Essen. Die Verfüllung der beiden Zollverein-Schächte XII und II hat begonnen. Bis Mitte 2024 rollen mehr als 5000 Lkw-Betonmischer an. Wir waren vor Ort.
Millionen Tonnen Kohle sind durch den Zentralschacht XII von Zollverein im Laufe von 90 Jahren nach Übertage gezogen worden. Jetzt wird die mehr als 1000 Meter tiefe Röhre für immer verfüllt. Dasselbe passiert mit dem historischen Schacht II, der sogar 170 Jahre alt ist. Für die Bergleute war es ein sentimentaler Augenblick, als vor wenigen Tagen der erste Beton für die Verfüllung in den Schacht floss: Denn die Männer der Grubenwehr waren zur letzten Kontrolle des Grubengebäudes noch einmal angefahren. Sie entboten ihr letztes „Glückauf“.
Wenige Tage später ist die Verfüllung bereits in vollem Gange. An diesem Dienstagnachmittag ziehen Dampfschwaden durch das Schachtgerüst, das mit seinem markanten Doppelbock Symbol des ganzen Ruhrgebiets ist. Fast sieht es hier aus wie in einer Waschküche. „Beim Abbinden des Betons entsteht Wärme, der Dunst klettert den Schacht hoch“, sagt RAG-Ingenieur Stefan Roßbach, der als Bereichsleiter zuständig ist für die Wasserhaltung im ausgelaufenen Ruhr-Bergbau zwischen den Bergwerken Lohberg im Westen und Haus Aden im Osten. Die Wasserhaltung zählt zu den so genannten Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus.
Baustelle der Superlative: Bis 2024 werden 40.000 Kubikmeter Beton in Schächte fließen
Seit Stilllegung der Schachtanlage im Jahr 1986 haben sie das Grubenwasser mit Hilfe mächtiger stationärer Pumpen nach oben gefördert und über die Emscher abfließen lassen: rund acht Millionen Kubikmeter im Jahr. Nun fließt das Grubenwasser untertage westwärts durch das Grubengebäude von Prosper Haniel, um es am Ende schließlich in den Rhein zu pumpen. Das bedeutet: Die Zollverein-Schächte werden nicht mehr gebraucht.
Bis Mitte 2024 wird die Verfüllung dauern, solange ist die Welterbe-Zeche Baustelle. Vor 100/150 Jahren haben sie überall im Revier einen Schacht nach dem anderen abgeteuft, jetzt drehen sie das Rad wieder zurück. Schächte verfüllen ist längst eine Routineangelegenheit geworden, aber im Fall von Schacht XII ist es eine Baustelle der Superlative. „Hier brauchen wir für die Verfüllung 40.000 Kubikmeter Beton, an Schacht II weitere 20.000 Kubikmeter“, fügt Roßbach hinzu.
Soeben rollt wieder ein Betonmischer in die eigens für die Anlieferung errichtete schallisolierte Halle am Fuße des imposanten Schachtgerüstes direkt neben dem Ruhr Museum. Die Lärmbelästigung für die Zollverein-Touristen und -mitarbeiter soll so gering wie möglich sein. Und tatsächlich vernimmt man nur ein leises monotones Brummen. „Heute hatten wir von morgens sieben bis nachmittags um 16 Uhr 33 Betonmischer hier“, berichtet Robert Simcic von der BAV, der „Aufbereitung Herne“, einer RAG-Tochter.
Den Touristen zuliebe wurde für Betonmischer eine schallisolierte Halle aufgestellt
Ein simpler Dreisatz verdeutlicht, warum man es hier mit einer Baustelle der Superlative zu tun hat. Wenn jeder Lkw 7,5 Kubikmeter Beton fasst, müssen für die Anlieferung von 40.000 Kubikmeter bis Mitte 2024 mehr als 5300 Betonmischer über die Fritz-Schupp-Allee anrollen. Um die Touristenströme rund um das Ruhr Museum so wenig wie möglich zu stören, haben sie über die Rohrleitungen für den Beton eine Brücke für Fußgänger und daneben für Menschen mit Handicap sogar eine Rampe angelegt.
Auf großen Bannern am Bauzaun informiert die RAG sehr detailliert und für Laien verständlich über das, was sie hier mit so viel Aufwand anstellt. So mancher Tourist glaubt übrigens nicht, dass die RAG-Kumpel und die Männer des Spezialunternehmens Thyssen-Schachtbau hier hart arbeiten, sondern für Show-Zwecke engagiert worden sind: als eine Art Kumpel-Disney auf der Unesco-Welterbe-Zeche.
RAG-Sprecher Christof Beike lobt den Fleiß und Arbeitseinsatz der Männer, die hier den Schacht verfüllen. Wochenlang sei die Verfüllung unter Tage vorbereitet worden. „70 Männer von Thyssen-Schachtbau haben in drei Schichten rund um die Uhr malocht, es gab nicht einen einzigen Unfall.“
Vollständig verfüllt werden Schacht XII und II nicht. In Schacht XII werden jeweils drei Hüllrohre eingearbeitet, die bei Störungen oder anderen Zwischenfällen das Abpumpen mit Hilfe von Tauchpumpen ermöglichen sollen. Am Fuß des Schachtes, auf der untersten Sohle, haben sie deshalb eine stabile Bühne eingearbeitet. So entsteht ein Hohlraum, der bei Störungen das Abpumpen über eine der drei Hüllrohre ermöglichen soll. „Die Bühne selbst ist ein Koloss, sie allein wiegt mehr als 40 Tonnen“, fügt der RAG-Sprecher hinzu.
Ende einer Ära: Seilscheiben bleiben für immer stehen, nur das Förderseil kommt zurück
Die Verarbeitung der Hüllrohre aus Glasfaserkunststoff erfordert von der Schachtmannschaft größtmögliche Präzision. Das einzelne Rohr ist sechs Meter lang. Das bedeutet: Im Laufe von gut 15 Monaten müssen an Schacht XII mehr als 500 Rohre verarbeitet und mit Beton umgossen werden: eine Herkulesaufgabe. Der alte Förderkorb bringt den Trupp nach Untertage und dient als kombinierte Arbeitsbühne.
Der Beton für die Verfüllung ist ein Spezialgemisch aus Zementwasser, Kies, Rheinsand und Zusatzmitteln. Der Kies ist ausgesprochen fein. „Mit einer Körnung zwischen zwei und acht Millimetern“, fügt Simcic hinzu. Es handelt sich im Jargon der Schachtbauer um „hochfestes“ Material. „In 28 Tagen ist der Beton frühfest, in 56 Tagen hat er seine Endfestigkeit erreicht.“
Weil Zollverein Welterbe-Zeche ist, muss der Doppelbock nach der Verfüllung wieder in den Urzustand versetzt, das heißt originalgetreu rekonstruiert werden. „Bis zur letzten Schraube und Unterlegscheibe“, sagt Roßbach augenzwinkernd. Dafür haben sie jedes abgebaute Stahlteil des Schachtgerüstes gescannt und für die Zwischenlagerung akkurat mit einem QR-Code versehen.
Weil die Seilfahrt eingestellt ist, steht fest, dass sich die beiden Seilscheiben niemals wieder drehen werden. Wohl auch nicht für Show-Effekte. „Aber das Förderseil wird auf jeden Fall wieder aufgelegt“, verspricht RAG-Ingenieur Stefan Roßbach.