Magdeburg/Essen. Von Essen nach Europa: Der Karnaper Ratsherr Guido Reil wird dank Listenplatz 2 aller Voraussicht nach ins nächste EU-Parlament einziehen.

Er gibt sich erst gar keine Mühe, seine diebische Freude zu verbergen: „Ich weiß, dass die jetzt alle kotzen“, brüllt also Guido Reil gegen den Lärmpegel in der Halle an – ohne sich darüber auszulassen, wen er denn nun mit „die“ überhaupt meint. Es müssen wohl all jene sein, die sich bis zuletzt nicht recht vorstellen konnten, dass der Karnaper Ratsherr demnächst ins Europa-Parlament einzieht.

Genau so aber wird’s wohl kommen, denn bei der Europa-Wahlversammlung der „Alternative für Deutschland“ in der Magdeburger Messe hat der 48-jährige Noch-Bergmann am späten Samstagabend den sicheren Listenplatz 2 erklommen, gleich hinter Spitzenkandidat Jörg Meuthen.

"Die einfachen Leute lieben mich", sagt Guido Reil

AfD sieht Chancen bis Platz 20

Bei der Europawahl 2014 erreichte die „Alternative für Deutschland“ mit 7,1 Prozent der Stimmen den Einzug von sieben Abgeordneten ins Europäische Parlament. Angesichts des aktuellen Umfrage-Niveaus und vor dem Hintergrund der eigenen europakritischen Historie rechnet sich die Partei Chancen aus, bis zu 20 der 96 deutschen Mandate zu erringen. Bei der Magdeburger Europa-Wahlversammlung sollen am Wochenende 40 Listenplätze besetzt werden.

Vorneweg der Professor und hintendrein der Malocher aus dem Ruhrgebiet – für Reil war das von Anfang eine Traumkombination, um zu dokumentieren, dass die „Alternative für Deutschland“ jenen Status der Volkspartei erreicht, den mancher politische Mitbewerber zu verlieren droht. Doch was er vor zwei Monaten im Überschwang der Gefühle per Facebook in die Welt posaunte, musste von über 500 Delegierten der AfD am Wochenende noch abgesegnet werden. „Die einfachen Leute lieben mich“, beteuert Guido Reil, aber eben nicht das „Establishment“: „Das war bei der SPD schon so – und das ist bei der AfD nicht anders.“

Entsprechend nervös war Reil, als es darum ging, sich in einer maximal siebenminütigen Vorstellungsrede zu präsentieren, wo doch AfD-Frontmann Alexander Gauland zuvor die Marschrichtung vorgegeben hatte: Man brauche „gutes kompetentes Personal“, betonte der Bundessprecher, „Leute, die der Arbeit gewachsen sind“. Mitglied des Europäischen Parlaments zu sein, das sei „kein Versorgungsposten: Es wird anstrengend dort.“

Reil will mit "Ruhrpottschnauze" die "Stimme des Volkes in Brüssel sein"

Genau diese Kompetenz hatte mancher selbst parteiintern bei Reil in Zweifel gezogen. Doch der wich - rhetorisch geübt nach über 300 Wahlkampf-Reden für die AfD – der Kritik und so manchem Spott über mangelnde Qualifikation für ein Mandat in Brüssel und Straßburg nicht etwa aus, im Gegenteil: Vielerorts zu hören, er sei der „nützliche Idiot“, der „Tanzbär“ der AfD“, „glaubt mir, das hat mich sehr getroffen“, bekannte Reil in seiner Rede vor den Delegierten.

Und drehte prompt den Anforderungsspieß um: Sprachen könne man lernen, Fachwissen etwa durch gute Mitarbeiter kompensieren. „Aber was man nicht lernen und nicht kompensieren kann, das ist Charakter, Anstand, Gradlinigkeit, Bodenständigkeit und gesunder Menschenverstand. Und solche Politiker brauchen wir in den Parlamenten“.

Guido Reil kandidiert fürs Europa-Parlament

weitere Videos

    Mit seiner „Ruhrpottschnauze“ wolle er „eure Stimme, die Stimme des Volkes in Brüssel sein“. Und wem das als Nominierungs-Argument nicht reiche, den lockte der Vorzeige-Malocher und Ex-Sozi mit der Aussicht auf Wahlerfolge, gerade aus dem sozialdemokratischen Lager: „Ich bringe euch viele tausend Stimmen. Ich werde zum Alptraum für die Arbeiterverräter Nahles, Maas, Stegner, Scholz, Schulz und wie sie alle heißen.“

    Nach der Stichwahl wollte Reil feiern

    Nicht dass der Saal da Kopf gestanden hätte. Aber es reichte, um im ersten Wahlgang seine drei Mitbewerber um den zweiten Europa-Listenplatz hinter sich zu lassen. Da Guido Reil dabei allerdings keine absolute Mehrheit erzielte, musste ein zweiter Wahlgang her, bei dem der Essener seinen Mitbewerber, den smarten, aber allzu glatt wirkenden 50-jährigen Münsteraner Unternehmer Martin Schiller deutlich hinter sich ließ. Wie sehr diesem die Niederlage gegen Reil auf den Magen schlug, ist nicht bekannt. Für den Essener kam der spätabendliche Triumph genau zur richtigen Ausgehzeit: „Ich mach jetzt mal n bisschen Party.“

    Mehr Infos zur Europawahl