Essen-Rüttenscheid. „Schattenseiten der Stadtteilentwicklung“: Schlemmermeyer und Josten verlassen Essen-Rüttenscheid, doch die Rü hat einen Plan B.
Einschneidende Umbrüche im südlichen Teil der Rüttenscheider Straße: Ein Traditionsunternehmen geht, ein Filialist hat bereits geschlossen, und ein alter Bekannter kommt zurück.
„Räumungsverkauf“ ist an den Schaufenstern von Josten an der Rüttenscheider Straße 241 zu lesen. Seit 1990 lag der Meisterbetrieb für den Verkauf und die Reparatur von Elektrogeräten für den Haushalt in den Händen der Brüder Christian und Michael Josten. Nun ist die Homepage offline und der Laden so gut wie leergeräumt. Das Versprechen „Wir reparieren fast alles“ gilt dem Vernehmen nach wohl nur noch bis Mitte nächster Woche, dann soll – zumindest auf der Rü – Schluss sein. Details zur Schließung allerdings waren von den beiden Besitzern am Freitag telefonisch nicht zu bekommen.
Schlemmermeyer: Schluss ist seit 30. November
Bereits Fakt ist das Ende für Schlemmermeyer nur ein paar Hausnummern weiter: Erst 2018 war die Filiale des Münchener Feinkosthändlers von der Kettwiger Straße in der Innenstadt an die Rü gewechselt. Zum 30. November folgte nun auch hier das Aus.
Für Rolf Krane von der IG Rüttenscheid (IGR) kommt die Schließung wenig überraschend: „Die Kette hat insgesamt große Probleme, war schon 2019 insolvent.“ Damals waren bundesweit zahlreiche Filialen des Unternehmens geschlossen worden, bis die Düsseldorfer Projektentwickler Jörg Lindner und Kai Richter mit ihrer Investmentgesellschaft „12.18.“ den Delikatessenanbieter übernahmen und neu ausrichteten.
Warum die Essener Filiale jetzt weichen musste – dazu will man bei „12.18“ derzeit nichts sagen und verweist auf die Tochtergesellschaft, die Schlemmermeyer GmbH & Co. KG in München. In der dortigen Zentrale reagiert am Freitag niemand auf Anrufe. Und in der Münchener Stadtfiliale des Unternehmens fühlt man sich nicht zuständig für Ereignisse in Essen. Ob die Schlemmermeyer GmbH wieder in der Krise steckt oder nur die Rüttenscheider Filiale nicht mehr tragbar war, ist derzeit also nicht auszumachen.
Strategische Fehlentscheidung
Doch selbst eine wackelnde Unternehmenskette – Krane zieht im Gespräch Parallelen zur Restaurantkette Vapiano – ist für den IGR-Vorsitzenden nur ein Teil des Gesamtproblems: „Das Konzept von Schlemmermeyer hat an der Stelle auch nicht wirklich gepasst.“ Zwar gibt es in Rüttenscheid immerhin 30.000 Beschäftigte – ein Mittagstischangebot ist hier prinzipiell also ein großes Thema. Doch der Standort zwischen Fridtjof-Nansen-Straße und Flora sei, so Krane, generell eher schwierig: „Im südlichen Teil der Rüttenscheider Straße gibt es kaum Einzelhandel und damit deutlich weniger Laufkundschaft als in anderen Teilbereichen der Rü.“ Strategisch habe Schlemmermeyer mit Blick auf das eigene Angebot also nicht unbedingt die beste Standortwahl getroffen. „Nicht zuletzt, weil es dort auch an Parkplätzen fehlt, was für die Kundschaft immer ein wichtiges Argument ist.“
„Schattenseiten der Stadtteilentwicklung“, die Krane „ziemlich gelassen“ sieht. „Der Einzelhandel muss auf die Kundschaft reagieren. Das kann auch bedeuten, dass gewisse Konzepte nicht mehr zeitgemäß sind oder dass alte, kleine Läden schließen müssen. Erneuerung gehört zum Einzelhandel dazu. Das ist ein Wechsel, den jeder Stadtteil mitmacht.“ Wichtiger und entscheidender ist für Krane, dass sich in Rüttenscheid auch Neues tut. Beste Beispiele seien unmittelbar im Umfeld von Schlemmermeyer und Josten die neuen und hochwertigen Konzepte der jüngst eröffneten Manufakt.Ruhr (Rüttenscheider Straße 219) und des Kindermode-Ladens Charlie & Lu (Rüttenscheider Straße 200), der in diesem Sommer an den Start gegangen ist.
Plan B wird wiederbelebt
Gute Nachrichten gibt es auch an der Rüttenscheider Straße 201, wo Miss Hops, ein Bier-Bar-Franchise, im Oktober nach nur einem Jahr schon wieder dicht gemacht hatte – was einen alten Bekannten nun dazu reizt, zurückzukehren: Am 6. Januar 2023 wird Plan B wiederbelebt. Bis zum Herbst 2020 war der Ruf der Szenekneipe legendär und dicht gedrängte Enge Kult. Betrieben wurde sie von Ted Terdisch, der sich aber nach 15 Jahren entschied, den Standort in neue Hände zu geben.
Nach dem Aus von Miss Hops hat Terdisch nun die Plan B GmbH gegründet; Joshua Hollasch soll als Geschäftsführer den alten Szene-Charme zurückbringen. Hollasch ist trotz seiner 25 Jahre bereits ein „alter Hase“ im Geschäft: „Ich habe schon mit 16 auf dem Rü-Fest in der Gastronomie gearbeitet“, erinnert er sich. Später war er im Plan B zu finden, folgte Terdisch schließlich in die Bar S6 in Stadtwald und wird nun hier seinen ersten eigenen Laden bekommen.
Noch laufen die Umbauarbeiten: Die Theke ist fast fertig, sie soll ein Blickfang und Mittelpunkt sein, insgesamt soll der Laden wieder offener und großzügig erscheinen. Ein paar wenige Sitzplätze wird es geben – das Plan B war schon immer ein Ort für ein aktives, kommunikatives Publikum. Eine bestimmte Altersgruppe hat Hollasch dabei nicht im Blick: Ü30 ist Tradition, doch der neue Geschäftsführer hofft, auch Jüngere von der neuen, alten Szenekneipe begeistern zu können.
„Rüttenscheids Wohnzimmer“ will sich wieder etablieren
Frisch vom Fass wird es Pils, Helles und Weizen geben, ein vierter Hahn ist für saisonale Biersorten reserviert. Nach der großen Auswahl beim Vorgänger wirkt das bescheiden, aber durchaus ausreichend. Hollasch: „Miss Hops hatte 28 Biersorten, aber kein Stauder. Das kann man doch in Essen nicht machen.“ Wein und eine große Auswahl an Cocktails sind im Angebot. Die Speisenkarte ist noch nicht fertig; es ist aber zu erwarten, dass die Küche eher den kleinen Hunger mit Currywurst, Flammkuchen und Mettbrötchen bedient.
Das Plan B solle wieder „Rüttenscheids Wohnzimmer“ werden, kündigt Hollasch an, Mittelpunkt und Anlaufstelle auf der südlichen Rü, eine Konstante im Wandel des Stadtteils. Ein alter Bekannter ist zurück – ob und welche neuen Nachbarn in den aufgegebenen Geschäftsräumen von Schlemmermeyer und Josten folgen werden, wird sich zeigen.