galt 2015 bundesweit als Vorzeigemodell und wird seither in vielen Kommunen praktiziert. „Mit Heils Plänen gäbe es die Jugendberufsagentur dann nicht mehr“, warnt Renzel. Auch viele andere Hilfsprogramme, die das Jobcenter zusammen mit Trägern wie der Jugendberufshilfe aufgebaut habe, stünden dann wohl vor dem Aus.
In Essen sind aktuell über 2300 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren beim Jobcenter gemeldet. Rund 80 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kümmern sich um diese Gruppe. Renzel glaubt nicht, dass die Arbeitsagentur ab 2025 genauso viele Mitarbeiter zusätzlich bekommen würde. „Nein, die bekommt sie nicht!“, ist er überzeugt.
Renzel lädt Heil nach Essen ein
In seinem Facebook-Eintrag fordert Renzel Heil auf, sich vor Ort ein Bild zu machen: „Ich lade den Bundesarbeitsminister gerne mal nach Essen ein, damit er sich unsere Arbeit mit den jungen Menschen anschaut.“
Unterdessen muss das Jobcenter schon ab 2024 mit weiteren Mittelkürzungen in Millionenhöhe sowohl bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen wie auch bei den Verwaltungskosten rechnen. Heil will insgesamt 500 Millionen Euro einsparen. Essen hätte nächstes Jahr rund vier Millionen Euro weniger Geld für die Förderung von Langzeitarbeitslosen zur Verfügung. Und dies in einer Zeit, in der sich die wirtschaftlichen Aussichten eingetrübt haben und zuletzt die Arbeitslosigkeit vor allem wegen des Zuzugs von Ukraine-Flüchtlingen wieder gestiegen ist. „Mit den Budgetzuteilungen sind wir gerade so auskömmlich, hätten aber keinen Spielraum mehr“, sagt Renzel, der hofft, dass Heils Pläne in den kommenden parlamentarischen Beratungen „weitestgehend rückgängig gemacht werden“.
| Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig & Werden + Borbeck & West | Alle Artikel aus Essen | Social Media: Facebook + Instagram + Twitter | Kostenloser Newsletter: Hier abonnieren |