Essen-Stoppenberg. Balancieren, springen, klettern: Familien haben die Parkour-Anlage auf dem Gelände der Essener Zollverein getestet. Das haben sie gelernt.
„Mir ist jetzt schon heiß“, stöhnt Nicole Schalk und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Sie zieht eine Wasserflasche aus dem Rucksack. Mit Mann und Sohn nimmt die 47-Jährige aus Heisingen am Parkour-Familientraining auf der 600-Quadratmeter-Anlage in Stoppenberg teil. Im Schatten der ehemaligen Kokerei auf Zollvereins Areals C lernt sie mit rund 20 anderen bei einem Schnupperkurs den Trendsport kennen.
Familien üben beim Parkour-Training den „Monkey“
Erster Eindruck: Alles sieht so einfach aus. Gerade üben die Familien unter Anleitung zweier Trainer den „Monkey“ auf der Fläche vor den Betonklötzen, Rohren, Stangen, Mauern und Treppen. In der Hocke bewegen sich Mütter, Kinder und Väter leicht drehend vorwärts und machen sich ganz wörtlich zum Affen, denn sie schwingen wie Primaten die Arme nach vorn. Die Hände berühren den Boden. Der graue Untergrund federt die Bewegungen sanft ab. „Stürze sollte man dennoch vermeiden“, warnt Manon Vanjek.
Die Trainerin zeigt Jung und Alt an diesem Sonntagvormittag zwei Stunden die ersten Schritte beim Parkour – das man wirklich mit „k“ und ohne „s“ schreibt. Als Co-Trainer wirkt Justus Kanter mit, ein bekannter „Traceur“, der sich mit geübten Sprüngen gern Wege durchs Revier bahnt.
Parkour: Entfernungen schnell und effektiv mit Körperkraft zu überwinden
Beweglichkeit, Kraft und Koordination sind gefragt beim geschickten Überwinden der Hindernisse. Parkour-Profis („Traceure“, frz.) brauchen keine Anlage. Viele in der Szene sehen sich weniger als Sportler, sondern als Menschen, die eine kreative Art der Fortbewegung betreiben. Sie bezwingen Mauern, Geländer, Poller oder Treppen. Balancieren, fliegen, klettern, rollen und springen durch städtische Räume. Gefahren gilt es einzuschätzen und stets im Auge zu behalten, ob man in der Lage ist, einen Weg sicher zu meistern. Hinter allem steht das Ziel, die Entfernung zwischen zwei Punkten möglichst schnell und effektiv zu überwinden. Aus eigener Körperkraft.
„Meine Handgelenke tun weh“, sagt Lukas Rosenberg nach ein paar „Monkeys“. Der Neunjährige ist mit seiner Mutter Gosia aus Altenessen zum kostenlosen Schnuppern gekommen. „Sonst spiele ich Tennis und Fußball“, erzählt der blonde Junge. Parkour wollte er schon länger testen. „Wenn es uns gefällt, fahren wir demnächst nachmittags mit dem Rad hierhin“, so Gosia Rosenberg. Nach dem Aufwärmen gönnt auch sie sich eine Trinkpause. „Das Training ist gut. Ich mag diese lockere Art, das motiviert.“ Schon steht sie wieder in der Reihe.
Hoffnung auf Parkour-Anlage im Essener Süden
Im Schlusssprung hüpft die Gruppe die flachen Treppenstufen hinauf. Hakon Schalk blickt skeptisch. Noch sitzt der Heisinger Familienvater beobachtend auf der Betonmauer am Rand der Anlage. Das Training habe seine Frau gebucht. „Bis heute Morgen wusste ich nichts davon“, erzählt der 46-Jährige. Seine Nicole hat sichtlich Freude an der neuen Bewegungsform, trotz des schwülen Wetters.
Kilian (12), Sohn des Ehepaares, bringt erste Erfahrungen aus einem Kurs in Rüttenscheid mit. „Dieses Angebot wurde leider gestrichen. Jetzt gibt es überall Wartelisten, die wir sonst nur von Schwimmkursen kennen“, fügt seine Mutter an. Familie Schalk hofft auf eine weitere Parkour-Anlage im Süden. „Vielleicht wird ja etwas aus den Plänen am Benderpark in Kupferdreh.“
Körperbeherrschung wird beim Parkour geschult
„Vor allem Kopfsache“, seien viele Übungen, findet Gosia Rosenberg. „Die Erwachsenen sehen sofort die lauernden Gefahren“, meint sie. „Kinder gehen die Hindernisse unbesorgter an.“ Die 40-Jährige klagt nach dem Kurs über „Beine wie Pudding‘“. Mit einem glücklichen Lachen. Sie sei mächtig stolz auf sich. Dank der Trainer habe sie Neues gewagt und die Herausforderungen gemeistert. Im Garten springt sie täglich eine halbe Stunde Seilchen und pumpt zweimal pro Woche im Fitness-Studio. „Bei trockenem Wetter macht mir der Sport an der frischen Luft mehr Freude.“
Ihr Sohn Lukas rutscht beim Parkour an einem Betonkübel leicht ab. Nach dem ersten Schreck und ein paar Minuten mit einem Kühl-Pack auf dem Knie sei alles vergessen. „Beim Parkour lernt man Körperbeherrschung. Und Kraft und Können einzuschätzen.“ Gleich am Freitag will die Rechtsanwaltsgehilfin wieder zur öffentlichen Anlage kommen. „Toll, dass es so etwas im Norden gibt“, lobt sie.
Balancieren über stillgelegte Eisenbahntrasse
„Ganz schön anstrengend! Ich bin rundum fertig“, sagt Nicole Schalk zum Abschluss. Sonst macht die Betriebswirtin regelmäßig Yoga. Jetzt habe sie sich die Sonntagstorte bei Freunden schwer verdient, scherzt sie. Über die stillgelegte Eisenbahntrasse zu balancieren, fand sie besonders gut. „Das sollte man sonst nirgendwo machen, viel zu gefährlich“, warnt Trainerin Manon Vanjek. Heizungsbauer Andreas Theisen (45) sieht sportlich aus. „Das wirkt nur so‘“, räumt der Gelderner ein. In Zukunft will er mehr Parkour-Sport treiben. Seine Nichte Pia (11) aus Haarzopf lobt die geduldigen Trainer: „Hat man etwas nicht verstanden, darf man immer nachfragen.“
Hindernisse zu überwinden, übt die Gruppe spielerisch auf einer öffentlichen Freifläche. Bunte Ringe und Säckchen gilt es einzusammeln, ohne den Boden zu berühren. Wie bei einem Kinderspiel. Nur über Klötze führt der Weg. Erwachsene geraten schnell an Grenzen. Ihre eigenen habe sie heute überschritten, erklärt Nicole Schalk stolz. Ihr Fazit: „Einmal andere Wege zu wagen, steigert das Selbstvertrauen.“
Parkour-Anlage öffentlich zugänglich
Die 2017 an der Kokerei auf Zollverein gebaute Parkour-Anlage in der Nähe von Mischanlage und Werksschwimmbad ist öffentlich zugänglich und bis 22 Uhr beleuchtet. Die Kombination aus Würfeln, Stangen und Wandflächen erlaubt Freizeitsportlern ab etwa acht Jahren ein abwechslungsreiches Training.
Das Awo-Kreisjugendwerk bietet Kurse für alle Altersgruppen an. Info und Anmeldung: j.boll@jugendwerk-essen.de.
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