Essen. Im März wollte die Neue Arbeit der Diakonie die „Neue Insel“ in der Ruhr eröffnen. Das Projekt verzögert sich, hat aber dafür Neues zu bieten.
Eigentlich wollten sie Anfang März eröffnen, doch die Location an der alten Spillenburger Mühle in Bergerhausen taugt gerade mal für eine Abrissparty. Im Mai 2021 hat die Neue Arbeit der Diakonie hier auf der Ruhrinsel am Spillenburger Wehr den ersten Spatenstich gefeiert. Oberbürgermeister Thomas Kufen war dabei und der Eigentümer des Geländes, Stephan Rettenmaier. Fast zwei Jahre danach ragen fensterlose Backsteinmauern in die Höhe. Nächste Woche soll das Dach gedeckt werden. Es geht voran, nur langsamer als geplant.
Erst kam Corona, dann der Krieg in der Ukraine. Baumaterialien wurden knapp, die Preise explodierten. Wie so viele Projekte haben die diversen Krisen auch dieses Bauvorhaben zurückgeworfen. „Neue Insel“ lautet der vielversprechende Name des Projektes. Es dürfte eines der aktuell spannendsten sein in dieser Stadt.
Der beliebte Ruhrtalradweg verläuft über die „Neue Insel“
Nicht nur des trüben Wetters wegen wünscht man sich beim Besuch vor Ort eine Zeitmaschine. Alte Industriehallen zeugen von vergangenen Zeiten, als im Ruhrtal noch Schlote rauchten und Güterzüge am Ufer entlang dampften. Auf jener Trasse, die heute bei Radfahrern und Spaziergängern so beliebt ist.
Die Neue Diakonie betreibt hier ihre Werkstätten. In einer Schreinerei arbeiten sie Möbel auf. Das Ambiente versprüht nur wenig Industrieromantik, und doch ist es auch ein malerischer Ort. Ein Wunder, dass nicht schon viel früher jemand auf die Idee gekommen ist, daraus etwas zu machen.
Die Ruhrinsel am Spillenburger Wehr ist ein malerischer Ort
„Das ist ein Rohdiamant. Wir sind froh, dass wir ihn aufpolieren dürfen“, sagt Michael Stelzner, Geschäftsführer der Neuen Arbeit, als er die Hintertür öffnet zu einer Wiese unter alten Bäumen. Das klingt pathetisch, aber viel Fantasie bedarf es nicht, um sich vorzustellen, dass die Tür in nicht allzu ferner Zukunft hinaus in einen Biergarten führt. Und das ist nicht längst nicht alles.
Aus der Schreinerei wird ein Gastronomiebetrieb, aus der alten Halle ein Saal für Feiern und Events. Gleich neben der Brücke, die auf die Insel führt, entsteht ein Hostel für Fahrradtouristen mit Zimmern für Alleinreisende und Familien, alle behindertengerecht. „Es ist für jeden etwas dabei“, sagt Projektleiter Andreas Bussmann. Etwa 20 feste Arbeitsplätze werden so geschaffen, die Hälfte davon für Menschen mit Behinderungen. Die Neue Arbeit wird für den Betrieb eigenes eine Tochtergesellschaft gründen: die Inklusionsgesellschaft „Neue Insel“.
Stephan Rettenmaier ließ sich von der Idee anstecken. Ein Glücksfall. Vor mehr als 30 Jahren hatte er das Gelände erworben und das alte Wasserkraftwerk, das einmal eine Mühle war, wieder in Betrieb genommen. Die „Neue Insel“ wird es mit Strom versorgen. Acht Millionen Euro wird der Eigentümer in das Projekt investieren, hieß es noch anlässlich des ersten Spatenstichs. Umgebaut wird im Bestand, ihren äußerlichen Charakter werden die alten Industriegebäude also behalten. Die Kosten dürften inzwischen aber um die Hälfte höher liegen, schätzt Andreas Bussmann.
An der Ruhr zwischen Hattingen und dem Rhein gibt es keine vergleichbare Unterkunft
Von dem Konzept sind die Macher nach wie vor überzeugt. Der Ruhrtalradweg, einer der deutschlandweit beliebtesten Strecken für Fahrradtouristen, führt direkt vor der Haustür vorbei. Zwischen Hattingen und dem Rhein, wo der Radweg endet, gebe es keine vergleichbare Unterkunft, sagt Michael Stelzner. Das Radhostel haben sie gleichwohl abgespeckt von 56 auf 29 Zimmer, die man per App buchen und mit einem digitalen Schlüssel wird öffnen können. Betriebskosten und Personalaufwand sollen sich so in Grenzen halten.
An anderer Stelle haben sie draufgesattelt: Die „Baldeney“ wird hier ihr letztes Trockendock finden – oder was von Essens erstem Fahrgastschiff übrig ist. Unter dem Namen „Moornixe“ war es beim Jahrhunderthochwasser im Juli 2021 am Kahlenbergwehr in Mülheim gekentert, die Walzen zogen es auf den Grund der Ruhr. Die Neue Diakonie wird das Schiffswrack ausstellen und seine Geschichte erzählen.
Auch in den Hafen der Ehe wird man auf der „Neuen Insel“ einlaufen können. Brautpaare können sich in einer Kapelle das Ja-Wort geben und den Bund fürs Leben nebenan im Standesamt besiegeln. Die Lage der „Neuen Insel“ macht es möglich, denn die Grenze zwischen zwei Stadtbezirken verläuft mitten über das Gelände. In Steele gibt es schon ein Standesamt, in Bergerhausen aber nicht, erläutert Michael Stelzner. Das soll sich aber 2025 ändern, wenn die „Neue Insel“ Eröffnung feiert. Von seiner Mutter wisse er übrigens, dass alteingesessene Steelenser das Fleckchen Erde in der Ruhr Liebesinsel nennen. Passt.