Essen/Mülheim. Nach den Tumulten in der Essener Innenstadt weitet die Polizei ihre BAO Aktionsplan Clan aus. Syrische Strukturen sollen durchleuchtet werden.

Nach der gewalttätigen Auseinandersetzung rivalisierender Clans nimmt die Polizei Essen neben den libanesischen Milieus nun auch die Kriminellen unter den rund 16.000 syrischen Zuwanderern in der Stadt genauer ins Visier: Zu diesem Zweck wird die seit Jahren etablierte Besondere Aufbauorganisation Clan (BAO APC) personell verstärkt und durch die Organisationseinheit „Kriminalität durch Syrer“ erweitert. Ein möglichst detailliertes neues Lagebild ist in Arbeit, um Licht ins Dunkel syrischer Clan-Strukturen zu bringen.

Dies hat Polizeipräsident Andreas Stüve entschieden. Ziel sei es, die von Syrern begangene Kriminalität, insbesondere mit Bezügen zum Clan-Milieu, nun ebenfalls strategisch zu bekämpfen. Doch nicht nur die Tumulte von Mitte Juni in der Essener Innenstadt haben den Ausschlag für die Entscheidung des Essener Behördenleiters gegeben, sondern auch eigene aus Netzwerkarbeit und Ermittlungen gewonnene Erkenntnisse, so die Polizei. Und die werfen kein gutes Licht auf nicht wenige Mitglieder der syrischen Community.

Die größten Zuwächse unter den ausländischen Tatverdächtigen

In der polizeilichen Kriminalitätsstatistik fällt diese Gruppe der Zuwanderer inzwischen durch die größten zahlenmäßigen Zuwächse auf. Mit 1085 mutmaßlichen Straftätern haben die Syrer bereits im vergangenen Jahr einen bedenklichen Spitzenplatz unter den 8678 ausländischen Tatverdächtigen eingenommen. Klar ist für die Essener Polizei inzwischen: Die Kriminalitätsbelastung durch syrische Staatsangehörige steigt zusehends. Ihre Gruppe stellte nach Angaben der Essener Polizei zuletzt 4,8 Prozent aller mutmaßlichen Straftäter. Unter den nichtdeutschen Verdächtigen waren sie mit einem Anteil von 12,5 Prozent vertreten.

Wehret den Anfängen, lautet Stüves Devise: „Wir können und wollen nicht warten, bis sich kriminelle Strukturen verfestigen und von den nächsten Generationen übernommen werden. Die positiven Erfahrungen der bisherigen Arbeit unserer BAO Aktionsplan Clan wird auch hier langfristig zum Erfolg führen“, ist der Polizeipräsident überzeugt.

Um langfristig erfolgreich zu sein, verfolge die Behörde jedoch nicht nur einen repressiven, sondern einen ganzheitlichen Ansatz. Dafür müsse zunächst der Ist-Zustand analysiert werden. Das dafür notwendige Zahlen- und Datenmaterial wird von den Kommunen Essen und Mülheim zur Verfügung gestellt. Die Hochschule der Polizei und öffentliche Verwaltung NRW begleitet die Essener Polizei zudem wissenschaftlich bei der Erarbeitung eines Lagebildes.

Bekämpfung der Kriminalität nicht alleinige Aufgabe der Polizei

Dabei gehe es beispielsweise darum, das Rechtsverständnis, die Lebensweise, die Kultur oder um das Verhältnis der syrischen Community zu staatlichen Institutionen zu erfassen und zu verstehen.

Auch wenn sich die Essener Polizei bei der Bekämpfung der Clankriminalität durch Mitglieder türkisch-arabischer Großfamilien an die Spitze gesetzt hat, so macht sie einmal mehr deutlich, dass die neue Offensive gegen die Straftäter unter den Syrern ebenso nicht ihre alleinige Aufgabe sei.

„Wir werden auch hier in bewährter Weise eng mit all unseren Netzwerkpartnern zusammenarbeiten, um alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Prävention wird ebenfalls ein wichtiger Bestandteil des ganzheitlichen Ansatzes sein, hierbei kann das Konzept ,Kurve kriegen’ seine Wirkung entfalten“, so der Polizeipräsident.

Deutliche Warnungen gab es bereits vor Jahren

Vielleicht hat sich die Gemengelage zugespitzt, überraschend neu ist sie nicht. Bereits vor vier Jahren hatten Szenekenner deutlich vor einer bedrohlichen Entwicklung gewarnt: „Die kriminellen Angehörigen türkisch-arabischer Familienverbände sehen sich einem Verdrängungswettbewerb um kriminelle Märkte ausgesetzt, der durch Personen mit Herkunft aus Syrien beziehungsweise dem Irak forciert scheint. Diese konkurrierenden Gruppierungen werden – auch vor dem Hintergrund teilweise aktueller Kriegserfahrungen – im Milieu als besonders durchsetzungsstark und gewalttätig wahrgenommen“, hieß es da schon ziemlich unmissverständlich in einem Bericht des Landeskriminalamtes NRW.

Der in dem LKA-Papier unter Punkt 11.2 „Perspektiven“ damals noch sehr allgemein beschriebene Befund ist inzwischen ein offenbar ein handfestes Essener Phänomen. Als wäre die Stadt als identifizierte Hochburg der Clankriminalität im Land mit den ausweislich allermeisten Straftaten der vergangenen Jahre in dem beschriebenen Milieu nicht schon geschlagen genug: „Auf Essen kommt eine Entwicklung zu, die noch an Fahrt aufnehmen dürfte“, hieß die Einschätzung bereits vor Jahren.

Als ehemalige Dienstboten im Drogenhandel

Junge männliche Asylbewerber aus Syrien, die für die kriminellen Geschäfte der Platzhirsche aus den türkisch-arabischen Clans in den örtlichen Unterkünften als niedere Dienstboten etwa im Drogenhandel angeworben worden sind, schickten sich mehr und mehr an, ihren früheren „Arbeitgebern“ die lukrativen Geschäfte streitig zu machen. Nach dem Motto: Was die können, können wir schon lange.

Was übrigens auch für die örtliche Gastronomie zu gelten scheint. Die Polizei beobachtet mit steigendem Interesse, wie Bars und Cafés etwa in ehemals libanesischer Hand unter syrischer Regie neu eröffnet werden - von Geschäftsleuten, die den Ermittlern weit weniger bekannt sind als ihre Vorgänger, denen sie zusammen mit anderen Behörden regelmäßige Besuche abstatteten.