Essen. Ein mutmaßlicher Schummel-Doktor flog 2021 an der Uni Duisburg-Essen auf. Jetzt erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. Die Beweislast: erdrückend

Nicht nur am Institut für Turkistik der Universität Duisburg-Essen schmückte sich der Mann jahrelang mit einem Doktor-Titel. Über Essen hinaus trat er sogar als Professor auf. Nur hatte die Sache mit den hohen akademischen Würden einen kleinen Haken: Die Titel waren offenbar erschwindelt worden. Der Skandal flog im Sommer 2021 auf – jetzt hat die Staatsanwaltschaft Duisburg ihre aufwendigen Ermittlungen abgeschlossen und Anklage gegen den Schummel-Doktor erhoben.

Wie Rolf Rausch, Sprecher des zuständigen Amtsgerichts Duisburg, auf Anfrage dieser Zeitung am Freitag (14. April) mitteilt, werden dem Angeschuldigten „Urkundenfälschung, unbefugter Gebrauch akademischer Grade und Betrug in insgesamt 29 Fällen zur Last gelegt“.

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Goethe-Universität in Frankfurt fand 2021 keinerlei Bestätigung für die Doktorwürde

Die Tageszeitung „Welt“ hatte den Skandal vor bald zwei Jahren enthüllt. Der Mann, der sogar zum durchaus geschätzten und anerkannten Islamberater für das NRW-Schulministerium aufgestiegen war, soll die angebliche Doktorwürde demnach an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main erlangt haben. Allerdings fand sich dafür vonseiten der Hochschule keinerlei Bestätigung. Auf Anfrage dieser Zeitung hieß es damals, dass für eine Promotion „keine Unterlagen vorliegen“.

Als die Schummel-Posse aufflog, zog das Ministerium sofort die Notbremse und setzte den falschen Doktor kurzerhand vor die Tür. Zugleich wurde der Fall zum Politikum: Der NRW-Landtag befasste sich mit der zutiefst verstörenden Personalie – und im Wissenschaftsbetrieb zeigte man sich entsetzt. Türkische Kreise in Deutschland hingegen nahmen den angeblichen Doktor demonstrativ in Schutz und witterten eine üble Rufmord-Kampagne gegen einen der ihren.

Zwar weist der Sprecher des Amtsgerichts ausdrücklich „auf den wichtigen Umstand hin, dass für den Angeschuldigten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens die uneingeschränkte Unschuldsvermutung“ gelte. Doch die Beweislast gegen den türkischstämmigen Angeschuldigten mit Wohnsitz Duisburg scheint nahezu erdrückend zu sein.

Anklage: Gefälschte Dissertationsbescheinigung an der Uni Duisburg-Essen vorgelegt

Nach Erkenntnissen der Ermittler soll er sich im Jahr 2017 bei der Universität Duisburg-Essen auf eine Stelle zum Zwecke der Qualifizierung als abgeordnete Lehrkraft beworben haben. „Hierbei soll er ein gefälschtes Zeugnis über das Bestehen der Zweiten Staatsprüfung sowie eine gefälschte Dissertationsbescheinigung vorgelegt haben“, teilt der Amtsgerichtssprecher mit.

Zwei Jahre später, im Jahr 2019, soll er sich dann beim Orient-Institut Istanbul unter Vorlage gefälschter Zeugnisse über seine Erste und Zweite Staatsprüfung sowie unter Benutzung des Titels „Dr.“ auf eine ausgeschriebene Stelle beworben haben.

Im Jahr 2020 soll sich der Angeschuldigte bei der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen als Lehrbeauftragter für die Module Politikwissenschaft und Soziologie beworben haben. „Hierbei soll er ein gefälschtes Zeugnis über das Bestehen der Zweiten Staatsprüfung sowie eine gefälschte Dissertationsbescheinigung vorgelegt haben und Lebensläufe unter Verwendung der Titel ,Dr.’ und ,Prof.’ verwendet haben“, teilt der Gerichtssprecher mit.

Damit nicht genug: Bei Preisverleihungen, Vorträgen, Moderationen und anderen Gelegenheiten habe der Angeschuldigte die Titel „Dr.“ oder „Prof.“ geführt, „ohne berechtigt zu sein, diese Titel zu führen“.

Angeschuldigter soll Schulamt schon im Jahr 2000 gefälschte Zeugnisse vorgelegt haben

Folgt man den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft, blickt der mutmaßliche Schummel-Doktor auf eine fast 20 Jahre lange „Karriere“ als Trickser und Täuscher zurück. Denn wie aus der Anklageschrift hervorgeht, soll sich der Mann bereits im Jahr 2000 „unter Vorlage eines gefälschten Zeugnisses bei dem Schulamt der Stadt Duisburg als Lehrkraft beworben und seine Einstellung erreicht haben“.

Einige Jahre später hatte diese Masche für ihn erneut Erfolg. Betrug zieht neuen Betrug nach sich: 2009, so heißt es, soll sich der Angeschuldigte bei der Bezirksregierung Düsseldorf als Studienrat im Beamtenverhältnis beworben haben. „Im Zuge des Bewerbungsprozesses soll er gefälschte Zeugnisse über das Bestehen der Ersten Staatsprüfung sowie der Zweiten Staatsprüfung vorgelegt und seine Übernahme in das Beamtenverhältnis erreicht haben“, fügt der Gerichtssprecher hinzu.

Offenbar erledigte der mutmaßliche Schummel-Doktor seine Jobs so souverän, dass er fast zwei Jahrzehnte lang nicht aufflog. An der Universität Duisburg-Essen (UDE) hatte er nach Angaben eines Hochschulsprechers von 2021 vier Jahre lang am Institut für Turkistik gewirkt, das am Campus Essen ansässig ist. Die Webseite des Instituts führte ihn im Juli 2021 als „Dr.“ und „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ mit einem umfangreichen Fachgebiet: von modernen Türkeistudien über die Politische Geschichte der Türkei und ihre Beziehungen zur EU bis hin zu Migrations- und Religionssoziologie.

Betrugsvorwurf: Titel-Schwindel ermöglicht gut dotierte Jobs im Staatsdienst

Titelmissbrauch ist eine Seite der Medaille, Betrug die andere. Der Tatvorwurf des Betrugs beruhe nach Darstellung des Amtsgerichts darauf, „dass dem Angeschuldigten . . . bewusst war, dass er sowohl die Anstellung als Lehrkraft als auch die anschließende Tätigkeit im Beamtenverhältnis sowie seine Tätigkeit als Lehrbeauftragter bereits mangels formaler Qualifikation nicht hätte ausüben dürfen und er dennoch die entsprechenden Gehalts- und Besoldungszahlungen sowie Unterrichtsvergütungen vereinnahmt habe“. Oder anders formuliert: Ohne den Titel-Schwindel hätte er die gut dotierten Jobs im Staatsdienst nie erlangt.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft sei dem Verteidiger des Angeschuldigten, einem Rechtsanwalt aus Köln, zwischenzeitlich zugestellt worden. Dieser habe nun die Gelegenheit, zur Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen. „Im Anschluss hieran wird das Gericht über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu entscheiden haben“, erklärt Amtsgerichtssprecher Rolf Rausch.