Essen. Starker Start fürs Festival „Literaturdistrikt“ in Essen: Fatma Aydemir liest aus „Dschinns“. Ein Familienroman, der viel über Migration erzählt.

Aus „Literatürk“ ist „Literaturkdistrikt“ geworden. Der etwas nüchtern klingende Titel des Lesefestes scheint dem Publikums-Zuspruch allerdings keinen Abbruch zu tun: Im so gut wie ausverkauften Filmstudio startete das Festival jetzt seine Neuauflage. Es mag auch daran gelegen haben, dass der bisherige Markenkern der internationalen Lesefeier zum Auftakt bestens vertreten war.

Mit Fatma Aydemir hatte man eine Autorin gewonnen, die von dem erzählt, was „Literaturdistrikt“ in vielen Facetten beleuchtet: Von einer Welt im Auf- und Umbruch, vom Verlust alter Gewissheiten und der Erfahrung neuer Zerrissenheiten. Von einem Leben, in dem sich die eigene Herkunft manchmal fremd anfühlt und das neue Zuhause doch längst noch nicht Heimat ist.

Der Gastarbeiter-Vater stirbt, als er gerade den wohlverdienten Ruhestand antreten will

„Dschinns“ hat Aydemir ihren Familienroman betitelt, der auf den ersten Blick etwas schematisch, aber doch voller Intensität und Vielschichtigkeit von diesem Zustand des Dazwischen-Seins erzählt. Sechs Kapitel, sechs Figuren, sechs unterschiedliche Blicke auf eine Familie, die das Schicksal vieler Zuwanderer-Familien repräsentiert.

Da ist der Gastarbeiter-Vater, der 30 Jahre in Deutschland für die Familie geschuftet hat und stirbt, bevor er den wohlverdienten Ruhestand in der ersparten Eigentumswohnung in Istanbul genießen kann. Da ist die Mutter, die nie angekommen ist in Deutschland, nicht einmal die Sprache lernen mag, weil sie schon einmal ihrer kurdischen Identität beraubt wurde. Und da sind die Kinder, die auf unterschiedliche Art und Weise ausbrechen und ihre eigenen Wege suchen. Eine der Töchter will ihre noch in der patriarchalischen Tradition gefangene Mutter plötzlich mit feministischer Literatur bekehren, einer der Söhne droht die in die Kriminalität abzugleiten. Und dann passiert auch noch ein Brandanschlag.

„Mach nicht soviel mit Gefühl“, sagt da eine Stimme im Ohr

„Dschinns“, das sind die Geister, die Aydemir auf den Plan ruft. Verdrängtes, Verborgenes, Vergangenes blitzt auf in den multiperspektivisch erzählten Geschichten der Autorin, die 1986 in Karlsruhe zur Welt gekommen ist und mittlerweile in Berlin als Kolumnistin und Taz-Autorin arbeitet. Mit ihrem Debütroman „Ellbogen“ trat sie sie 2017 auf den Plan, 2019 folgte die Anthologie „Eure Heimat ist unser Albtraum“. Für „Dschinns“ wurde sie zuletzt mit dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet.

Das Eintauchen in die unterschiedlichen Gefühlswelten wurde dabei auch für die Autorin zur emotionalen Berg- und Talfahrt, erzählt Aydemir in Essen. Obwohl es für sie in Deutschland schwieriger sei, über Emotionen zu schreiben: „Der Deutsche sitzt dann auch in meinem Kopf und sagt: Mach nicht soviel mit Gefühl.“ Was die „Dschinns“ dazu gesagt haben, verrät Aydemir an diesem Abend nicht.

Die Reihe „Literaturdistrikt“ läuft noch bis zum 19. November an verschiedenen Leseorten der Stadt, unter anderem in der Zentralbibliothek, im Grillo-Theater und im Lese-Raum an der Akazienallee.

Alle Infos und Termine unter: www.literaturdistrikt.de