Essen/Castrop-Rauxel/Duisburg. Eine syrische und eine libanesische Familie haben sich im Ruhrgebiet eine Fehde geliefert. In Duisburg trafen sie sich vor dem „Friedensrichter“.
Ist der brutale Krieg zwischen einer syrischen und einer libanesischen Großfamilie im Ruhrgebiet beendet? Im sozialen Netzwerk Twitter ist ein Video zu sehen, das Mitglieder der Großfamilien bei einem sogenannten „Friedensrichter“ in Duisburg zeigen soll.
Veröffentlicht hat es das ARD-Politikmagazin „Kontraste“, das nach eigenen Angaben mit einer Reporterin exklusiv bei der Zusammenkunft in einer „Duisburger Eventlocation“ dabei war. Nach Informationen unserer Redaktion handelt es sich bei dem Treffpunkt um den Akkurt-Saal an der Paul-Esch-Straße in Hochfeld. Dort saßen ab 17 Uhr am Donnerstag die etwa 100 Vertreter beider Lager zunächst an runden Tischen.
In dem später aufgenommenen, zehn Sekunden langen Clip der ARD sind dann vor allem ältere Männer zu sehen, die sich die Hände schütteln. Sie tragen zum Teil Anzüge oder traditionelle arabische Gewänder. Die Stimmung scheint versöhnlich. Dazu passt: Die ARD will erfahren haben, dass nach den Vermittlungen durch den „Friedensrichter“ ein Friedensabkommen geschlossen worden sein soll. Das deckt sich mit Recherchen unserer Redaktion.
Familien-Fehde im Ruhrgebiet: Warum gehen sie den Weg zum „Friedensrichter“?
Dass die Fehde nun auf diese Weise beigelegt wurde, ist nicht ungewöhnlich: Denn die Familien lehnen in der Regel die deutsche Justiz ab. Gegenüber der Polizei gilt, ähnlich wie in den italienischen Mafia-Familien, die „Omertà“, die Schweigepflicht. Die „Friedensrichter“ sind dagegen eine äußerst anerkannte Instanz. „Die werden gut bezahlt“, erklärte der Milieu-erfahrene Duisburger Sonderermittler Nils Wille in der Vergangenheit.
Angesprochen auf Gerüchte über erste Verhandlungsrunden vor einem solchen „Friedensrichter“, hatte der Essener Polizeipräsident Andreas Stüve Mitte Juni angekündet, dass die Polizei „keine Form von Selbstjustiz duldet“. Diese Verhandlungen hätten keinen Einfluss auf das Ermittlungsverfahren, bei dem derzeit unter anderem Videomaterial ausgewertet wird.
Ganz konkret habe die Polizei Essen am Freitagmorgen von der Zusammenkunft erfahren. Am Donnerstagabend hätte ein Autofahrer bei einer Kontrolle schon vage Andeutungen gemacht, berichte Polizeisprecher Matthias Werk. Er stellt klar: „Hätten wir im Vorfeld davon gewusst, hätten wir es unterbunden.“ Denn: Bei derartigen Treffen bestehe der Verdacht der Strafvereitelung.
Massenschlägereien in Castrop-Rauxel und Essen
Brutale Aufeinandertreffen hatten in Castrop-Rauxel und Essen die Bevölkerung schockiert. Zunächst war es am Abend des 15. Juni in Castrop-Rauxel – ausgelöst durch einen Streit unter zwei elf Jahre alten Kindern – zu einer Massenschlägerei gekommen. Dabei gingen über 50 Beteiligte aus den beiden Familien bewaffnet mit Baseballschlägern, Dachlatten und Messern aufeinander los. Sieben Verletzte brachten Rettungskräfte anschließend in Kliniken. Einen Syrer mussten Ärzte notoperieren, um sein Leben zu retten.
Der Familien-Krieg ging dann in der Essener Innenstadt weiter: In der Nacht vom 16. auf den 17. Juni waren dort 150 bis 200 Personen an einem Gewaltexzess beteiligt. Die Kripo entdeckte bei den Untersuchungen am Tatort unter anderem 15 Messer in einem Gebüsch versteckt. Auch hier stellten die Beamten Messer, Latten mit Nägeln und weiteres Schlagwerkzeug sicher.
Gerüchteweise soll auch ein Drohszenario vor dem Bottroper Marienhospital am 20. Juni im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung stehen. Vor dem Klinikgebäude versammelten sich 80 Personen aus dem libanesischen Milieu.
Doch wie konnte der Streit zweier Kinder, deren Familien in Castrop-Rauxel im selben Mehrfamilienhaus leben, derart eskalieren? „Brandbeschleuniger“ scheinen das extrem stark ausgeprägte Ehrgefühl und der Zusammenhalt in den Verbünden zu sein. Laut Nahost-Experten leben viele Familien gerade aus dem Osten Syriens in echten Stammesstrukturen sind der Außenwelt gegenüber noch isolierter.