Essen. Viel Arbeit für nichts: Seit Jahren klagen Essener Buchhändler über europaweite Vorschriften bei Schulbuch-Bestellungen, die sinnlos erscheinen.
Kurz vor Beginn des neuen Schuljahres klagen Essener Buchhändler über die Vergabepraxis bei der Bestellung von Schulbüchern. Von „EU-Irrsinn“, „Bürokratie-Wahnsinn“ und einem nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Risiko ist die Rede. Auch in der Schulverwaltung wird hinter vorgehaltener Hand die Sinnhaftigkeit bestehender EU-Richtlinien bezweifelt.
Fragen und Antworten zu einem Ärgernis, das seit fast 20 Jahren jedes Jahr aufs Neue bei vielen Beteiligten die Haare zu Berge stehen lässt.
Stadt Essen muss Schulbuchbestellungen europaweit ausschreiben
Worum geht es?
Es gibt zwei Sorten von Schulbüchern: Jene, die „im Eigenanteil“ von den Eltern bezahlt werden müssen. Die meisten anderen Schulbücher – etwa zwei Drittel – werden aber vom Schulträger angeschafft, also der Stadt Essen. Diese Schulbücher bekommen Kinder und Jugendliche am Anfang des Schuljahres ausgehändigt und müssen zu Beginn der nächsten Sommerferien wieder abgegeben werden.
Was ist das Problem?
Die Stadt Essen kann diese Schulbücher für ihre Schulen nicht einfach irgendwo bestellen, sondern muss die Bestellungen europaweit ausschreiben. So soll lokaler Klüngel verhindert werden. Die Buchhändler mit dem besten Angebot sollen den Zuschlag erhalten. Nur: Die Buchpreisbindung – Bücher kosten überall das gleiche – verhindert, dass die Händler unterschiedliche Preise machen können. Deshalb werden die Ausschreibungen ausgelost.
Was heißt das konkret?
Die Stadt Essen hat zuletzt Schulbücher im Wert von 2,58 Millionen Euro pro Schuljahr bestellt. Die Aufträge wurden in 20 Tranchen aufgeteilt. Die Zuschläge erhielten – per Losverfahren – Buchhändler in Niedersachsen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Bayern ... und tatsächlich ein einziger Händler aus Essen. Die Bücher müssen also meist quer durch Deutschland gefahren oder verschickt werden.
Aber garantiert das Losverfahren nicht gleiche Bedingungen für alle?
Nur Ausschreibungsbeteiligungen, die alle formalen Anforderungen erfüllen, kommen überhaupt in die Lostrommel. Besonders kleine und mittelständische Buchhändler haben dafür weder Zeit noch das Personal. Wer sich auf die Verfahren einlässt, hat sehr viel Arbeit und ist am Ende aufs Losglück angewiesen.
Was sagen die Essener Buchhändler?
„Wir haben früher ganze Tage damit verbracht, uns an Ausschreibungsverfahren zu beteiligen“, berichtet eine Buchhändlerin aus Steele. „Dabei weiß man gar nicht, ob sich der Aufwand lohnt, deshalb lassen wir es mittlerweile.“ Ein Händler aus Rüttenscheid berichtet: „Der Aufwand ist wahnsinnig und lohnt sich für inhabergeführte Betriebe eigentlich überhaupt nicht.“ Und selbst große Filialbetriebe wie Thalia lassen ungewöhnlich deutlich ihren Unmut erkennen über die großen bürokratischen Hürden: „Thalia beteiligt sich grundsätzlich an allen EU-weiten Ausschreibungen“, berichtet eine Sprecherin der Unternehmenszentrale in Hagen. „Die Chance, eine Ausschreibung zu gewinnen, ist allerdings sehr gering, da sich sehr viele Unternehmen beteiligen. Diese Art der Ausschreibung ist für alle Beteiligten sehr arbeitsintensiv, und am Ende entscheidet das Losglück. Einen Vorteil für die betroffenen Schulen und Gemeinden können wir nicht erkennen.“
Einer der wenigen Essener Buchhändler, die sich an den Ausschreibungen beteiligen, ist Thomas Schmitz aus Werden: „Der Aufwand lohnt sich erst ab einem möglichen Volumen von 500.000 Euro“, sagt er. Der Aufwand sei groß, aber am Ende „ist es eine Mischkalkulation“, und weil die Ausschreibungen für mehrere Jahre vergeben werden, sei das Risiko, so gesehen, kalkulierbar. Schmitz ist übrigens der einzige Buchhändler in Essen, der bei der letzten Verlosung Glück hatte.
Was sagt die Stadt Essen?
Christel Thewes, im Fachbereich Schule (Schulverwaltungsamt) fürs Einkaufs- und Finanzmanagement zuständig, weist darauf hin, dass im Zuge der Digitalisierung die Lehrmittelbeschaffung für die Städte künftig noch viel komplexer und schwieriger wird: „Jeder Schulbuchverlag hat eigene Abläufe bei der Lizenzierung von digitalen Schulbüchern. Das können und wollen wir den Schulen nicht zumuten.“ Entsprechend wird die Verwaltung personell aufgestockt werden.
[Essen-Newsletterhier gratis abonnieren | Auf einen Blick:Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus:Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig & Werden + Borbeck & West | Alle Artikelaus Essen]