Essen. In Essen-Borbeck wird das alte Karstadt-Parkhaus abgerissen. Deshalb muss der Taubenschlag des Stadttauben-Vereins bald umziehen.
Die Tage im Aufzugturm des alten Karstadt-Parkhauses in Essen-Borbeck sind für den Verein Stadttauben gezählt. Weil das heruntergekommene Gebäude über kurz oder lang abgerissen wird, ziehen die Tierschützer schon Anfang Januar um ins neue Domizil. Nur einen Steinwurf vom alten Standort an der Rechtstraße entfernt haben sie eine passende Alternative gefunden: wieder auf dem Dach eines ungenutzten Parkhaus-Decks, jetzt an der Kraftstraße.
„Am neuen Standort werden wir uns noch besser um kranke, verletzte und heimatlose Tauben in Borbeck kümmern können“, sagt Tim Harbord, der Vorsitzende des Essener Stadttauben-Vereins. Auf dem Parkdeck an der Kraftstraße sollen stufenweise mehrere Übersee-Container aufgestellt werden, die eine Spezialfirma zu Taubenschlägen umfunktioniert hat. Der erste werde nach den Feiertagen mit einem Kran aufs Parkhaus-Dach gehoben. Weitere Container sollen folgen.
In der Borbecker Mitte gibt es 600 heimatlose Tauben, schätzen die Tierschützer
Die Stadttauben-Aktivisten schätzen die Zahl der heimatlosen Tauben in der Borbecker Mitte auf rund 600. Dafür reicht die Kapazität auf dem Karstadt-Parkhaus aber bei weitem nicht aus. In dem gerade einmal 25 Quadratmeter großen Taubenschlag ist Platz für höchstens 180 bis 200 Tauben. Trotzdem fliegen mehrere Hundert Tauben den Stadttauben-Schlag an, denn sie wissen nur zu gut, dass sie hier mit gutem Taubenfutter ernährt und mit frischem Trinkwasser getränkt werden.
Was die Tauben nicht ahnen: Die Tierschützer nehmen brütenden Vögeln die Eier aus dem Nest und tauschen sie gegen täuschend echte Attrappen aus Gips oder Kunststoff aus. Mit diesem einfachen Trick werde die Taubenpopulation Schritt für Schritt verkleinert. „Stadttauben brüten das ganze Jahr, deshalb holen wir täglich bis zu 20 Eier aus den Nestern“, sagt Tim Harbord (37), der als Experte für IT-Sicherheit beim Energiekonzern Eon beschäftigt ist.
Wie bei etlichen anderen Tierschutz-Projekten auch, ist beim Stadttauben-Verein viel Idealismus im Spiel und notorisch wenig Geld. Der Verein lebt größtenteils von Spendeneinnahmen und vom ehrenamtlichen Engagement seiner Mitglieder. Aber auch die Stadt Essen steht der Sache des Stadttauben-Vereins aufgeschlossen gegenüber. Lobend erwähnt Tim Harbord die Bezirksvertretung IV mit ihrer Bürgermeisterin Margarete Roderig an der Spitze und die Verwaltungsmitarbeiter. „Die Stadt Essen trägt die Kosten für den neuen Taubenschlag samt Ersteinrichtung und Transport in Höhe von 25.000 Euro.“
Hamburger Firma verwandelt Seecontainer in Taubenschläge
Der Lieferant, das Hamburger Unternehmen „Elbtainer“, hat sich darauf spezialisiert, aus Seecontainern ungewöhnliche Dinge zu formen wie „Tiny Houses“ und jetzt auch Taubenschläge. Die Prototypen seien bereits in Hamburg und anderen deutschen Städten erfolgreich erprobt worden, nun würden sie – quasi Schlag auf Schlag – in Serie produziert.
Der erste Container-Taubenschlag in Borbeck ist 30 Quadratmeter groß, drei weitere sollen folgen. Somit entstünde auf dem Parkhaus Kraftstraße ein großes Taubenhaus von insgesamt 120 Quadratmeter Grundfläche. „Wir geben monatlich rund 1000 Euro Futtergeld aus und hoffen, dass sich die Stadt in Zukunft auch an den laufenden Kosten beteiligt“, sagt der Vorsitzende des Stadttauben-Vereins.
Im Aufzugturm des ungenutzten Karstadt-Parkhauses gegenüber von Kaufland engagiert sich der Stadttauben-Verein seit 2019. Als die Absichten des Eigentümers bekanntwurden, dass marode Gebäude abzureißen, war die Befürchtung des Stadttauben-Vereins groß, genauso heimatlos in Borbeck auf der Straße zu stehen wie die Tauben.
Contilia gibt den Tierschützern neue Bleibe auf Parkhaus
Dass sie ihren Taubenschlag nun aufs Parkhaus-Dach an der Kraftstraße setzen dürfen, haben sie nicht zuletzt der Krankenhaus-Gesellschaft Contilia und der KKE GmbH (Katholische Kliniken Essen) zu verdanken, zu der auch das benachbarte Philippusstift gehört. Die KKE-Geschäftsführung habe sich im Rahmen der Neu-Konzeption des Parkhauses bereiterklärt, dem Verein Stadttauben einen Teil der Dachetage an der Ostseite zur Otto-Brenner-Straße hin zu überlassen.
Dasselbe Parkhaus hatte vor wenigen Monaten für Horror-Schlagzeilen gesorgt: Zwei junge Männer nutzten das offenbar mangelhaft gesicherte Gebäude für waghalsige Fahrmanöver, sie durchbrachen mit ihrem VW Golf die Balustrade der Dachetage, stürzten 18 Meter in die Tiefe und verletzten sich tödlich. So gesehen üben die Tierschützer allein schon durch ihre Anwesenheit eine wichtige Schutzfunktion in dem Parkhaus aus.
Ein weiterer Nebeneffekt: Wo sich Stadttauben-Vereine engagieren und Tauben eine feste Bleibe erhalten, wird das Stadtbild spürbar sauberer – so auch in Borbeck. Die Tierschützer holen säckeweise Taubenkot aus dem Parkhaus, der sich ansonsten auf den Straßen und Plätzen in der Borbecker Mitte verteilen würden. Für den Abtransport sorgt die EBE.
Um bei Gewerbetreibenden, Kaufleuten und Bewohnern der Borbecker Mitte die Akzeptanz für das Stadttauben-Projekt zu verbessern, bereiten die Stadttauben-Leute eine Info-Kampagne vor. „Wir werden bald Flyer verteilen“, sagt Tim Harbord.