Essen. Guido Reil wird dem nächsten EU-Parlament nicht mehr angehören, die AfD verweigerte einen guten Listenplatz. Trotzdem hat der Essener Ambitionen.

Der Essener AfD-Europaabgeordnete Guido Reil ist gescheitert mit seinem Versuch, für die nächste Europawahl erneut einen aussichtsreichen Listenplatz zu erhalten. Beim Nominierungsparteitag in Magdeburg kam Reil am 29. Juli nur auf 47,5 Prozent, als er für den Listenplatz 4 kandidierte. Nötig wäre ein Quorum von 50 Prozent der Delegiertenstimmen gewesen.

AfD hat die Liste bis Platz 35 aufgestellt – der Name Guido Reil findet sich dort nicht

Mangels Erfolgserwartung trat Reil dann kein weiteres Mal für Listenplätze an, auch nicht bei der Fortsetzung des Parteitags am 4. und 5. August. Mittlerweile hat die AfD die Kandidatenliste bis Platz 35 vergeben, der Name Reil findet sich dort nicht. Damit ist klar, dass er dem nächsten Europa-Parlament nicht mehr angehört. Die EU-Wahl findet in Deutschland am 9. Juni 2024 statt.

In einem Statement kündigte der frühere Bergmann an, er wolle nach seinem Ausscheiden aus dem EU-Parlament wieder zu seinem alten Arbeitgeber, der RAG AG, zurückkehren. Ferner bleibe er kommunalpolitisch für die AfD aktiv. Reil deutete außerdem an, dass er eine Kandidatur für den Bundestag anstrebe.

Die Wahlplakate, für die es juristischen Ärger gab: Guido Reil in Bergmannskluft beim Landtagswahlkampf 2017.
Die Wahlplakate, für die es juristischen Ärger gab: Guido Reil in Bergmannskluft beim Landtagswahlkampf 2017. © FUNKE Foto Services | Ulrich von Born

Ein wichtiger Grund für Reils Scheitern dürfte sein, dass die westdeutschen Landesverbände in der AfD in letzter Zeit deutlich an Einfluss verloren haben – mit der Folge, dass mehr Parteimitglieder aus den ostdeutschen Landesverbänden auf aussichtsreiche Listenplätze gewählt wurden.

Björn Höcke soll ein eher distanziertes Verhältnis zu Reil pflegen

Ein weiterer Grund: Reil galt lange als Gefolgsmann des politisch gemäßigten früheren AfD-Chefs Jörg Meuthen, der Anfang 2022 aus der Partei austrat. Seitdem ist dieser Parteiflügel in Auflösung begriffen, hat keinen bekannten Spitzenrepräsentanten mehr und kann sich in der Regel weder inhaltlich noch personell auf Parteiversammlungen durchsetzen.

Der rechtsnationale thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke, derzeit wohl mit der mächtigste Strippenzieher in der AfD, galt stets als Intimfeind von Meuthen und soll folglich auch ein eher distanziertes Verhältnis zu Reil pflegen. Dass Reil in seiner Vorstellungsrede in Magdeburg für den Austritt Deutschlands aus der EU plädierte und damit dem Höcke-Lager weit entgegenkam, nützte dem Essener dann auch nichts Entscheidendes mehr. Reil ist in der weiter nach rechts verschobenen AfD anscheinend nicht mehr rechts genug.

Das war bei einem Parteitag vor fünf Jahren noch ganz anders: Zur Europawahl im Jahr 2019 war der Essener Ex-Sozialdemokrat Guido Reil noch auf Listenplatz 2 der AfD ohne Mühe ins Europaparlament eingezogen, sein Förderer Jörg Meuthen war seinerzeit Spitzenkandidat.

Dem heute 53-Jährigen war ein solcher Weg nicht an der Wiege gesungen worden. Mit 20 trat er aus Überzeugung der SPD bei, auch sein Vater und Großvater waren bereits Sozialdemokraten. Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Karnap, Mitglied der Bezirksvertretung und seit 2009 schließlich Mitglied des Rates der Stadt Essen waren weitere Stationen Reils. Wenig bis nichts deutete allerdings auf eine große politische Karriere hin.

Flüchtlingskrise 2015/2016 katapultierte Reil ins Rampenlicht

Moderator Frank Plasberg begrüßt Guido Reil 2016 in seiner Sendung „Hart aber fair“. Der frischgebackene AfD’ler ging bei Auftritten dieser Art zumeist unter.
Moderator Frank Plasberg begrüßt Guido Reil 2016 in seiner Sendung „Hart aber fair“. Der frischgebackene AfD’ler ging bei Auftritten dieser Art zumeist unter. © WAZ

Dann kam 2015/2016 die Flüchtlingskrise, und im Essener Norden begann es zu gären. Gemeinsam mit weiteren unzufriedenen Sozialdemokraten ging Reil auf Distanz zu seiner Partei. Auslöser war die Absicht der Stadt, weitere Flüchtlinge im Essener Norden unterzubringen, für Reil und andere ein untragbares Vorgehen, zumal die Ereignisse der Kölner Silvesternacht die Sorgen zu bestätigen schienen. Der immer härter werdende Konflikt führte zu einer Zerreißprobe in der Essener SPD, die weit über die lokale Ebene hinaus medial Aufsehen erregte und den Karnaper SPD-Mann zu überregionaler Bekanntheit verhalf.

Im Mai 2016 trat Reil schließlich aus der SPD aus und kurze Zeit später bei der AfD ein. Rasch konnte er in seiner neuen Partei aufsteigen, sein von ihm selbst immer stärker herausgestelltes Image als politisierender Bergmann und leutselig-kämpferischer Kümmerer aus dem Revier dürfte dabei förderlich gewesen sein und passte der AfD eine Zeit lang gut ins Konzept.

In den Wahlkämpfen der AfD als Redner bundesweit herumgereicht

Reil wurde in Wahlkämpfen bundesweit in AfD-Kreisverbänden herumgereicht und feierte mit seiner dampfplaudernden Art, die oft eher wie Comedy rüberkam, einige Erfolge. Zum Desaster gerieten hingegen mehrere durchaus quotenstarke TV-Auftritte.

Wie andere AfD-Leute auch, hatte Reil dann 2017 Ärger mit der Justiz, als er illegal Wahlkampfspenden aus der Schweiz erhielt.Finanziert wurde damit unter anderem auffällige und kostspielige Plakatwerbung für seine Landtagskandidatur in Essen.

Obwohl Reil öffentlich stets mit großen Plänen aufwartete, etwa einen machtvollen Arbeitnehmerflügel der AfD aufbauen wollte, ließ er den Ankündigungen nur sehr selten politische Taten folgen. Auch dies dürfte unter seinen Parteifreunden womöglich kritisch vermerkt worden sein. Das Scheitern könnte nun das Ende seiner politischen Laufbahn bedeuten.

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