Essen-Karnap. Das Wohnungsunternehmen Vivawest will in Essen-Karnap eine Häusersiedlung abreißen. Die Bewohner sollen ausziehen. Sie wehren sich aber dagegen.
Ingo Apel wohnt mit seiner Frau seit 24 Jahren am Lippermannweg in Essen-Karnap. Für 53 Quadratmeter zahlt er für dort 520 Euro warm, den angrenzenden Garten darf er ebenfalls nutzen. Die Nachbarschaft in der Siedlung verstehe sich wunderbar und will sich jetzt laut Apel zusammentun. Denn das Wohnungsunternehmen Vivawest hat den Anwohnern in einem Brief mitgeteilt, dass alle 23 Mehrfamilienhäuser im Lippermannweg abgerissen werden sollen. Für Apel steht fest: „Ohne Kampf gehe ich hier nicht weg.“
Zustand der Häuser in Karnap laut Vivawest veraltet
In dem Schreiben erklärt Vivawest, dass der allgemeine technische Zustand der Gebäude veraltet sei und nicht mehr den Anforderungen an ein „modernes und energieeffizientes Wohnen“ entspräche. Die Gebäude verfügten über keine Wärmedämmung, die Wohnungen seien unzureichend ausgestattet. Elektrik und Sanitäranlagen seien veraltet, Rollläden und Balkone fehlten.
Betroffen sind laut Vivawest 98 Wohnungen, von denen aktuell noch 80 Prozent vermietet sind. Der Abriss soll im Herbst 2025 starten. Danach sollen auf dem Grundstück diverse neue Mehrfamilienhäuser zur Miete gebaut werden. Vivawest-Sprecher Jens Rospek: „Genauere Angaben können wir aufgrund des frühen Zeitpunkts noch nicht machen.“
Ingo Apel empfindet die Gebäude ebenfalls nicht als topmodern, wünscht sich aber eine Sanierung im Bestand. Das sei nicht weit entfernt, an der Ahnewinkelstraße, auch gemacht worden. Er selbst sei nach einem Arbeitsunfall stark eingeschränkt, einen Umzug würde er körperlich gar nicht schaffen. „Ich wollte hier eigentlich alt werden.“ Deswegen habe er zuletzt auch 5000 Euro in den Garten gesteckt, einen Zaun und eine Terrasse bauen lassen.
Nachbarn in Vivawest-Siedlung in Essen-Karnap verwurzelt
Manche Nachbarn seien über 80 Jahre alt, seien in der Siedlung groß geworden und verwurzelt. Ein Pärchen wohne dort erst seit zwei Jahren. Sie haben ein kleines Kind und hätten viel Geld in ihr neues Zuhause gesteckt. Apel: „Die haben jetzt keine Rücklagen mehr.“ Der 56-Jährige bezeichnet das Vorgehen von Vivawest als „dreist“ und will jetzt Unterschriften sammeln, um den Abriss doch noch zu verhindern. Apel weiß auch: „Eine gleichwertige Wohnung finde ich im Leben nicht.“
Jens Rospek erklärt, dass das Unternehmen seine Mieter bei der Suche nach Ersatzwohnungen unterstützt: „Konkret versuchen wir, für alle vom geplanten Abbruch betroffenen Mieter ein finanziell passendes und den Wohnbedürfnissen entsprechendes neues Zuhause zu finden und übernehmen die Umzugskosten. Uns ist bewusst, dass diese Situation für unsere Mieter nicht einfach ist.“ Ingo Apel stellt das etwas drastischer dar: „Man wird hier rausgejagt und soll auf Friede-Freude-Eierkuchen machen.“ Für ihn komme das nicht in Frage. Er sei bereits mit einem Anwalt im Gespräch.
Siw Mammitzsch von der Mietergemeinschaft Essen erklärt die rechtliche Grundlage: „Es handelt sich um eine wirtschaftliche Verwertung, deren berechtigtes Interesse von Seiten des Wohnungsunternehmens nachgewiesen werden muss.“ Die dafür notwendige Wirtschaftlichkeitsberechnung müsse auf Verlangen der Mieter ausgehändigt werden.
Rechtsstreit laut Mietergemeinschaft schwierig im Fall von Vivawest-Siedlung
Eine rechtliche Auseinandersetzung sei jedoch schwierig, da ein einzelner Mieter kaum in der Lage sein dürfte nachzuweisen, dass auch alternative Möglichkeiten, wie eine Sanierung, wirtschaftlich vertretbar sind. Mammitzsch: „Das geht jedenfalls nicht ohne juristische Auseinandersetzung, im Zweifel muss ein Gericht entscheiden.“ Es würde auf jeden Fall Sinn machen, wenn sich die Mieter und Mieterinnen zusammenschließen. Anhand der Projekte des Allbau ließe sich zum Beispiel nachvollziehen, dass Sanierung durchaus möglich sei, wenn Unternehmen die Inanspruchnahme öffentlicher Förderung in Betracht ziehen.
Grundsätzlich bezeichnet Mammitzsch so ein Vorgehen, wie am Lippermannweg faktisch als „Verdrängung, meist aus bisher günstigem Wohnraum.“ Das führe unter Umständen zunächst zu zu Verknappung des vorhandenen Wohnraums und vor allem Entzug bezahlbaren Wohnraums. Am Altenessener Schürenfeld hat Vivawest in den vergangenen Jahren ebenfalls Häuser abgerissen und neu gebaut. In diesen Gebäuden seien vorher jahrelang keine Investitionen vorgenommen worden, sagt Mammitzsch. Sie seien also mehr oder weniger dem Zerfall preis gegeben wurden. „Diese Art der Wohnungsbewirtschaftung ist hochgradig beschämend.“ Auch am Baldeneysee in Essen-Heisingen hat Vivawest erst kürzlich eine ganze Häuserreihe abgerissen.
Mammitzsch könne Ingo Apel und seine Nachbarn verstehen, prophezeit aber, dass sie einen langen Atem und viel Engagement brauchen, wenn sie tatsächlich im Lippermannweg wohnen bleiben wollen.
Mietergemeinschaft als Interessenvertretung
Die Mietergemeinschaft Essen ist Interessenvertreter der Mieter in Essen und im Dachverband des Deutschen Mieterbundes. Der Verein schützt die Interessen seiner Mitglieder in Miet- und Wohnungsangelegenheiten. Der Mieterverein kümmert sich unter anderem um mietrechtliche Probleme und übernimmt auch den dafür notwendigen Schriftverkehr mit Vermietern und Hausverwaltungen. Kontakt: 02017491920, E-Mail: info@mietergemeinschaft.com, www.mietergemeinschaft-essen.com
Die Vivawest GmbH ist mit circa 120.000 Wohnungen in rund 100 Kommunen einer der größten Wohnungsanbieter in Nordrhein-Westfalen. Die Hauptverwaltung befindet sich in Gelsenkirchen.