Essen. An einer Essener Hauptschule üben Jugendliche ein Shakespeare-Stück ein – teils mit Originaltext. Obwohl viele Schüler Deutsch-Anfänger sind.

Was können Jugendliche heute mit einem Theaterstück anfangen, das über 400 Jahre alt ist? „Sehr viel“, sagt Theaterpädagoge Maximilian Matthiesen. Er übt mit der Klasse 9b der Hauptschule an der Wächtlerstraße den Shakespeare-Klassiker „Sommernachtstraum“ ein. Shakespeare, das war dieser englische Schriftsteller, der ziemlich komplizierte Sätze schrieb – etwa so: „Was du wirst erwachend sehn, wähl’ es dir zum Liebsten schön.“

Im „Sommernachtstraum“ geht es um unglücklich Verliebte – eine junge Frau soll nach dem Willen ihres Vaters einen Mann heiraten, den sie gar nicht will. Und sie soll jenen vergessen, den sie wirklich liebt. „Im Grunde geht es im ,Sommernachtstraum’ um das Thema Eifersucht, das jeder kennt. Aber auch um Zwangsheirat – also etwas, das sehr konkret in der Lebenswirklichkeit vieler Jugendlicher existiert“, erklärt Matthiesen.

Die wenigsten Schülerinnen und Schüler waren auf einer deutschen Grundschule

Auf der Bühne stehen junge Männer und Frauen aus Syrien, dem Irak, aus Kuba – die wenigsten von ihnen haben einen deutschen Kindergarten oder eine deutsche Grundschule besucht, sind erst seit wenigen Jahren hier. Entsprechend stellt die Sprache des Theaterstücks die größte Herausforderung dar, erklärt Theaterpädagoge Maximilian Matthiesen: „Wir haben vorher weite Teile des Stücks umgeschrieben und in jugendgerechte Sprache übersetzt.“ So erklären handelnde Figuren auf der Bühne zwischendurch, was passiert oder vorher passiert war: Dass jemand „crazy in love“ ist, und dass „dann so’n Typ kommt.“ Trotzdem war es Matthiesen und seiner Kollegin Janina Linkowski, die für das Bühnenbild und die Requisiten sorgte, wichtig, dass auch Teile der Original-Übersetzung erhalten bleiben. So sprechen die Jugendlichen nicht nur vom Verliebtsein, sondern auch davon, dass jemandes „Herz betört“ sei.

Aufwärm- und Sprechübungen im Kreis am Anfang jeder Probe: Blick in die Theaterarbeiten der Wächtler-Hauptschule.
Aufwärm- und Sprechübungen im Kreis am Anfang jeder Probe: Blick in die Theaterarbeiten der Wächtler-Hauptschule. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Überhaupt ist das Stück auf eine einstündige Fassung reduziert und mit zeitgenössischen Mitteln ausgestattet worden: Wer spricht – weite Teile spielen in einem dunklen Wald –, der strahlt sich selbst mit einer Taschenlampe an; moderne Musik wird eingesetzt, auch Fahrrad und E-Scooter.

Seit anderthalb Jahren kommen Matthiesen und Linkowski, die bei der Caritas-Gesellschaft CSE angestellt sind, an die Hauptschule an der Wächtlerstraße; einmal wöchentlich wird geprobt. Im Juni ist der große Moment – dann wird „Sommernachtstraum“ aufgeführt, auf der großen Bühne der Weststadthalle, mit professioneller Technik und Licht und vor vielen Zuschauerinnen und Zuschauern.

Theaterfestival „Goldstücke“ läuft zum zehnten Mal

Dann laufen nämlich die „Goldstücke“, das Festival für Theaterpädagogik; es ist schon die zehnte Auflage des Festivals, das vor allem jenen Schülerinnen und Schülern Theaterauftritte ermöglicht, die aus vermeintlich bildungsfernen oder weniger privilegierten Häusern kommen. Beteiligt an den „Goldstücken“ sind knapp 20 Grund-, Förder-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen; auch ein Gymnasium ist dabei. Auch Kinder und Jugendliche mit einem sogenannten Förderbedarf machen mit; das Festival erhebt den Anspruch, inklusiv zu sein.

Immer, wenn wir die Möglichkeit haben, Theater zu spielen, setze ich mich für solche Projekt ein, sagt Simone Sternfeld, die Klassenlehrerin der 9b. In ihrem Deutschunterricht hat sie eine Stunde pro Woche für Shakespeare reserviert. „Theater ist gut für die Schüler, weil sie lernen, Hemmungen abzubauen und sich selbst darzustellen. Das ist spätestens in einem Jahr wichtig, wenn Bewerbungsgespräche anstehen.“

Die Jugendlichen lernten, Haltung anzunehmen, und auch die Beschäftigung mit der deutschen Sprache und klassischer Literatur sei unentbehrlich. Die Theaterarbeit mache es möglich, dass die Jugendlichen außerdem eigene Ideen einbringen und erlebten, was es bedeutet, zusammen an einem Projekt zu arbeiten.

Das Ergebnis der langen Proben ist am Mittwoch, 7. Juni, 12.30 Uhr, in der Weststadthalle zu sehen. Das Theaterfestival Goldstücke läuft vom 31. Mai bis 7. Juni 2023. Thea-Leymann-Straße, Nähe Cinemaxx, Tickets und Reservierungen auf www.goldstuecke-festival-essen.de