Essen. Essen: Snowdance Independent Film Festival startet mit viel Prominenz und einem besonderen Kinodebüt. Harald Krassnitzer überrascht als Gangster.

Wer den Independent-Film bislang vornehmlich als cineastisches No-Name-Produkt verstanden hat, der wird am Eröffnungsabend des ersten Essener Snowdance Independent Film Festivals schon mal eines Besseren belehrt. Peter Lohmeyer erzählt vor der Lichtburg von seinem Indie-Frühwerk in Schwarz-Weiß („Die Mutter des Killers“). Hannes Jaenicke ist mit seiner Fernsehdokureihe zum Tierwohl ähnlich gestartet, nämlich ohne öffentliche Förderung. Und „Tatort“-Star Harald Krassnitzer würde gerne in Zukunft noch mehr Independent-Kino machen, weil es „so nah dran ist an der Membran der Wirklichkeit“. Zum Start des ersten Snowdance-Festivals, das bis zum 5. Februar rund 50 Kurz- und Langfilme in die Essener Filmkunsttheater bringt, sorgt der Hauptdarsteller des Psychothrillers „Taktik“ schon mal für einen prominenten Auftakt.

„Taktik“-Hauptdarsteller Harald Krassnitzer war zusammen mit Ehefrau und Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer zur Snowdance-Premiere nach Essen gekommen.
„Taktik“-Hauptdarsteller Harald Krassnitzer war zusammen mit Ehefrau und Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer zur Snowdance-Premiere nach Essen gekommen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Ziemlich nah dran an der Wirklichkeit ist dieses Regie-Debüt von Schauspielerin Marion Mitterhammer, das auf einer wahren Fall beruht. 1996 nahmen drei Gefängnisinsassen in der Justizvollzugsanstalt Graz-Karlau drei Frauen in Geiselhaft, forderten Geld und einen Fluchthubschrauber, während sie ihre Opfer über Stunden mit sadistischer Gewalt und selbst gebauten Bomben traktierten. Aus den damals aufgenommen Gesprächen hat Mitterhammer zusammen mit Ehemann Hans-Günther Bücking einen bewusst rohen Psychothriller gemacht, bei dem vor allem die Telefondrähte zwischen Polizei-Vermittler Fredi Hollerer (Simon Hatzl) und dem Schwerverbrecher Alois Steindl (Harald Krassnitzer) heißlaufen.

Nichts für überaus empfindsame Gemüter: Harald Krassnitzer und Marion Mitterhammer in einer Szene aus „Taktik“, dem Eröffnungsfilm des Essener Snowdance-Festivals.
Nichts für überaus empfindsame Gemüter: Harald Krassnitzer und Marion Mitterhammer in einer Szene aus „Taktik“, dem Eröffnungsfilm des Essener Snowdance-Festivals. © Verleih | Verleih

Krassnitzers Rollenwechsel vom eher gemütlichen Tatort-Kommissar zum skrupellosen Gangster gelingt dabei auf den Punkt. Wie er die Balance zwischen eisiger Brutalität und einer oberstudienrathaften Kultiviertheit hält, das schafft ein abgründiges Charakterporträt. Sein bisweilen fast grotesk-anmutendes Dialog-Duell mit dem nur vermeintlich einfältigen Vermittler Hollerer überspielt dabei auch einige dramaturgische Schwächen des österreichischen Geiseldramas, das die Spannung trotz teils explizierter Gewaltszenen nicht immer halten kann.

Mit seiner Ankündigung: „Sie werden einen Film sehen, der es in sich hat, aber auch Längen“, sollte Festivalchef Tom Bohn am Ende jedenfalls Recht behalten. Bohn hat das Snowdance-Festival vor fast zehn Jahren im bayerischen Landsberg am Lech gegründet und wagt nun in Essen den Neuanfang. Für den langjährigen, gut vernetzten „Tatort“-Regisseur und gebürtigen Wuppertaler ist es auch eine Heimkehr: „Ich bin zurück und habe ein Festival mitgebracht“.

Filmemacher aus aller Welt bringen ihre besonderen Projekte mit nach Essen

Viel Erfahrung mit der Filmbranche ist am Eröffnungsabend also auf der Lichtburg-Bühne versammelt, wo man über die Chancen, aber auch über die Herausforderungen des Independent-Filmemachens spricht. „Wir nennen alles, wofür wir kein Geld haben, Independent“, sagt Krassnitzer. Das unabhängige Filmemachen sei de facto aber auch ein Ausdruck für prekäre Arbeitsverhältnisse, bedauert der Schauspieler.

Auskömmliche Gagen und angemessene Ausstattungsetats sind nur schwer zu haben, wenn jeder Cent des Budgets vom Filmemacher persönlich eingeworben werden muss. Weshalb Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke auch „beide Systeme verteidigt“. Denn ohne die öffentliche Unterstützung durch Fernsehanstalten oder Filmförderungen „würden wir in Deutschland gar keine Filme mehr drehen“, glaubt Jaenicke. Die Schwierigkeit sei vielmehr, Verleihfirmen zu finden, die den Mut hätten, auch Filme jenseits des Mainstreams auf die Leinwand zu bringen.

Das Snowdance-Festival will in den kommenden Tagen ein Schaufenster sein für diese besonderen, innovativen Projekte, die Filmemacher aus aller Welt mit nach Essen bringen. Science Fiction, Dokumentationen, Spielfilme und ein großer Kurzfilm-Block stehen auf dem Programm. Am 5. Februar werden in Essen die Filmpreise vergeben.

>>>>> Alle Infos zum Snowdance Independent Film Festival

>Bis zum 5. Februar werden 35 Kurz- und 20 Spielfilme aus aller Welt gezeigt. Die Auswahl reicht von Beziehungsdramen („Stumm vor Schreck“ mit Annette Frier) und Naturthrillern („Island of Lost Girls“) bis zu Science-Fiction („The Alien Report“) und Musikdokus („Cuba on my Mind“). Ebenfalls im Programm ist eine Fassbinder-Werkschau.

>Die Filme laufen in den Innenstadt-Kinos Lichtburg (mit Sabu) und Astra-Theater (mit Luna). Zum Rahmenprogramm gehören ein Schauspielworkshop und die „Snowdance-Academy“.

>Der von dieser Zeitung erstmals ausgelobte „Ruhr Film Award“ wird am 1. Februar im Essener Sabu-Kino vergeben.

>Das komplette Programm gibt es unter www.snowdance.net