Essen. . Der Allbau verlängerte den Mietvertrag in der Kastanienallee nicht. Offenbar passten die Obdachlosen nicht zur Aufwertung der Nord-City.
- Notschlafstelle „Raum 58“ hat neue Räume in der Niederstraße bezogen
- Grund für den Umzug: Allbau hatte den Mietvertrag in der Kastanienallee nicht verlängert
- In 15 Jahren zählte die Notschlafstelle über 22000 Übernachtungen von jungen Obdachlosen
Es geht hier nicht ums Ausreißen, um romantisch verklärte Abenteuer von jungen Menschen, die in der Pubertät auf Irrwege geraten. Sondern es geht um pure Not und familiäre Verhältnisse, die sich die meisten Leute zum Glück kaum vorstellen können.
Rund 160 Kinder und Jugendliche in Essen leben auf der Straße. „Oft steckt Sucht dahinter“ sagt Manuela Grötschel, die die Notschlafstelle „Raum 58“ leitet. Die Einrichtung, die seit 15 Jahren besteht, ist umgezogen – von der Kastanienallee in der nördlichen Innenstadt rund 600 Meter Luftlinie weiter in Richtung Norden in die Niederstraße 12 im Schatten der Uni. Damit liegt der „Raum 58“ nach wie vor recht zentral und doch abgeschieden, denn in die Niederstraße verlaufen sich eigentlich nur Anlieger.
Notschlafstelle ist auf Spenden angewiesen
Der Umzug wurde nötig, weil die städtische Wohnungsbaugesellschaft Allbau, in deren Räumen der „Raum 58“ vorher beheimatet war, den Mietvertrag in der Kastanienallee nicht verlängert hat. Was vermutlich mit der geplanten Aufwertung der Nordcity zu tun hat und der neuen Allbau-Zentrale, die gegenüber vom alten „Raum 58“ in die Höhe wuchs.
Beim „Raum 58“ ist man über das neue Domizil, das in einem Anbau des dortigen Caritas-Gebäudes eingerichtet wurde, dennoch glücklich: „Wir konnten uns wesentlich vergrößern“, so Manuela Grötschel. Caritas-Direktor Björn Enno Hermans ergänzt: „Wie gut die neuen Räume sind, wissen vor allem diejenigen, die die beengten Verhältnisse an der Kastanienallee kannten.“
Tatsächlich beeindrucken die neue, offene Küche im Erdgeschoss, die schmucken Möbel aus Massivholz – der große Esstisch, an dem die Jugendlichen Mahlzeiten bereiten. Doch das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Notschlafstelle, die gemeinsam von CVJM und dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) betrieben wird, auf Spenden angewiesen ist: „Wir müssen pro Jahr eine sechsstellige Summe einwerben“, berichtet Hermans. Ein auskömmlicher Finanzposten für die Notschlafstelle, der ihre Existenz langfristig sichern würde, ist in keinem Haushaltsplan aufgeführt. Kaum zu glauben, eigentlich.
In 15 Jahren rund 22 500 Übernachtungen gezählt
Offenbar wird das Thema „Obdachlosigkeit unter Jugendlichen“ zumindest unterschwellig immer noch als Luxus-Problem angesehen: „Dabei werden unsere Besucher immer jünger, und es findet eine zunehmende Entkoppelung von sämtlichen Hilfesystemen statt“, hat Manuela Grötschel beobachtet. Die Notschlafstelle, die abends um 21 Uhr öffnet und morgens um 9 wieder schließt, nimmt Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren auf. Man muss jeden Abend neu um Aufnahme bitten; ein Dauerquartier ist die „Notschlafstelle“ nicht.
Dass Obdachlosigkeit unter Jugendlichen nichts mit romantisch verklärter Ausreißer-Thematik zu tun hat, macht allein ein kurzer Blick auf den Faltzettel klar, mit dem die Notschlafstelle in wenigen Worten ihre Arbeit erklärt: „Du hast keine wirklichen Freunde und kannst dich nur auf dich selbst verlassen“, wird dort ein junges Mädchen zitiert, das auf die Notschlafstelle angewiesen ist. Oder: „Meine Eltern könnten mich doch wenigstens vermisst melden.“ Es sind Sätze, die die Mitarbeiter häufig hören.
Tatsächlich gibt es Kinder und Jugendliche, nach denen niemand mehr fragt – weder Eltern, noch Schulen, noch Ämter. Junge Menschen, die durch sämtliche Raster fallen und für die obligatorische Formalien wie ein Schulabschluss in unerreichbare Ferne gerückt sind. „Wir versuchen hier, wieder eine erste Beziehung aufzubauen und auch Kontakt zu Hilfestellen zu vermitteln“, heißt es in der Notschlafstelle. In 15 Jahren wurden 22 500 Übernachtungen gezählt. Selbstverständlich gibt es strenge Spielregeln – zum Beispiel ein absolutes Alkoholverbot. Denn Sucht ist, wie gesagt, immer öfter ein Thema. Und Sucht hat immer eine Geschichte, die von Mangel erzählt, fehlender Zuwendung und einem brüchigem Selbstwertgefühl.