Essen. In einem Linienbus in Essen kommt ein Kind zur Welt. Milan (3010 Gramm, 46 cm) und die Mutter sind wohlauf, aber es gibt Kritik an der Ruhrbahn.

Fünf Tage sind seit der spektakulären Geburt im Linienbus 144 in Essen-Steele vergangen. Mutter und Kind sind wohlauf, wie man auch nach einer regulären Entbindung im Kreißsaal zu sagen pflegt. „Milan geht’s prima“, sagt Alexander Skopek (60), ein guter Freund der jungen Familie. Milans Geburt im „144er“ ist eigentlich eine anrührende Story mit einem Happy End. Trotzdem ist der Essener unzufrieden mit den Umständen der Geburt, seine Kritik richtet sich gegen Feuerwehr und Ruhrbahn.

Letzten Donnerstag (6. Juli) setzen am frühen Nachmittag die Wehen bei der hochschwangeren D. ein – zu früh passiert dies: glatte zwei bis drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Es ist bereits ihre dritte Schwangerschaft, die beiden vorherigen anderthalb und zweieinhalb Jahre zuvor waren ohne Komplikationen abgelaufen.

Wehen setzen gut zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin ein

Nach Skopeks Angaben greift die schwangere Frau kurz nach halb drei zum Telefon und alarmiert den Feuerwehr-Notruf 112. Auch von Wehen in kurzen Abständen, will sie berichtet haben. In der Wohnung im Isinger Feld ist sie zum Glück nicht alleine, ihr Lebensgefährte und die beiden kleinen Kinder sind auch da. „Doch die Feuerwehr hat sie abgewimmelt“, behauptet Skopek.

Feuerwehrsprecher Christoph Riße widerspricht: „Der Kollege in der Leitstelle hat gefragt, ob die Fruchtblase schon geplatzt war – dies wurde verneint.“ Somit habe sich die Hochschwangere nicht in einer lebensbedrohlichen Zwangslage befunden. In diesem Stadium, fügt er hinzu, würden werdende Mütter meistens noch rechtzeitig mit dem Auto oder einem Taxi zur nächsten Geburtsklinik gebracht.

Doch die junge Familie besitzt kein Auto. Und so entscheidet man sich, den Kreißsaal des Elisabeth-Krankenhauses mit dem Bus anzusteuern. Die beiden kleinen Kinder, so der Plan, sollten am Steeler Bahnhof noch schnell in die Obhut der Großeltern gegeben werden.

Im 144er der Ruhrbahn zum Kreißsaal: Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse

Doch schon kurz nach Betreten des 144er – etwa gegen 14.40 Uhr – überschlagen sich die Ereignisse. Die Mutter sitzt auf der Bank direkt an der Tür in der Wagenmitte und spürt, dass plötzlich der Kopf des Neugeborenen herausrutscht. Der Bus sei zu diesem Zeitpunkt zu „70 bis 80 Prozent“ gefüllt gewesen, zufällig sei auch die beste Freundin der werdenden Mutter an Bord gewesen.

Sie habe nicht nur die beiden kleinen Kinder beruhigt und sich um die Gebärende gekümmert, sondern auch den Fahrer aufgefordert, den Bus unverzüglich zu stoppen. Der Lebensgefährte der Mutter habe unterdessen einen weiteren Notruf bei der „112“ abgesetzt.

Doch der Busfahrer, so heißt es, habe nicht angehalten, sondern sei noch zwei Haltestellen weitergefahren bis zum Steeler Busbahnhof. Die Mutter liegt inzwischen im Gang des Busses auf dem Rücken, die beste Freundin hat ihr die Hose ausgezogen. Geburten zählen eigentlich zu den intimsten, privatesten Erlebnissen im Leben einer Frau. An diesem heißen Sommertag hingegen vollzieht sie sich auf dramatische Weise in Anwesenheit von Dutzenden Fahrgästen und das alles in der Beengtheit eines Linienbusses. Es sind diese seltsamen Augenblicke, in denen einem die Minute wie eine Stunde vorkommt. Bei der Ruhrbahn kann sich niemand an einen vergleichbaren Vorgang in jüngerer Vergangenheit erinnern.

Als der Bus in Steele stoppt, ist zufällig schon ein Team der Malteser vor Ort

Als der Bus am Bahnsteig hält, ist zufällig ein Rettungsteam der Malteser an Ort und Stelle, das wegen eines gestürzten alten Mannes zugegen ist. Sie können der Mutter und dem kleinen Milan Erste Hilfe leisten, noch bevor das Rettungsteam der Feuerwehr eintrifft.

Weil die junge Familie den Busfahrer kritisiert, hüllt sich die Ruhrbahn augenblicklich in Schweigen. Solange der Vorfall gründlich untersucht werde, wolle man keine Stellungnahme abgeben, sagt eine Ruhrbahn-Sprecherin.

Eine Reihe von Fragen sind für die Familie noch zu klären: Hat der Busfahrer die 112 alarmiert oder nicht? Hat er die Fahrgäste aufgefordert, den Bus zu verlassen? Oder tat das der werdende Vater allein, wie die Familie behauptet? Hat es der Busfahrer wirklich unterlassen, die Türen zum Bus zu schließen, während die erschrockene Mutter in prekärer Situation im Gang lag?

Milan – 3010 Gramm schwer und 46 Zentimeter groß – kommt abends schon nach Hause

Nun, die Notärztin durchtrennt um kurz nach 15 Uhr die Nabelschnur, untersucht gewissenhaft Mutter und Kind und bringt die beiden im Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn zur Notaufnahme des Elisabeth-Krankenhauses. Etwa sechs Stunden, so heißt es, verbleiben sie dort zur Beobachtung. Milan, der Frühgeborene, der es an diesem denkwürdigen Donnerstag im Juli so eilig hatte, das Licht der Welt zu erblicken, ist 3010 Gramm schwer und 46 Zentimeter groß. Am späten Abend kehren Mutter und Kind bereits in die Wohnung im Isinger Feld zurück.

Alexander Skopek, der vom Busfahrer enttäuscht ist und von der Leitstelle mehr Empathie erwartet hat, will jetzt die klärenden Gespräche mit Ruhrbahn und Feuerwehr abwarten. Die Eltern selbst wollten mit Milan vorerst nicht in die Öffentlichkeit gehen. „Die Mutter ist traumatisiert und psychisch schwer angeschlagen“, sagt der Familienfreund.

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