Essen. Das Rathaus appelliert, auf das Böllern zu verzichten, viele Bürger planen das Gegenteil. Lasst also die Volkspädagogik mal ruhen. Ein Kommentar.

Es fällt auf, dass staatliche Instanzen sich immer öfter berufen fühlen, die Bürger mit moralischen Appellen darüber einzudecken, wie man „richtig“ zu leben hat. Auch die Stadt Essen kann da nicht widerstehen wie jüngst die Aufforderung zeigte, auf die Knallerei an Silvester doch aus Gründen der Vernunft freiwillig zu verzichten.

Großer Erfolg ist der Eingabe aus dem Rathaus offensichtlich nicht beschieden. Der traditionelle Feuerwerksverkauf in der Eishalle am Bahnhof Essen-West jedenfalls konnte sich vor Kunden kaum retten, der Andrang war nach zwei Jahren erzwungener Selbstbeschränkung so stark wie nie. Und woanders dürfte es kaum anders gewesen sein.

Kein Zweifel, dass das Feuerwerk Nachteile mit sich bringt, aber...

Nun gibt es keinen Zweifel, dass das Silvester-Feuerwerk Nachteile mit sich bringt. Die Feinstaub-Produktion ist flächendeckend, wenn auch nur für kurze Zeit weit größer als an jeder Autobahn, die Müllberge am Neujahrstag sind gewaltig, viele Haustiere leiden, mancher Unvorsichtige verletzt sich böse beim Böllern, und wahrscheinlich gibt es noch ein halbes Dutzend weiterer Probleme, die einem jetzt gerade nicht einfallen. Mit ihrem Hinweis auf die „Vernunft“ hat die Stadt also nicht ganz Unrecht.

Vernunft ist allerdings eine Kategorie, die allenfalls freudlose Griesgrame in wirklich jeder Lebenslage aufrecht erhalten können. Denn ehrlich gesagt macht vieles, das streng genommen unvernünftig ist, ziemlich viel Spaß. Es gibt zwar kein Menschenrecht auf ständigen Spaß, umgekehrt wäre aber eine Dauerpflicht zur stählernen Vernunft ebenfalls kein Zustand, in dem man leben könnte oder auch nur wollte.

Darum, liebe Stadt-Oberen oder wer auch immer im Essener Rathaus für höhere Moral zuständig ist: Lasst den Bürgern gerade Silvester die Freiheit, ein klein wenig unvernünftig zu sein, zumal Ihr es ja eh nicht verhindern könnt. Deshalb hätte es übrigens nichts verschlagen, wenn Ihr Euch die nervenden volkspädagogischen Gewissensappelle dieses Mal schon vorab weise und gelassen gespart hättet. Aber das ist anscheinend zu viel verlangt. Die Welt respektive die Stadt Essen werden jedenfalls aller Voraussicht nach auch diesmal nicht untergehen.