Essen. Die stark gestiegene Kinder- und Jugendkriminalität schlägt auch im „Haus des Jugendrechts“ durch. Ein Jahresbericht skizziert die Entwicklung.

Die in Essen zuletzt stark gestiegene Kinder- und Jugendkriminalität macht sich auch im „Haus des Jugendrechts“ bemerkbar: An der Alfredstraße sind im vergangenen Jahr 93 junge Intensivtäter betreut worden - so viele wie noch nie. Die Zahlen sind alarmierend.

Von den insgesamt 18.408 im vergangenen Jahr durch die Polizei Essen identifizierten Tatverdächtigen waren 728 jünger als 14 Jahre. Das ist im Vergleich zu 2021 ein Plus von über 50 Prozent. Eine deutliche Zunahme gab es auch bei den tatverdächtigen Jugendlichen: Ihre Zahl legte um 427 auf 1794 zu, was eine Steigerung von rund 31 Prozent entsprach.

Unterm Strich waren in Essen 3814 ermittelte Tatverdächtige jünger als 21 Jahre (+25,4 Prozent). Der Anteil der Ausländer in dieser Altersgruppe lag bei 18,7 Prozent. Die Polizei registrierte vor allem mehr Gewalt- und Eigentumsdelikte, die Auslöser für 2859 aller 4617 Verfahren des vergangenen Jahres waren.

Dies geht aus der jüngsten gemeinsamen Bilanz der Ermittlungsgruppe Jugend, der Staatsanwaltschaft und der Jugendberufshilfe hervor, die seit fünf Jahren unter einem Dach zusammenarbeiten, um junge Straftäter möglichst früh von der schiefen Bahn zu holen.

Fünf Straftaten binnen eines Jahres sind die Eintrittskarte

Trotz des Negativ-Trends bei der Jugendkriminalität, der nach Einschätzung von Experten vor allem eine Folge der Corona-Pandemie sein soll, durchaus mit Erfolg: Auch wenn fast jeder zweite betreute Nachwuchskriminelle trotz aller Anstrengungen rückfällig wurde, sind 33 Prozent der betreuten Kinder und Jugendlichen zuletzt straffrei geblieben.

Betrachtet man die Gruppe junger Menschen, die bei einem Rückfall in die Kriminalität gleich wieder drei oder mehr Straftaten begangen haben, so ist erkennbar, dass deren Zahl deutlich rückläufig ist. Lag die Quote im Jahr 2021 noch bei 13,3 Prozent, so ging sie im vergangenen auf 3,3 zurück.

Fünf Straftaten binnen eines Jahres sind die sichere Eintrittskarte zu dem Intensivtäterprogramm, in dem sich Mädchen und Jungen wiederfinden, die jünger als 18 Jahre sind und Delikte wie etwa Raub, Körperverletzungen oder Diebstähle begangen haben. Entlassen werden sie, wenn sie zwölf Monate lang nicht mehr unangenehm aufgefallen sind, länger als ein Jahr in Haft waren oder das 21. Lebensjahr vollendet haben.

„Kurve kriegen“ für noch jüngere Straftäter

Jede und jeder von ihnen hat im Haus des Jugendrechts einen festen Ansprechpartner bei Polizei, Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft. Diese Zuordnung wie das Wissen um die familiären und sozialen Umstände hilft, geeignete und auf den Einzelfall abgestimmte pädagogische Angebote zu finden. Zudem wird die ganze Familie von der Jugendgerichtshilfe betreut, auch um sich frühzeitig Geschwistern annehmen zu können, die ebenfalls auf die schiefe Bahn zu geraten drohen.

Zum Stichtag 31. Dezember 2022 wurden 73 Personen als junge Intensivtäterinnen oder Intensivtäter aus Essen/Mülheim in der Einrichtung geführt, davon befanden sich zehn Jugendliche in Haft, Untersuchungshaft oder U-Haftvermeidung. 2022 wurden 46 Klienten neu in das Programm aufgenommen, andere aus unterschiedlichen Gründen entlassen.

Zum „Haus des Jugendrechts“ gehört auch die Initiative „Kurve kriegen“, bei der zwei Sachbearbeiter der Ermittlungsgruppe Jugend mit drei pädagogischen Fachkräften der Arbeiterwohlfahrt Essen zusammenarbeiten und sich um noch jüngere potenzielle Straftäter kümmern. Der generelle Fokus liegt auf den Acht- bis Fünfzehnjährigen, die bereits mindestens eine Gewalttat oder drei Eigentumsdelikte begangen haben.

Wer die Kurve nicht kriegt, landet im Intensivtäterprogramm

Im Jahr 2022 wurden 41 Kinder und Jugendliche im Rahmen der Initiative in Essen betreut. Seit dem Start von „Kurve kriegen“ in Essen vor fünf Jahren haben 92 Kinder- und Jugendliche an dem Programm teilgenommen oder werden aktuell noch in Maßnahmen betreut. Das Durchschnittsalter liegt zwischen zwölf und 13 Jahren. 39 der mehrheitlich männlichen Teilnehmer haben die Initiative „Kurve kriegen“ erfolgreich durchlaufen. 21 haben die Betreuung abgebrochen, auch davon wurden einige in das Intensivtäterprogramm der EG Jugend übergeleitet.

Im April 2020 wurde ein Projekt zur „Prävention von Clankriminalität“ umgesetzt. Derzeit werden in diesem Rahmen in Essen sieben Kinder pädagogisch betreut und deren Familien begleitet, um ihnen deutlich zu machen: Es gibt ein Leben ohne Straftaten.