Essen-Borbeck. Seit über zwei Jahrzehnten hilft der Borbecker Verein „Zug um Zug“ bedürftigen Kindern. Nun soll das Angebot um einen Baustein erweitert werden.
Der Borbecker Verein „Zug um Zug“ hat ein Herz für Kinder. Und da auch Nächstenliebe durch den Magen geht, erhalten Bedürftige im Bahnhof Borbeck ein gesundes, kostenloses Frühstück. Nun soll die Tafel um einen Mittagstisch erweitert werden. Profitieren sollen davon künftig ganze Familien. Doch alleine können Geschäftsführer Frank Kampmann und sein Team das Projekt nicht stemmen. Daher ist nun eine Kooperation mit dem Verein „Flotte Socken“ geplant. Doch der Reihe nach.
Frank Kampmann ist in diesen Tagen ein vielbeschäftigter Mann. Nach zweieinhalb Jahren Corona-Zwangspause lief unlängst das bei den Kindern so beliebte Musical-Projekt wieder an. Insgesamt 55 Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren machen mit beim nunmehr dritten Musical aus seiner Feder, das diesmal den Titel „Die unglaubliche Hochzeit“ trägt. Es ist das insgesamt 15. Musical.
Seit Ende Oktober proben Kampmann und seine Schützlinge immer mittwochs im Gemeindezentrum am Weidkamp, feilen am Musikprogramm, studieren Tänze und Theaterszenen ein, die sich am Ende in einer selbst entworfenen Kulisse und mit zahlreichen Requisiten und Kostümen zu einer kompletten Bühnenshow verbinden werden. „Die Aufführungen sollen im Februar 2023 stattfinden“, sagt Kampmann. „Bis dahin haben wir alle noch eine Menge Arbeit vor uns, aber vor allem eine Menge Spaß.“ Insgesamt 15 Proben sind bis zur Uraufführung geplant.
Hier können sich Helfer melden
Im Jahresdurchschnitt (bezogen auf Januar bis September 2022) leben 29.783 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Essen im SGB II-Leistungsbezug. Im Stadtbezirk III lebten – Stand 31. 12. 2021 - insgesamt 5708 unter 18-Jährige unter Hartz 4-Bedingungen. Das sind 29,3 Prozent. Konkret in Borbeck-Mitte waren davon 508 Kinder und Jugendliche betroffen (26,1 Prozent).
Wer den Verein „Zug um Zug“ künftig unterstützen will, kann sich hier informieren oder sich direkt telefonisch in Verbindung setzen unter 0201- 6858244.
Zum Ensemble zählen auch eine Reihe von Kindern, die aus eher einfachen Verhältnissen kommen. „In ihren Familien sind selbst regelmäßige Mahlzeiten eine Ausnahme. Es fehlt schlicht das Geld“, weiß Kampmann, der daher bereits vor elf Jahren ein Kinderfrühstück ins Leben rief. Seitdem herrscht am kleinen Schalter der „ESS-Bahnstation“ im Borbecker Bahnhof reger Betrieb. Jeden Morgen, immer montags bis freitags zwischen 7 und 8 Uhr, stehen dort Kinder an, um sich mit einem leckeren Frühstück zu versorgen. Die meisten nehmen ihr Lunchpaket mit in die Schule, andere stärken sich direkt vor Ort.
Ergänzung zum Pilotprojekt der „Flotten Socken“ in Essen-Borbeck
Kampmann wundert das wenig. Als der Verein zum Jahrtausendwechsel gegründet wurde, war er mit dabei. Von daher kennt er die Bedürfnisse der Menschen im Stadtteil sehr genau. In der Stadt Essen wachsen etwa 30 Prozent der Kinder in sogenannten Hartz-4-Familien auf (siehe Info). „Der Bedarf ist also da. Deshalb machen wir weiter.“
Beschränkte sich das Angebot bislang auf ein Frühstück ausnahmslos für Kinder, soll der nun geplante Mittagstisch an zwei ausgewählten Tagen in der Woche ganzen Familien zugute kommen. Und dies scheint auch notwendig zu sein. Unlängst startete in der Begegnungsstätte „Flotte Socken“ am Kuhlmannsfeld 1 ein Pilotprojekt. Seitdem kochen Ehrenamtler dort immer mittwochs für Menschen jeden Alters, die sich ein ordentliches Mittagessen nicht leisten können.
Finanzielle Hilfe erhofft sich „Zug um Zug“ vom Jugendamt der Stadt Essen
Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig, die das Projekt in Zusammenarbeit mit Damian Dolinski vom städtischen Jugendamt initiiert hat, lässt es sich nicht nehmen, selbst am Herd zu stehen: „Unser Projekt läuft erst einmal bis zum 21. Dezember. Danach entscheiden wir, ob es hier im neuen Jahr weitergeht.“ Unmöglich ist das nicht, „denn der Bedarf ist definitiv da“, betont Roderig. Hatten sich zur Premiere 15 Gäste angemeldet, waren es zuletzt schon 27. „Eine Fortsetzung halte ich daher für durchaus realistisch. An uns soll es jedenfalls nicht liegen.“
Frank Kampmann hat diese Entwicklung genau verfolgt. Deshalb will er nun Ähnliches anbieten – wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen: „Unabhängig davon, ob und wie es bei den Flotten Socken weitergeht, wollen wir das Mittagstisch-Angebot in Borbeck unbedingt erweitern.“ Man verstehe sich jedoch nicht als Konkurrenz, sondern als sinnvolle Ergänzung. „Bei der Wahl der Tage sind wir daher komplett flexibel“, erklärt Kampmann.
Schon immer habe „Zug um Zug“ spontan auf den Bedarf im Stadtteil reagiert. „Sechs Jahre lang haben wir Kinder bei ihren Hausaufgaben betreut“, sagt Kampmann. „Als später die Schulen selbst diese Aufgabe übernahmen, haben wir unser Projekt beendet, um uns anderen Dingen zu widmen.“
Speisen für den Mittagstisch im Bahnhof Borbeck müssen anderorts gekocht werden
Im Unterschied zum Pilotprojekt können die Speisen bei „Zug um Zug“ nicht vor Ort gekocht werden. „Unsere kleine Küche in der Ess-Bahnstation ist darauf einfach nicht ausgelegt“, sagt Kampmann. „Unsere Arbeit beschränkt sich auf das Verteilen und das Servieren.“ In der Ess-Bahnstation ist für 15 hungrige Mäuler Platz, „aber wir wollen und können bei Bedarf auch das Bahnhofscafé, die ehemalige Bahnhofskneipe, nebenan nutzen.“
Finanziert wird die Mittagsküche der Flotten Socken durch Gelder aus dem Stab „Integration Jugendamt Bezirk 4“. Eine Option, die auch Kampmann nutzen möchte. Doch dies allein dürfte wohl nicht reichen. „Wir müssen ja Partner haben, die das Essen kochen und anliefern“, rechnet er vor. „Und dann brauchen wir natürlich Personal für den Service. Die Helferinnen und Helfer, die bei uns das Frühstück servieren, sind damit praktisch ausgelastet. Es gibt sogar eine Honorarstelle, die derzeit von Mitarbeiter Jürgen Klein besetzt wird, aber der hat jetzt schon alle Hände voll zu tun.
Gemeinsames Treffen soll Kooperation der Vereine auf den Weg bringen
Kampmann hofft daher auf eine Kooperation mit den Flotten Socken. Und die Zeichen dafür stehen günstig. „Ich halte dies für eine glänzende Idee und glaube, dass wir uns gegenseitig zum Wohle der bedürftigen Familien unterstützen können“, öffnet Margarete Roderig Türen. Bereits für Januar 2023 haben beide ein gemeinsames Treffen mit Damian Dolinski vereinbart, um über Finanzierungsmöglichkeiten zu sprechen.
Frank Kampmann will zudem Sponsoren und sogenannte „Paten“ suchen, die das Projekt unterstützen. Beim Frühstücksservice klappt das recht gut. Unterstützer sind da für 10 Euro pro Monat und Kind dabei. Ähnlich soll dies auch beim Mittagstisch laufen. Bei „Zug um Zug“ baut man aber auch aufs Ehrenamt. „Wer mithelfen möchte, kann sich gerne direkt an uns wenden.“