Essen. In Essen-Heidhausen will die Stadt ein altes Bürogebäude mieten und als Flüchtlingsunterkunft nutzen. Vermieter will langfristigen Vertrag.
Dass Bund und Länder am selben Tag beim „Flüchtlingsgipfel“ in Berlin darüber stritten, wer für die Unterbringung weitere Geflüchteter aufkommt, war reiner Zufall. In Essen befasst sich die Politik derweil mit einer neuen Flüchtlingsunterkunft, die im Süden der Stadt in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude an der Barkhovenallee 1 in Heidhausen entstehen soll. Bis zu 250 Menschen will die Stadt dort noch in diesem Jahr unterbringen. Dies legte die Stadtverwaltung dem Haupt- und Finanzausschuss des Stadtrates nahe.
In der Beschlussvorlage, mit der sich der Fachausschuss am Mittwoch erstmals befasste, spricht die Verwaltung von „zwingenden Notwendigkeit zur Akquise zusätzlicher Unterbringungskapazitäten“. Demnach stehen in Übergangsheimen und Behelfsunterkünften aktuell 2556 Plätze zur Verfügung, von denen 2001 Plätze belegt sind. Von den rechnerisch 555 freien Plätzen könnten allerdings tatsächlich nur 201 Plätze genutzt werden aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen der Betroffenen und weil die Stadt darauf verzichtet, Familien und Einzelpersonen in einem Raum unterzubringen.
Bis zum Jahresende fallen in Essen 616 Plätze für Flüchtlinge in Behelfseinrichtungen weg
Rund 1.100 Plätze entfallen auf sogenannte Behelfseinrichtungen, darunter das ehemalige Marienhospital in Altenessen und das ehemalige St. Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg. Beide werden nach dem Willen der Politik für die medizinische Versorgung genutzt und stehen für die Unterbringung von Flüchtlingen bald nicht mehr zur Verfügung. Die Plätze in St. Vincenz fallen zum 1. September dieses Jahres weg, der Mietvertrag endet zum 31. März 2024. Auch die Unterbringung im ehemaligen Kardinal-Hengsbach-Haus in Werden und in einem Hotel an der Müller-Breslau-Straße läuft dann aus.
Kurzum: Die Stadt sieht dringenden Bedarf für neue Plätze. Auch weil niemand wisse, wie lange der Krieg in der Ukraine noch dauern wird. Die Stadtverwaltung legt der Politik deshalb nahe, neue Plätze zu schaffen und hält das ehemalige Verwaltungsgebäude an der Barkhovenallee 1 in Heidhausen für geeignet. Der Stadt liege ein Angebot seitens des Eigentümers, der TSW Wohnbau Bottrop, vor über einen langfristigen Mietvertrag.
Rund 6,6 Millionen Euro müsste die Stadt für Miete und Betriebskosten aufbringen
Die Immobilie stammt aus den 1980er Jahren. Um sie als Gemeinschaftsunterkunft nutzen zu können, muss sie umgebaut werden. Die dafür kalkulierten Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro würde der Eigentümer übernehmen, so die Verwaltung. Dafür verlange der Vermieter, dass die Stadt einen langfristigen Mietvertrag akzeptiert. Laufzeit: zwölf Jahre. Die Anmietung würde die Stadt laut Kalkulation der Verwaltung rund 553.000 Euro pro Jahr kosten – macht rund 6,6 Millionen Euro über die gesamte Laufzeit.
Ab Herbst könnte das Gebäude als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden. Da bis Jahresende mit den Behelfseinrichtungen in Altenessen und Stoppenberg insgesamt 616 Plätze wegfallen, würde die Barkhovenallee 1 diesen Verlust nur zum Teil ausgleichen.
8419 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wurden seit März 2022 in Essen erfasst
Seit März vergangenen Jahres hat die Stadt Essen 8419 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine erfasst. Die Mehrzahl kam bei Verwandten oder Bekannten unter. 2262 Personen wohnten oder wohnen in städtischen Unterkünften. Von Januar 2022 bis April 2023 wurden Essen zudem 1.399 Geflüchtete aus anderen Ländern zugewiesen.
Die gesetzliche Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen hat die Stadt Essen zu 99,8 Prozent erfüllt (Stand 5. Mai). Rechnerisch müsste die Stadt nur noch 14 Personen unterbringen. Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass Essen pro Jahr 1500 Menschen unterbringen muss – bei 208.000 Asylanträgen insgesamt in Deutschland.
Der Rat der Stadt wird sich mit dem Vorschlag der Verwaltung in seiner Sitzung am 17. Mai befassen. Der Eigentümer der Immobilie in Heidhausen hat der Stadt eine Frist bis zum 18. Mai gesetzt. Dann soll sie sich entscheiden, ob sie das Angebot annimmt.