Essen. Es riecht nach New York und weiter Welt, die Steine kommen aber aus dem Sauerland: Ein Besuch auf der U-Bahnbaustelle auf Essens „Südstrecke“.
Grelles Scheinwerferlicht macht die Nacht zum Tage. Staub liegt in der Luft und jener undefinierbare Geruch, den Fahrgäste aus den U-Bahnhöfen dieser Welt kennen. Ob New York, London, Tokio oder eben Essen. „Es riecht überall gleich“, sagt Hermann Dumke, bei der Ruhrbahn zuständig für Bauwerke und Infrastruktur, und erläutert warum: Es ist Graphitstaub, der durch Abrieb der Oberleitungen entsteht.
Wir sind im U-Bahnhof „Philharmonie“. Es könnte auch der Eingang zur Hölle sein. Als wir die letzte Tür hinter uns lassen und in den Tunnel treten, erinnert die Szenerie an einen Science-Fiction-Film aus Hollywood. In der Ferne sind schemenhafte Gestalten zu erkennen, dahinter verschwindet die Tunnelröhre in der Dunkelheit. Zum Glück ist der ohrenbetäubende Lärm, der gerade noch herrschte, jäh verstummt. Die schweren Maschinen ruhen. Der Besuch von oben beschert den Arbeitern eine unverhoffte Pause.
Im fünften Jahr schon wird hier unten gearbeitet. Damit auf der „Südstrecke“ moderne Niederflur-Straßenbahnen halten können, wurden die Bahnsteige der U-Bahnhöfe auf halber Länge abgesenkt. Gebaut worden waren sie einst für U-Stadtbahnen mit höherem Einstieg. Nun führen Rampen von einer Bahnsteigshälfte zur anderen. In wenigen Wochen ist die „Südstrecke“ barrierefrei.
Nach der Katastrophe von Kaprun sind die Anforderungen an den Brandschutz höher
Ruhrbahn-Vorstand Michael Feller spricht von einem „Meilenstein“ für den öffentlichen Personen-Nahverkehr in Essen. Ein Meilenstein, der den Steuerzahler 21,5 Millionen Euro kostet. Ein gehöriger Teil davon fließt in neuen Brandschutz, an den der Gesetzgeber höhere Ansprüche stellt, seit bei einem Brand in der Gletscherbahn von Kaprun in Österreich 155 Menschen ihr Leben ließen. Kleidung und Skiausrüstungen fingen Feuer. „In einer Straßenbahn könnten es Einkaufstaschen sein oder das Regal, das man gerade bei Ikea gekauft hat“, sagt Dumke.
Fluchttüren sollen im Falle eines Brandes lebensgefährlichen Rauch zurückhalten. Bei totaler Dunkelheit weisen grüne Lichter am Boden den Flüchtenden den Weg in Richtung Ausgang.
Im U-Bahnhof „Martinstraße“ wird auch 2024 gearbeitet
Der Umbau der Bahnhöfe ist weitgehend abgeschlossen. Am Bahnhof „Rüttenscheider Stern“ stehen bis Ende des Jahres noch Brandschutzarbeiten an, am Bahnhof „Martinstraße“ bis 2024. An allen unterirdischen Bahnhöfen der „Südstrecke“ werden Schotter und Gleise erneuert.
Der Aufwand ist enorm. „Die eigentliche Herausforderung ist die Logistik“, sagt Thomas Reiners, verantwortlich für den Gleisbau. Denn die Maschinen sind schwer zu rangieren, Loren können im Tunnel nicht einfach wenden.
600 Tonnen Schotter müssen allein am U-Bahnhof „Philharmonie“ ausgetauscht werden. Ein Staubsauger von der Größe eines Kleinwagens saugt den alten Schotter ab. Loren, die am U-Bahnhof Gruga beladen werden, bringen neuen Schotter, was minuziös geplant werden muss. Der Schotter kommt übrigens aus dem Sauerland. Es riecht hier unten eben nur nach New York und weiter Welt.
Im Tunnel riecht es nach New York, aber die Schottersteine kommen aus dem Sauerland
Die einzelnen Steine sind maximal 6,5 Zentimeter groß und scharfkantig, damit sie ineinandergreifen und später auch unter der Last eines U-Bahnzuges nicht mehr verrutschen können, wenn sie erst von der Stopfmaschine verdichtet wurden.
Stopfmaschine? Nur beim Namen denkt man vielleicht an Omas Nähkästchen. Auch dieses Gerät wirkt monströs, bei der Arbeit macht es einen Höllenlärm.
Zu Lärm und Staub kommen Abgase. Damit Menschen hier unten überhaupt arbeiten können, wird ständig frische Luft in den Tunnel geblasen und verbrauchte Luft abgesaugt. Im U-Bahnhof „Philharmonie“, der so groß ist wie eine Kathedrale, haben sie einen „Tunnel im Tunnel“ gebaut, damit der Luftdruck nicht abreißt.
Der Sauger hatte die Ausmaße eines begehbaren Kleiderschranks
Der tonnenschwere Sauger, der den Job erledigt, ist auf einem Fahrgestell von der Länge es eines Güterwaggons montiert und hat die Ausmaße eines begehbaren Kleiderschrankes, wie man ihn in der Villa einer Heidi Klum vermuten würde. Der Stromverbrauch des gesamten Maschinenparks ist mit 0,4 Megawatt pro Tag nicht minder beeindruckend. „Damit könnte man einen ganzen Essener Stadtteil versorgen“, sagt Thomas Reiners.
Wer über Tage auf den Schienenersatzverkehr wartet, wird sich davon kaum einen Begriff machen. Das Warten hat bald ein Ende. Die Stopfmaschine lärmt wieder los. Am 7. August, dem ersten Schultag nach den Ferien, sollen die Bahnen wieder fahren.