Essen. „Lichen sclerosus“ heißt eine Hautkrankheit mit argem Juckreiz. Unbehandelt kann das Krebsrisiko für Betroffene steigen, mahnt ein Essener Arzt.
Die Krankheit hat einen unaussprechlichen Namen, doch das ist nicht der Grund, warum über „Lichen sclerosus“ (LS) selten gesprochen wird: Die chronische Hauterkrankung betrifft fast immer den Intimbereich und kann Sex ebenso zur Qual machen wie den Toilettengang. Die betroffenen Frauen haben oft eine Odyssee hinter sich, bevor LS diagnostiziert wird. Nun gründet sich in Essen eine Selbsthilfegruppe, die Hilfe, Information und Austausch bietet.
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Initiatorin ist Bettina Spitz, die anderen Frauen ersparen möchte, was sie selbst erlebte. Sie leidet schon seit der Pubertät an der Erkrankung, die meist mit extremem Juckreiz einhergeht. „Es brennt furchtbar.“ Sie habe nicht mal enge Hosen getragen, weil das zu schmerzhaft war. „Behandelt wurde ich jahrelang auf Pilzerkrankungen“, erzählt die 58-Jährige.
Essener Selbsthilfegruppe will Frauen ermutigen, über ihr Leiden zu sprechen
Die Verwechslungsgefahr von LS mit einer Pilzinfektion sei tatsächlich groß, sagt Dr. Frank Piczlewicz, Oberarzt der Frauenklinik im Elisabeth-Krankenhaus. „Wenn eine Patientin fünfmal im Jahr kommt, sollte man als Arzt allerdings aufmerken.“ Dann bestehe der Verdacht auf Lichen sclerosus – und das sollte so früh wie möglich behandelt werden. Sonst kann es zu Vernarbungen und dauerhaften Gewebeveränderungen im Genitalbereich kommen.
Selbsthilfegruppe trifft sich im Elisabeth-Krankenhaus
Lichen sclerosus (LS) ist eine chronische Hauterkrankung im Intimbereich, von der vor allem Frauen betroffen sind. LS verläuft schubweise und geht meist mit starkem Juckreiz einher. Bei Urinieren, Stuhlgang und Geschlechtsverkehr treten Schmerzen auf. LS ist nicht ansteckend und wird als Autoimmunkrankheit eingestuft. „Lichen“ kommt aus dem Griechischen und heißt Flechte, „sclerosus“ bedeutet hart.
Unbehandelt wird die Haut weiß, dünn und reißt ein. Es kommt zu Entzündungen sowie zu Vernarbungen im Genitalbereich. Lichen sclerosus ist nicht heilbar, aber mit Cortisonsalbe gut zu behandeln. Infos auf: www.lichensclerosus-deutschland.de
Die Essener Selbsthilfegruppe „Lichen sclerosus“ trifft sich zum ersten Mal am Donnerstag, 12. Januar, um 18 Uhr im Hörsaalzentrum (Zugang über Haupteingang) des Elisabeth-Krankenhauses, Klara-Kopp-Weg 1. Eine Anmeldung ist nicht nötig. Unterstützt wird die Gruppe vom Essener Selbsthilfenetzwerk Wiese e.V.
Piczlewicz leitet das Dysplasie-Zentrum in der Frauenklinik, das sich mit Krebsvorstufen befasst. „Lichen sclerosus“ sei zwar keine solche Krebsvorstufe, aber: „Durch die ständigen Entzündungen steigt das Krebsrisiko.“ Auch bei Bettina Spitz wurde ein Vulva-Karzinom festgestellt: Da war sie Mitte 30 und hatte gerade ihr drittes Kind zur Welt gebracht. Im Zusammenhang mit der Krebsdiagnose wurde endlich festgestellt, dass sie an Lichen sclerosus leidet. Achtmal wurde sie operiert, wegen des Karzinoms und wegen LS. „Ich wünschte, man hätte mir früher gesagt: ,Wenn es juckt, kann es auch etwas anderes sein als ein Pilz’.“
Patientinnen erleben eine jahrelange Odyssee bis zur Diagnose
Als Pflegeberaterin sollte Spitz beim Essener Gesundheitstag 2022 der Contilia teilnehmen – und stieß im Programm auf einen Vortrag zum Thema „Lichen sclerosus“ von Piczlewicz. Sie kontaktierte den Arzt und bot die Veranstaltung schließlich gemeinsam mit ihm an; die Resonanz war enorm und emotional. „Frauen dankten mir, dass ich das angesprochen habe“, so Spitz. Manche hätten zuvor mit niemanden außer ihrem Gynäkologen über ihr Leiden geredet.
Und sie haben noch Glück, wenn der Arzt oder die Ärztin die Krankheit rasch erkennt: Noch heute vergehen oft fünf bis sieben Jahre bis zur Diagnose, sagt Piczlewicz. Sowohl Frauen- als auch Hautärzte irrten hier leider oft. Das liege neben der Verwechslung mit einem Pilz auch daran, dass LS in Schüben verlaufe und Zwischenphasen als Heilung missdeutet werden können. Doch Lichen sclerosus sei nicht heilbar, begleite Betroffene lebenslang, betont Piczlewicz. Es könne aber mit Cortisonsalbe gut behandelt werden. „Wenn man die Behandlung frühzeitig beginnt, ist ein normales Leben möglich.“
Manche Betroffene vermeiden wegen der Krankheit eine Partnerschaft
Wenn nicht, droht ein langer Leidensweg: Viele Betroffene leiden beim Radfahren, beim Wasserlassen oder beim Geschlechtsverkehr – wenn das alles überhaupt noch möglich ist. „Es gibt Frauen, die aus Angst eine Partnerschaft lieber ganz vermeiden“, sagt Bettina Spitz. Selten trifft die Krankheit auch Männer; sie ist aber nicht ansteckend. Trotzdem gebe es viele Betroffene, die – oft aus Scham – darüber schweigen. „Ich bin konservativ erzogen worden und habe mich damit auch lange schwergetan.“
Darum ist es Bettina Spitz, die auch Mediatorin ist, so wichtig, mit der Selbsthilfegruppe anderen Frauen ein Forum zu geben – und das Gefühl, dass man sie versteht. „Das hatte ich oft nicht.“ Dr. Piczlewicz, der sich seit vielen Jahren mit LS beschäftigt, kennt die Verzweiflung der Frauen, die bis aus Dortmund oder dem Siegerland zu ihm kommen. „Die Erstgespräche dauern oft eine halbe Stunde.“ Er habe Patientinnen, die sich 20 Jahre lang nachts blutig gekratzt haben. „Dann bekommen sie eine Salbe und fallen mir drei Monate später um den Hals: ,Danke, dass ich wieder schlafen kann.’“
Der Mediziner betont, dass sich in der Ärzteschaft schon viel getan habe, so gebe es nun eine Behandlungsleitlinie zu LS für Dermatologen. Die Selbsthilfegruppe sieht er als ersten Baustein für ein Netzwerk zu Lichen sclerosus. Es handele sich nicht um ein seltenes Leiden, sondern um eins, das jede 50. Frau treffe. Eine Volkskrankheit, die fast unbekannt sei: „Man muss wissen, dass es sie gibt, und den Mut haben, darüber zu sprechen. Dann bekommt man auch Hilfe.“