Essen. Eine Mutter blitzt bei der Ausbildungsplatzsuche bei Essener Firmen ab. Die IHK sagt, warum Teilzeitausbildungen bei Arbeitgebern unbeliebt sind.

Sie ist nun schon seit sechs Jahren in Deutschland und wundert sich doch noch immer ein wenig über ihre neue Heimat: „Alle sprechen von fehlenden Fachkräften – aber ich bekomme auf meine Bewerbungen fast nur Absagen“, sagt Fatou Yansané. Einer alleinerziehenden Mutter traut vielleicht mancher Arbeitgeber nicht zu, eine Ausbildung zu absolvieren. Dabei darf man der 25-Jährigen viel zutrauen: Sie hat eine bemerkenswerte Entwicklung gemacht, seit sie im Jahr 2017 nach Essen kam.

Hochschwanger und allein flüchtete die 19-Jährige aus Guinea

Als junge Frau ist sie aus Guinea geflohen, hochschwanger und allein. Dass sie in Essen landete, war dem Zufall geschuldet, sie kannte hier niemanden. Doch schon in der Erstaufnahmeeinrichtung am Overhamshof freundete sie sich mit einer Pro-Asyl-Mitarbeiterin an, später fand sie in Gisela Borrmann-Heimannsberg eine Mentorin.

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Die pensionierte Lehrerin kümmert sich seit langem um Flüchtlinge, erhielt im Jahr 2019 mit ihren Mitstreitern den Integrationspreis. Sie sagt, Fatou Yansané sei sehr zielstrebig, habe die Sprache rasch gelernt. „Im März 2022 hat sie die B2-Prüfung in Deutsch bestanden.“ Es gibt nur noch zwei höhere Stufen.

Fatou Yansané musste oft um die Zeit fürs Lernen ringen: Bald nach der Ankunft in Essen, im Juni 2017, kam ihr Sohn auf die Welt. Sie zog mit ihm in eine Wohnung in Borbeck, wo sie bis heute lebt. Ein Jahr blieb sie mit dem Baby zu Hause, danach war der Kleine erst bei der Tagesmutter, dann in der Kita; bald wird er eingeschult. Von Anfang an nutzte seine Mutter die freien Stunden, um den Integrationskurs zu besuchen, ihr Deutsch zu verbessern.

Sie schreibt Dutzende Bewerbungen und bekommt fast nur Absagen

„Leider konnte ich in Guinea kein Abitur machen, sondern nur bis zur zehnten Klasse zur Schule gehen“, erzählt sie. „Aber Deutschland hat das als Realschulabschluss anerkannt.“ Auch ihr Aufenthalt ist sicher: Wegen der Gewalt, die ihr in ihrem Heimatland angetan wurde, bekam sie Asyl. Sie hat eine sichere Perspektive für sich und ihr Kind, möchte gern einen Beruf erlernen; am liebsten Kauffrau für Groß- und Außenhandelsmanagement oder für Büromanagement. „Personalwirtschaft, Marketing, Rechnungswesen – all das interessiert mich.“

Landesprogramm unterstützt Teilzeit-Azubis

Das Landesprogramm „Teilzeitberufsausbildung – Einstieg begleiten – Perspektiven öffnen“ (TEP) in den Städten Mülheim/Ruhr, Essen und Oberhausen (MEO-Region) bietet Ausbildungsplatzsuchenden eine sozialpädagogische Begleitung bei der Suche nach einer Ausbildung. Zudem unterstützt es die Betriebe bei der Suche nach geeigneten Nachwuchskräften.

Beteiligt sind die Bildungsträger Jugendberufshilfe Essen gGmbH (für Essen) sowie Trivium GmbH (für Mülheim und Oberhausen). Infos auf:https://www.regionalagentur-meo.de/fuer-ausbildungssuchende/teilzeitberufsausbildung-tep/

Doch sie stößt erstmals an Grenzen, die sie auch mit Hilfe ihrer deutschen Freunde nicht überwinden kann. „Sie hat 60 Bewerbungen geschrieben und bekommt oft nicht mal eine Antwort“, sagt Gisela Borrmann-Heimannsberg. Sie vermutet Vorbehalte gegen die 25-Jährige: „Sie ist schwarz und alleinerziehende Mutter.“

Die pensionierte Lehrerin Gisela Borrmann-Heimannsberg hilft Fatou Yansané beim Spracherwerb und in vielen Alltagsfragen.
Die pensionierte Lehrerin Gisela Borrmann-Heimannsberg hilft Fatou Yansané beim Spracherwerb und in vielen Alltagsfragen. © FUNKE Foto Services | Herbert Höltgen

Welche Rolle Herkunft und Hautfarbe für potenzielle Arbeitgeber spielen, wird sich kaum nachweisen lassen. Fatou Yansané hat bei ihren raren Bewerbungsgesprächen aber gemerkt, wie schwer es ist, Ausbildung und Kind zu vereinbaren: „Die Berufsschultage sind kein Problem. Aber an den Tagen im Betrieb würde ich gern eine Stunde am Tag weniger arbeiten, damit ich meinen Sohn pünktlich vom Kindergarten abholen kann.“ Um die fehlenden Stunden nachzuholen, würde sie die Ausbildung verlängern. „Doch die Arbeitgeber, die ich gesprochen habe, bieten immer nur eine Vollzeitausbildung an.“

Teilzeitausbildungen sind möglich, aber noch sehr selten

Dabei sind Teilzeitausbildungen möglich, erklärt Franz Roggemann, der bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Essen das Geschäftsfeld Bildung und Prüfungen leitet. „Man braucht dafür heute nicht mal einen besonderen Grund wie ein kleines Kind oder einen Angehörigen, den man pflegt.“ Im Rahmen der Vertragsfreiheit könne man flexible Modelle vereinbaren: Wer etwa statt 40 nur 30 Wochenstunden arbeite, könnte ein halbes Jahr an die Ausbildung anhängen. „Schließlich sitzt man die Stunden im Betrieb ja nicht bloß ab, sondern erwirbt Wissen, lernt in der Praxis.“

Dennoch schreibe praktisch kein Unternehmen eine Ausbildung in Teilzeit aus, und viele junge Menschen wüssten nichts von der Möglichkeit. „Die Teilzeitausbildung führt noch ein Orchideendasein.“ Er schätze, dass höchstens drei Prozent der Azubis davon profitierten. Gängiger sei, dass Ausbildungsgänge etwa für Abiturienten verkürzt würden, oft gleich um ein Jahr.

Fachkräftemangel zwingt Arbeitgeber zum Umdenken

Die meisten Arbeitgeber sähen die Teilzeitausbildung als „sperriges Produkt“, auch weil die anderthalb Berufsschultage in der Regel nicht angetastet würden. „Die Verkürzung geht voll zulasten der Betriebe.“ Doch Roggemann geht davon aus, dass es mittelfristig ein Umdenken geben werde: Der typische Azubi sei heute nicht mehr 16, 17 Jahre alt, sondern über 20. Das seien Abiturienten, die erstmal ein Gap-Year gemacht oder ein paar Semester studiert hätten ebenso wie Flüchtlinge, die sprachbedingt später starten könnten. „In der Altersgruppe sind eher junge Eltern dabei.“ Zudem fordere die Generation eher eine Work-Life-Balance ein. In Zeiten von Fachkräftemangel müssten die Arbeitgeber wohl umdenken und den Kandidaten entgegenkommen.

Fatou Yansané hat sich nie ein Gap-Year gegönnt, sie macht seit Sommer 2022 eine Ausbildungsvorbereitung bei der Jugendberufshilfe. „Da werden viele nützliche Kompetenzen vermittelt. Das ist viel besser, als zu Hause zu bleiben.“ Und wenn ihr Programm im Sommer endet, würde sie ihre Kompetenzen gern als Azubi einbringen: In Teilzeit und hundertprozentig engagiert.