Essen. Weil Löhne nicht gezahlt werden, klagen Harfid-Mitarbeiter vor dem Arbeitsgericht. Enttäuschung über neuen Investor und S04-Sponsor Whitefield.

Die hohen Erwartungen, die vor drei Monaten mit dem Einstieg des neuen Investors Whitefield bei der schwer angeschlagenen Essener Unternehmensgruppe Harfid verbunden waren, haben sich bislang nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil: Etliche Beschäftigte des früheren Schalke- und Rot-Weiss Essen-Sponsors sind verbittert, weil sie zum Teil schon seit Monaten auf Gehaltszahlungen warten. Auf die Frage, wann die Beschäftigten endlich mit Lohnzahlungen rechnen können, wollte Whitefield am Freitag (27. Januar) auf Anfrage keine Aussage treffen. Beim Arbeitsgericht Essen hat die Harfid-Insolvenz unterdessen eine Klagewelle ausgelöst. Eine Sprecherin teilt mit, dass inzwischen Klagen von 43 Beschäftigten eingegangen sind. Whitefield ist anstelle von Harfid jetzt Premium-Sponsor von Schalke 04.

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Die Zuversicht war groß, als die weitgehend unbekannte Whitefield Investment AG mit Sitz in Berlin Ende Oktober Mehrheitsgesellschafterin der in Schieflage geratenen Harfid Holding wurde. Einen Monat zuvor, am 16. September, hatte das Amtsgericht Essen das vorläufige Insolvenzverfahren über das Bauunternehmen Harfid GmbH eröffnet. „Wir werden dafür sorgen, dass Harfid innerhalb der nächsten vier bis sechs Wochen wieder auf die Beine kommt“, sagte damals Whitefield-Spitzenmanager Gebro Aydin Tasci in der Harfid-Zentrale an der Lindenallee.

Appell im Bewertungsportal: „Bezahlen Sie Ihre Angestellten, seien Sie ehrlich“

Doch ein Vierteljahr später reißen die Klagen von Harfid-Beschäftigten nicht ab. In mehreren Betriebsversammlungen, so heißt es, sollen Whitefield-Manager ihnen versichert haben, ausstehende Gehälter zahlen zu wollen. Eingelöst wurden diese Versprechen jedoch nicht. Eine böse Überraschung soll dem Vernehmen nach ein Familienvater erlebt haben, der mit seinem Kind einen Arzt aufsuchte: Dieser habe die Behandlung jedoch ablehnen wollen, weil wegen ausstehender Beitragszahlungen an die Krankenkasse kein Versicherungsschutz mehr bestanden habe.

In dieses verstörende Bild passt auch, dass Geldzahlungen an Mitarbeiter zum Teil von türkischen Banken angewiesen worden sein sollen. Das hatte offenbar zur Folge, dass diese bei ihren Hausbanken vorstellig werden mussten. Die Geldinstitute seien wegen ausbleibender Gehaltszahlungen stutzig geworden und auch die Türkei-Überweisungen hätten Nachfragen ausgelöst. In anderen Fällen sollen Abschläge in bar in der Zentrale gezahlt worden sein, berichtet ein Mitarbeiter.

So überrascht nicht, dass ein mutmaßlicher Holding-Beschäftiger auf dem Bewertungsportal kununu.com kein gutes Haar an seinem Arbeitgeber lässt. In der Kategorie „Verbesserungsvorschläge“ heißt es in dem anonymen Eintrag auffordernd: „Bezahlen Sie Ihre Angestellten, seien Sie ehrlich und halten Wort.“

Frust bei den Beschäftigten: Beim Arbeitsgericht Essen sind 43 Klagen anhängig

Die erste Klage eines Harfid-Beschäftigten ist bereits am 13. September 2022 beim Arbeitsgericht Essen eingegangen – drei Tage vor der vorläufigen Insolvenz der GmbH, der Seele des Geschäfts. Inzwischen sind nach Angaben von Gerichtssprecherin, Richterin Katja Buschkröger, 43 Klagen anhängig: Mal sind es Kündigungsschutzklagen, mal Zahlungsklagen, mal beides. 16 Kläger sind oder waren bei der Holding beschäftigt, elf bei der GmbH und weitere 16 bei der Hochbau GmbH. Unter dem Dach der verschachtelten Harfid Holding vereinen sich insgesamt 35 Gesellschaften, darunter eine Vielzahl von Projektgesellschaften. Die Richterin macht kein Hehl aus der Tatsache, dass die Personalverantwortlichen von Harfid bei den Verhandlungen im Arbeitsgericht nie erschienen sind.

Millionenschulden, ruhende Baustellen, wütende Gläubiger und verbitterte Beschäftigte: Insider schildern den Zustand der stürmisch gewachsenen Unternehmensgruppe als desaströs. Das Amtsgericht Essen hat am 1. Dezember 2022 das Insolvenzverfahren über die Harfid GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet. Gut drei Wochen später, am 24. Dezember 2022 um 13.55 Uhr – an Heiligabend also – folgt die nächste Bescherung. Das Amtsgericht Essen eröffnet nun auch das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Harfid Hochbau GmbH. In beiden Fällen wird der Essener Rechtsanwalt Dr. Biner Bähr als Insolvenzverwalter eingesetzt.

143 GmbH-Beschäftigte sind für zwei Millionen Euro herausgekauft worden

143 GmbH-Beschäftige sind Ende November von Whitefield für zwei Millionen Euro aus der Bausparte herausgekauft und vom Insolvenzverwalter in das Tochterunternehmen Westwork eingebracht worden. Am Ende dieser Ausgliederung sollen sie für die „Zielgesellschaft“ Harfid Development GmbH arbeiten, in der Eldin und Meldin Hadrovic die Geschäftsführung übernehmen. Dass die beiden Brüder des Unternehmensgründers Harfid Hadrovic „weiterhin verantwortlich in der Unternehmensgruppe tätig bleiben“, war bereits in einem gemeinsamen Pressestatement von Harfid und Whitefield Ende Oktober mitgeteilt worden. 46 Beschäftige der Harfid GmbH haben nach Angaben von Westwork-Geschäftsführer Andreas Fettchenhauer die Kündigung erhalten.

Die weiterhin schwierige Harfid-Sanierung hängt offenbar wesentlich davon ab, ob die Geschäftsbeziehungen mit Vivawest, einem der größten Wohnungsunternehmen in NRW, halten. Vivawest befinde sich nach Angaben eines Unternehmenssprechers derzeit „mit dem übernehmenden Generalunternehmer und dem Insolvenzverwalter“ in Abstimmung über das weitere Vorgehen mit dem Ziel, alle fünf im Bau befindlichen Projekte fertigzustellen. „Aufgrund der fortgeschrittenen Gespräche rechnen wir damit, dass die Arbeiten auf den Baustellen zeitnah wieder anlaufen“, fügt der Sprecher hinzu.

Vivawest rechnet damit, „dass die Arbeiten auf den Baustellen zeitnah wieder anlaufen“

Vivawest arbeitet mit der Harfid-Gruppe bei vier Bau-Projekten in den Revierstädten Essen (Barbarakirchgang), Bochum und Gelsenkirchen zusammen. Hinzu kommt ein Projekt in Leichlingen. Das Investitionsvolumen für Mietshäuser mit mehreren Hundert Wohnungen bewegt sich im dreistelligen Millionenbereich.

Wer hinter die Kulissen der neuen Verbindung von Whitefield und Harfid schaut, den beschleichen erhebliche Zweifel an einem gedeihlichen Miteinander. Eher drängt sich der Eindruck auf, als handele es sich um eine toxische Beziehung – und das wechselseitig. Ernüchterung auf der Harfid-Seite trifft auf massiven Frust bei Whitefield. Von verlorenem Geld ist bei Letzteren die Rede, von vorsätzlicher Täuschung und der „definitiven“ Absicht, die gerade erst erworbenen Anteile an Harfid schon wieder zurückzugeben. Hinter vorgehaltener Hand fallen dann sogar Sätze wie: „Wir sind regelrecht reingelegt worden.“