Essen-Südviertel. Gastbeitrag: Hier erzählt eine Studentin (26), warum sie den Stadtgarten meidet – zu oft sei sie belästigt worden. Ein Erfahrungsbericht.
- Persönlicher Erfahrungsbericht: Die Studentin Laura Tirier (26) schildert, dass sie wiederholt im Essener Stadtgarten fies angemacht und sogar angefasst wird – von Männern jeden Alters und jeder Nationalität
- Was die Polizei zum Thema Stadtgarten sagt
- Wo besteht das Problem noch? Und gibt es Möglichkeiten für Frauen, sich zu wehren?
Die Szene ist beinahe unwirklich schön. Die Magnolien stehen in voller Blüte, die Kirschpflaumenblüten breiten sich über der Terrasse der Essener Philharmonie aus und sehen aus wie Wolken. Die Fontäne in der Mitte des Teichs glitzert im Sonnenlicht. Ich sitze auf einer Bank nahe dem Wasser und sehe zwei Kindern zu, die sich über die Wiese jagen. Da schiebt sich ein Schatten vor die Sonne. „Was sitzt du denn so allein hier?“ Ich öffne die Augen. Ein mir unbekannter Mann steht unangenehm nah vor mir und grinst auf mich runter. „Kann man sich zu dir setzen?“
Bevor ich antworten kann, setzt er sich auf die Bank, sein Knie berührt meines, ich rücke weg von ihm. Er lacht. „Keine Angst, ich bin ein Netter. Oder bin ich dir unangenehm?“ Er rückt wieder näher. Weiter wegrücken kann ich nicht, dann falle ich von der Bank. „Du hast die sinnlichsten Lippen, die ich je gesehen habe.“, raunt er. Wortlos stehe ich auf und gehe durch den belebten Park davon.
Zum Abschied ein unverschämtes, vulgäres Wort
Der Stadtgarten ist bei dem Wetter gut besucht. Auf der Grillwiese stehen Shishas neben dem Grill für die Nürnberger Würstchen. Eine afrikanische Familie feiert ein paar Meter weiter ein Fest, Frauen in bunten Kleidern tragen Kleinkinder auf den Hüften. Der Abschiedsgruß des Mannes tönt für alle hörbar über die Wiese – eine vulgäre Beleidigung.
Es ist das fünfte Mal, dass mir so eine Situation im Stadtgarten passiert. Das zweite Mal am selben Wochenende. Die Sonne lockt nicht nur die Familien aus ihren Wohnungen. Dabei hat der Stadtgarten so viel Potenzial. Angefangen bei der Natur, die eine Abwechslung im Beton-Dschungel der Innenstadt bietet, über die Spielplätze, hin zu Philharmonie und Aalto-Theater. Freizeitangebote für jede Altersgruppe. Doch mittlerweile lese ich mein Buch lieber auf dem heimischen Sofa als auf einer der Parkbänke unter den Magnolienbäumen. Die meisten meiner Freundinnen haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Es ist, als stehe „Freiwild“ auf unserer Stirn.
Steht „Freiwild“ auf unserer Stirn? Viele meiner Freundinnen haben ähnliche Erfahrungen gemacht
Dabei war der Stadtgarten immer als Ort der Erholung und Begegnung für alle gedacht. Sein Grundstein wurde im Jahr 1859 gelegt, was den Stadtgarten zur sowohl ältesten als auch größten öffentlichen Parkanlage Essens macht. Er wurde als grüne Lunge der Stadt geplant, ein Vorhaben, in das Essen immer wieder Geld und Mühe investiert hat. Bäume wurden gepflanzt, Spielplätze modernisiert, Bänke aufgestellt und Kunst installiert. 2022 ist die an die Hohenzollernstraße grenzende Wiese ein offizieller Grillplatz geworden. Bei gutem Wetter scheint halb Essen hier versammelt zu sein und die Stimmung schwankt an guten Tagen zwischen Volksfest und Familienfeier.
Seine Nutzbarkeit wird nur drastisch eingeschränkt, wenn man als Frau Sorge haben muss, nicht in Ruhe gelassen zu werden. Ich werde kreativ in der Gestaltung meiner eigenen Lebensgeschichte. Ich dichte mir Kinder herbei, die ich vom Kindergarten abholen muss, Väter oder Ehemänner die gleich kommen werden. Ich bin mittlerweile einsame Spitze darin, Telefonate zu imitieren. All das, weil ein „Kein Interesse“ meinerseits nicht ausreicht. In solchen Fällen geht es nicht ums Kennenlernen, sondern um pures Dominanzverhalten. Die Männer meinen offenbar, ich sei leichte Beute.
Die Männer, die mich im Stadtgarten angesprochen, sich aufgedrängt, oder mich sogar angefasst haben, sprachen sowohl Englisch als auch Deutsch mit Ruhrpott-Akzent, waren sowohl weiß als auch schwarz. Sexismus ist keine Eigenheit einer bestimmten Kultur, kein Problem der Hautfarbe. Es ist ein Männerproblem.
Männer, die sich aufdrängen, haben jede Hautfarbe. Es ist kein Kultur-, sondern ein Männerproblem
Zur Polizei bin ich noch nie gegangen, auch keine meiner Freundinnen. So unangenehm die Sache für uns ist, wollen wir trotzdem keine Szene machen. Das ist vielleicht ein Fehler, an diesem Punkt müsste ich mein Verhalten womöglich ändern. Ich lebe womöglich mit dem Vorurteil, dass meine Anliegen bei den Behörden nicht gehört oder als Bagatelle abgetan werden würden.
Die Konsequenzen, die ich bislang aus meinen Erfahrungen ziehe, sind so einfach wie traurig – ich gehe nicht mehr allein in den Stadtgarten. Dabei liebe ich den Park von ganzem Herzen, er ist einer meiner absoluten Lieblingsplätze meiner Heimatstadt. Ich liebe die Begegnung der Kulturen, die dort täglich stattfindet, ich liebe die Natur, ich liebe die Atmosphäre – meistens. Der Essener Stadtgarten ist als ein Ort für alle Bewohner und Besucher dieser Stadt geplant worden. Ich würde mir wünschen, dass er das auch bleibt.
Die Autorin (26) studiert den Masterstudiengang „Geschichtspraxis Interkulturell“ an der Uni Duisburg-Essen. Die Studierenden können im Rahmen eines Praxisprojekts journalistische Themen realisieren.
Was die Polizei zum Stadtgarten sagt:
Wie sicher ist der Stadtgarten? Ob sich Bürgerinnen und Bürger wohl fühlen in öffentlichen Grünanlagen oder nicht, bildet die Polizei-Statistik nicht ab. So ist es auch im Stadtgarten: Zwischen Anfang August 2022 und Anfang August 2023 wurde nach Angaben der Polizei genau eine Anzeige aufgegeben wegen sexueller Belästigung.
Der Stadtgarten, teilt ein Polizei-Sprecher mit, sei kein bekannter Kriminalitäts-Schwerpunkt. Es gebe regelmäßig Auseinandersetzungen wegen Ruhestörung oder Lärmbelästigung. Auch das bekannte Problem des wilden Grillens, das vor einem Jahr mit der Einrichtung einer Grillzone entschärft werden sollte, führt nicht zu deutlich mehr Delikten als andernorts.
Es bleibt zu vermuten: Die meisten Belästigungen, rein sprachlich oder sogar körperlich, werden von den Betroffenen in der Regel erst gar nicht zur Anzeige gebracht.
Fragen an die Autorin: Warum gehen Sie nicht zur Polizei?
Unsere Gast-Autorin schildert persönliche Erlebnisse von wiederholten Belästigungen.
Die Erlebnisse, die Sie schildern – passiert Ihnen das nur im Stadtgarten?
Nein. Im Grunde wird man schnell überall dort bedrängt, wo man sich hinsetzt – am Limbecker Platz, am Kennedyplatz, rund um den Hauptbahnhof. Man wird nach der Handynummer gefragt, und wenn man deutlich signalisiert, dass man kein Interesse hat, werden viele Männer aufdringlich, lassen nicht locker.
Warum gehen Sie nicht zur Polizei?
Für viele Frauen sind solche Erlebnisse alltäglich. Man hat irgendwie das Gefühl, man will mit solchen Problemen die überlastete Polizei nicht auch noch beschäftigen, so nach dem Motto: Die haben doch wichtigeres zu tun. So wird es einem auch oft eingeredet.
Woher wissen Sie, dass Sie kein Einzelfall sind?
Wenn man mit anderen Frauen zusammensitzt und die erste davon zu erzählen beginnt. Dann meldet sich die zweite Frau, und auch sie erzählt eine ähnliche Geschichte, dann die dritte und so weiter. Am Ende ist man betroffen und traurig, aber was man so richtig dagegen unternehmen sollte, fällt einem dann nicht ein. So besteht das Problem immer weiter.
Die Fragen stellte Martin Spletter.
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