Essen. Ein interner Bericht der Sicherheitsbehörden in Düsseldorf nennt zum Teil verstörende Details der libanesisch-syrischen Zusammenstöße in Essen.

Nach den schweren Zusammenstößen zwischen Mitgliedern syrischer und libanesischer Clans in Essen und Castrop-Rauxel zeichnen die Sicherheitsbehörden in Düsseldorf ein eher beunruhigendes Lagebild. Trotz aktueller Beruhigung der Lage sei „mit weiteren Auseinandersetzungen auch im öffentlichen Raum zu rechnen“. Das geht aus einem internen Polizeibericht („VS – Nur für den Dienstgebrauch“) vor, der dieser Redaktion vorliegt. Neu sind Erkenntnisse der Ermittler über den mutmaßlichen Einfluss syrischer Schleuserbanden auf die Lage im Ruhrgebiet.

LKA Düsseldorf hat das syrische „Al-Sarawi“-Schleusernetzwerk im Visier

Dem Landeskriminalamt NRW lägen Hinweise zu dem auf dem Balkan aktiven syrischen „Al-Sarawi“-Schleusernetzwerk vor, heißt in dem Bericht. Deren Mitglieder sollen unmittelbar nach den Auseinandersetzungen in Essen und Castrop-Rauxel zur Rache aufgerufen haben. Und weiter heißt es: „Herkunft des Netzwerks soll unter anderem die ostsyrische Stadt Deir ez-Zor sein.“

Explizit erwähnt werden in dem vertraulichen Bericht auch Details zu den in Essen und im Ruhrgebiet aktiven syrischen Clans. Es handele sich demnach um Mitglieder des Albusraya-Clans, der ebenfalls im „Al-Sarawi“-Schleusernetzwerk aktiv sei. Die meisten Albusraya-Leute lebten aktuell in Dortmund, wo sich der Konflikt mit Mitgliedern der etablierten libanesisch-kurdischen Clans schon seit längerem hochschaukele.

Mitglieder des „Al-Sarawi“-Schleusernetzwerks sollen sich nach Erkenntnissen der Ermittler direkt in die Ausschreitungen in Castrop-Rauxel am 15. Juni und tags darauf in Essen eingemischt haben. Zu den Erkennungszeichen der Schleuserclans zähle der Zahlencode 505: eine Postleitzahl. Sie sei auf Pkw, Fensterscheiben und in Profilen in den sozialen Medien zu sehen – zur besseren Identifizierung und als Loyalitätsbekundung.

Salzmarkt in Essen: Schusswaffe gezogen, durchgeladen und in den Hosenbund gesteckt

In Duisburg-Hochfeld haben Vertreter syrischer und libanesisch-kurdischer Clans am 29. Juni demonstrativ Frieden geschlossen. „Wir entschudligen uns beim deutschen Staat“, hieß es. Und: „Ab jetzt sind wir Brüder mit unseren syrischen Brüdern, allen Syrern“.
In Duisburg-Hochfeld haben Vertreter syrischer und libanesisch-kurdischer Clans am 29. Juni demonstrativ Frieden geschlossen. „Wir entschudligen uns beim deutschen Staat“, hieß es. Und: „Ab jetzt sind wir Brüder mit unseren syrischen Brüdern, allen Syrern“. © privat

Dem internen Bericht zufolge liegt den schweren Zusammenstößen im Ruhrgebiet „ein grundsätzlicher Konflikt zwischen Personen aus den syrischen und libanesischen Familienverbünden“ zugrunde – und das mit einem hohen Mobilisierungs- und Gewaltpotenzial. Der Streit zwischen einer syrischen und einer libanesischen Familie in Castrop-Rauxel habe lediglich den Anstoß zu den Tumulten gegeben.

An mehreren Stellen, darunter auch in der abschließenden Gefährdungsbewertung, hebt der Bericht die Gewaltbereitschaft der rivalisierenden Clan-Gruppen hervor. Auch auf den „Einsatz von Waffen“ wird hingewiesen. So habe ein Polizist bei dem Angriff von 200-300 libanesisch-kurdischen Clan-Mitgliedern auf das syrische Restaurant am Salzmarkt – mitten in der Essener Innenstadt – beobachtet, „wie eine unbekannte Person eine Schusswaffe zog, durchlud und sie anschließend in den Hosenbund steckte“. Ein Detail, über das diese Zeitung bereits kurz nach der Tumultlage berichtete.

Bei der Auseinandersetzungen in Castrop-Rauxel seien nicht nur Messer, Baseballschläger, Schlagwerkzeuge und Macheten zum Einsatz gekommen, sondern auch eine „scharfe, teilgeladene Maschinenpistole“. Dem Vernehmen nach handelte es sich um eine „Uzi“.

Auch Autos würden als Waffe eingesetzt: Auf einem Supermarkt-Parkplatz in Castrop-Rauxel sei ein Pkw vorsätzlich in eine Menschenmenge gefahren habe mindestens eine Person angefahren.

So mobilisieren Clans: WhatsApp-Gruppen sollen mehr als Tausend Mitglieder haben

Die enorme Größe der WhatsApp-Gruppen im Clan-Milieu lässt auf das hohe Mobilisierungspotenzial der rivalisierenden Großfamilien schließen. WhatsApp lässt mittlerweile Gruppen mit maximal 1024 Mitgliedern zu. Aber ein Informant aus dem Clan-Milieu prahlte gegenüber der Polizei damit, einer Gruppe mit 2000-3000 Mitgliedern anzugehören.

Zwar werden Begriffe wie Parallelgesellschaft, Paralleljustiz und „Friedensrichter“ in dem Polizeibericht nicht explizit verwendet, aber man geht davon aus, dass Konflikte innerhalb der rivalisierenden Gruppen geregelt würden: „Eine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden ist nicht zu erwarten.“

Trotz der alarmierenden Details in dem internen Polizeibericht weist das NRW-Innenministerium auf den Erfolg der von Minister Herbert Reul (CDU) verfolgten „Strategie der Tausend Nadelstiche“ hin. So sei die Zahl der Tumultdelikte an Rhein und Ruhr rapide zurückgegangen: von 176 im Jahr 2017 auf nur noch 37 im vergangenen Jahr.

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