Essen. Parkour – der urbane Hindernis-Sport ist aus der Region nicht mehr wegzudenken. In Essen ist die Zeche Zollverein mehr als nur ein Trainingsort.
Marek rennt auf die Betonwand zu, hebt ab, schwingt sich hinüber, um dahinter fast lautlos wieder auf dem Boden zu landen. „Ich bin schon als kleines Kind viel geklettert, habe Unsinn gemacht und bin weggerannt“, sagt der 18-Jährige, „Dafür ist dieser Sport perfekt – bloß, dass ich jetzt keinen Unsinn mehr mache. Ist doch besser, als vor dem PC zu hängen.“
Seit drei Jahren rennt, springt und überwindet Marek Matt fast täglich Hindernisse, meist an der Parkour-Anlage auf Zeche Zollverein (lesen Sie hier mehr). Parkour, die französische Kunst der effektiven Fortbewegung, hat sich im Revier vielerorts als urbaner Sport etabliert. Auf der 2017 gebauten Übungsplatz in Essen mit Betonklötzen, Rohren, Mauern, Treppen und Stangen trainieren nahe der Kokerei sieben mal in der Woche Kinder, Jugendliche sowie Erwachsene Ü40 (lesen Sie hier mehr) ihr Geschick, sich mit ihrem Körper über jedes Hindernissen von A nach B zu bewegen.
Parkour-Sportler gewinnt „mehr Balance im Alltag“
„Für mich ist das Bewegungskunst. Parkour war mein Reha-Sport, der mir nach einer schweren Krankheit geholfen hat, ein Verhältnis zu meinem Körper aufzubauen“, erklärt Trainer Justus Kanter, während um ihn ein Dutzend Jungen im Grundschulalter herumtoben und sich an den Hindernissen versuchen. „Seit drei Jahren trainiere ich sehr intensiv und habe seitdem ein anderes Bewegungsgefühl und auch mehr Balance im Alltag“, so der 29-Jährige.
Gemeinsam mit acht anderen Trainern bietet er die offenen, kostenlosen Parkour-Kurse auf Zeche Zollverein (lesen Sie hier mehr) an: Themen- und Techniktraining, Training für Mädchen, Krafttraining, Flowtraining und Ü40-Training – organisiert von der AWO-Jugendhilfe Essen. „Zwischen sechs und 18 Leute kommen zu den Trainings, vor allem Jungs“, erklärt Justus, „manche kommen seit Jahren, andere hier habe ich noch nie gesehen.“
Parkour-Anlage lockt aufgedrehte Kids und muskelbepackte Jugendliche
Die Parkour-Anlage ist frei zugänglich. Daher kommen an diesem Trainingsabend nicht nur die aufgedrehten Kinder für ihre Parkour-Stunde (lesen Sie hier mehr) aus allen Richtungen des Zechengeländes zusammen, auch viele fitnessbegeisterte Erwachsene nutzen den Trainingsort für ihren Sport. Justus’ Trainerkollege Pit Hantzsche verteilt Desinfektionsmittel und Teilnehmerlisten an die tobenden Jungs, die beim Springen, Landen und Durcheinanderlaufen immer mal wieder stolpern oder stürzen – ohne dass es ihnen etwas auszumachen scheint.
Schon gewusst?
Ursprung: Parkour geht auf die „Méthode naturelle“ zurück, ein Training, das der Franzose Georges Hébert Anfang des 20. Jahrhunderts an der Uni Reims lehrte. Er ließ seine Studenten in der Natur rennen, springen, klettern, balancieren und schwimmen – ganz ohne Konkurrenzkampf.
Schnittstelle: Raymond Belle und sein Sohn David Belle entwickelten seit den 80ern „le parcours“ in der urbanen Beton- und Stahl-Landschaft Pariser Vororte weiter. Parkour überschneidet sich mit Sportarten wie Freerunning, Tricking oder Extremhindernislauf.
Pit versucht sie zu bremsen: „Jetzt wo ich weiß, wie viel Sprungkraft ihr habt, üben wir einen ,Safety Vault.’“ An einem hüfthohen Rohr zeigt der 18-jährige Trainer die sichere Sprungvariante. „Aus Sicherheit haben wir hier an mehreren Stellen Kontakt mit dem Rohr, denn was passiert, wenn man schnell abspringt ohne einsehen zu können, was dahinter ist?“, fragt der Parkour-Läufer (lesen Sie hier mehr), stoppt seine Sprung-Bewegung oberhalb des Rohrs und setzt sich darauf, „Wenn ich hier bemerke, dass es hinter dem Hindernis 100 Meter steil runtergeht, kann ich mich so schnell noch draufsetzen.“
„Wenn ich stürze, ist das mein Fehler und nicht der Fehler des Betons“
Der Fokus des Sports (lesen Sie hier mehr) liegt darin, möglichst kontrolliert die Sprünge, Schwinger, Balancier-Bewegungen und Salti durchzuführen, um die Verletzungsgefahr zu minimieren. „Wir lernen, uns auf Fehler einzustellen, und irgendwann wird es Intuition, wie du dich sicher abfängst, wenn der Sprung mal zu kurz war“, sagt Justus Kanter, „Ich mag Beton. Das ist stabiler als eine Holzkiste und wenn ich stürze, ist das mein Fehler und nicht der Fehler des Betons.“
(Lesen Sie hier mehr) Erfahrene Parkour-Sportler stünden oft ewig vor einem Hindernis herum, um sich geschickte Bewegungsabläufe zu überlegen und in Etappen vorab zu testen. „Die Angst ist wichtig, sie warnt dich“, so Justus. Deshalb würde der Parkour-Nachwuchs sich selten während des Trainings verletzen. „Die meisten Verletzungen entstehen in den Pausenzeiten, wenn die Kinder unkonzentriert drängeln und schubsen“, berichtet der 29-Jährige, „aber die meisten Pflaster gebe ich ohnehin nicht Kursteilnehmern, sondern Externen, die die Hindernisse einfach so austesten.“
Für Justus, Pit und Marek ist die Parkour-Anlage auf Zeche Zollverein (lesen Sie hier mehr) nicht nur Trainingsort sondern auch Treffpunkt. „Das Einzigartige hier sind die Menschen“, sagt Pit. Oft säßen sie nach dem Training noch zusammen. Manchmal bringe einer eine Gitarre mit. „Es lohnt sich, wir finden hier Inspirationen, auch außerhalb des Trainings“, sagt er. Das gelte auch für die jüngsten Parkour-Sportler (lesen Sie hier mehr). „Die Kinder haben schnelle Erfolgserlebnisse, knüpfen hier neue Freundschaften und kommen deshalb immer wieder“, sagt der 18-Jährige, „Einmal haben die Eltern von einem Kursteilnehmer mittrainiert – ihrem Sohn konnten sie aber nicht das Wasser reichen.“
Training: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Sonntag auf der Parkour-Anlage neben der Mischanlage/ Kokerei auf Zeche Zollverein, Essen.
Infos/ Anmeldung: judith.boll@awo-essen.de oder telefonisch unter 0151 17155363.
Alle kostenlosen Parkour-Kurse auf Zeche Zollverein in Essen finden Sie hier.
Parkour in der Region: Hier werden Amateure zu Traceuren
- Hindernis-Sport für Kids in Dortmund: Mit wöchentlich neun Kursen für unterschiedliche Altersstufen führt der TSC Eintracht Dortmund Kinder und Jugendliche an Parkour heran. Die Anmeldung per Sportmeo-App ist erforderlich. Kurse: Montag, Dienstag, Mittwoch, Freitag und Samstag. Info: tsc-newsroom.de/kursplan-corona/#kinder-jugendsport
- Trainieren mit Urban Tracer in Bochum: Parkour und Freerunning können auch Bochumer jeden Alters an vier Wochentagen bei „Urban Tracer“ in Bochum ausprobieren. Training für Kinder am Dienstag, Donnerstag und Freitag und für Erwachsene am Montag, Dienstag und Freitag. Anmeldung an team@urbantracer.de Telefon: 0175-4625380 www.urbantracer.de
- Hallen-Parkour ab 16 Jahren in Siegen: Siegener ab 16 Jahren mit ausreichender Grundfitness können die effektive Fortbewegungskunst in der Halle des TV Jahn trainieren. Donnerstag und Freitag je 19-22 Uhr in der Kreissporthalle F, Diemstraße 12, Siegen. Fragen und Anmeldung: 0152-26929768, www.jahn-siegen.com/parkour
- ParkourOne Duisburg und Düsseldorf: Für den optimalen Einstieg in den Hindernis-Sport gibt’s in Duisburg und Düsseldorf bei ParkourOne jeden zweiten Sonntag einen Workshop für Einsteiger (8 bis 99) und danach wöchentliche Kurse. Fragen per Mail an: deniz@parkourone.com Anmeldung, Infos: www.rheinruhr.parkourone.com.
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