Essen. Die Stadt Essen wollte eine neue Flüchtlingsunterkunft in Heidhausen eigentlich selbst kaufen, ein Investor kam ihr zuvor. Jetzt wird es teuer.
Es mag zynisch klingen, aber das Prinzip von Angebot und Nachfrage regelt auch den Preis, wenn es um die Unterbringung von Flüchtlingen geht. Weil die Stadt Essen händeringend nach Unterkünften sucht, wird sie für einen Millionenbetrag ein leerstehendes Verwaltungsgebäude an der Barkhovenallee in Heidhausen anmieten, das ihr ein Immobilienunternehmen mit Sitz in der Nachbarstadt Bottrop angeboten hat.
Diese Entscheidung legt Oberbürgermeister Thomas Kufen dem Rat der Stadt in der Sitzung am Mittwoch nahe. Dass der Vorschlag angenommen wird, darf als sicher gelten. CDU und Grüne, die gemeinsam die Mehrheit im Rat stellen, wollen zustimmen. „Wir haben uns nach intensiver Diskussion dafür entschieden“, sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Fabian Schrumpf für seine Fraktion und lässt durchblicken, dass die Christdemokraten sich damit durchaus schwergetan haben. Nicht nur, weil es in der Partei vor Ort rumort; eine Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft, das findet in Heidhausen nicht jeder gut.
Mit dem Investor ist die Stadt Essen bereits im Geschäft
Es seien aber die „wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“, so Schrumpf, die in der CDU-Fraktion für Stirnrunzeln sorgten – und nicht nur dort. Der Vermieter, die TSW Wohnbau GmbH aus Bottrop, hat der Stadt ein Angebot über einen langfristigen Mietvertrag vorgelegt, lässt die Verwaltung wissen. Laufzeit: zwölf Jahre. Bindet man sich etwas ans Bein, dass möglicherweise schon in wenigen Jahren nicht mehr benötigt wird? Auch diese Frage wird in der Politik diskutiert.
Das Angebot ist bis zum 18. Mai befristet, dem Tag nach der Ratssitzung. Dass hier jemand der Stadt die Pistole auf die Brust setzt, wissend um die Nöte bei der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete, davon will Fabian Schrumpf für die CDU nicht sprechen.
Unmut ist in den Reihen der Politik aber deutlich zu spüren. Auch darüber, dass man erst auf Nachfrage von der Stadtverwaltung erfahren hat, wer sich hinter der Bottroper Wohnbau GmbH verbirgt. Nach Informationen handelt es sich um Peter Jänsch, den in Essen wohlbekannten Unternehmer und Investor, mit dem nicht nur die Stadt Essen in Sachen Flüchtlingen längst im Geschäft ist.
Zur Abgabe eines Kaufangebotes durch die Stadt Essen kam es nicht mehr
Peter Jänsch hat aus der Unterbringung von Geflüchteten ein Geschäftsmodell gemacht, in dem er Immobilien erwirbt, umbaut und vermietet. Das Land NRW kam so an den Opti-Gewerbepark in Altendorf, den es 2016 für zehn Jahre anmietete, um dann vorzeitig aus dem Mietvertrag auszusteigen, was dem Unternehmer eine Entschädigung in Millionenhöhe bescherte.
Jänsch ist auch Eigentümer des ehemaligen Klosters Schuir, das die Stadt Essen 2017 für 15 Jahre angemietet hat, um dort Flüchtlinge unterzubringen für knapp eine Million Euro pro Jahr. Mieten sei günstiger als kaufen, hieß es damals aus dem Amt für Wohnen und Soziales.
Das Verwaltungsgebäude an der Barkhovenallee 1 hätte die Stadt gleichwohl lieber gekauft. Die städtische Immobiliengesellschaft IME unternahm den Versuch, die Immobilie zu erwerben, erfuhr aber, dass der Verkauf unmittelbar bevorstehe. Zur Abgabe eines konkreten Angebotes sei es deshalb nicht mehr gekommen. Peter Jänsch hatte offenbar den richtigen Riecher – und schnappte der Stadt das Gebäude vor der Nase weg. Dass er es der Stadt Essen nun zur Miete andient mit Aussicht auf Erfolg, hat für manchen in der Politik einen faden Beigeschmack.
Die Stadt Essen rechnet mit bis zu 2000 Geflüchteten
„Die Stadt ist leider das schwächste Glied in der Kette, sagt CDU-Fraktionschef Fabian Schrumpf in Anspielung an die Berliner Flüchtlingspolitik – und kommt wohl gar nicht drumherum, das Mietangebot anzunehmen für rund 550.000 Euro pro Jahr, Betriebskosten inklusive.
Denn schon seit Monaten sucht die Verwaltung Immobilien, die sich für die Unterbringung von Flüchtlingen eignen, sagt Sozialdezernent Peter Renzel. Fallen doch in den kommenden 12 bis 15 Monaten 940 Plätze in sogenannten Behelfseinrichtungen weg, wie Renzel vorrechnet, darunter das ehemalige Marienhospital in Altenessen und das aufgegebene St. Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg. Mit beiden Immobilien hat die Stadt andere Pläne. 250 Plätze an der Barkhovenallee machen diesen Verlust noch nicht wett.
Hätte die Stadt nicht Vorsorge treffen müssen? „Der Krieg in der Ukraine war nicht absehbar“, entgegnet Peter Renzel. Absehbar sei, dass die Stadt Essen weitere Menschen aufnehmen muss, nicht nur aus der Ukraine. Bis zu 2000 Personen dürften es rechnerisch sein, so Renzel, sollte die Prognose zutreffen, dass Deutschland in diesem Jahr 300.000 Flüchtlinge erwartet.
Geflüchtete in Turnhallen unterzubringen wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, dies gilt es aus Sicht von Politik und Verwaltung unbedingt zu vermeiden. Die Immobilie an der Barkhovenallee dürfte laut Renzel deshalb nicht die Letzte gewesen sein, über die zu reden sein wird, wenn es um mieten oder kaufen geht.