Essen. Im November 1962 setzt Krupp Maßstäbe mit der Eröffnung eines hochmodernen Kaufhauses am Limbecker Platz. Warum man damit nicht glücklich wurde.
Über weite Strecken der Firmengeschichte war Krupp weit mehr als nur ein Stahlkonzern, sondern ein Kosmos mit eigenen Wohnsiedlungen, Dienstleistungen aller Art – und mit einer eigenen Einzelhandelskette, dem berühmten „Kruppschen Konsum“. Obwohl die große Zeit der Konsumanstalt, wie sie offiziell hieß, Anfang der 1960er Jahre bereits vorbei war, gab es vor genau 60 Jahren noch einmal ein spektakuläres Aufbäumen: Am Limbecker Platz eröffnete das Unternehmen unter großer Beteiligung der städtischen Prominenz sein neues zentrales Kaufhaus.
Krupp baute das erste Kaufhaus ohne Fenster in der Bundesrepublik
Wie so oft wollte Krupp auch bei dieser Gelegenheit architektonisch besonders glänzen und der Moderne huldigen. Der nüchtern-kühle Stil jener Zeit, den man damals als schön, heute aber meist als brutal empfindet, wurde am Limbecker Platz auf die Spitze getrieben. „Als erstes Haus ohne Fenster in der Bundesrepublik“ beschrieb diese Zeitung den flachen, quaderförmigen Kaufhaus-Bau und meinte das durchaus positiv. Nur im Erdgeschoss befanden sich umlaufende Schaufenster, die aber keinen Blick ins Innere gewährten. Der Kontrast zum 1912 erbauten klassischen Karstadt-Haus auf der anderen Seite der Limbecker Straße konnte größer nicht sein.
Für damalige Verhältnisse schuf Krupp einen Konsum-Tempel, der sich beim Angebot auf jeden Fall sehen lassen konnte. Über zwei Etagen und auf über 4100 Quadratmetern gab es alles, was auch die Konkurrenz der Kaufhauskonzerne bot, und dazu einiges mehr: Bekleidung aller Art, Elektrogeräte, Bettwaren, Dekostoffe, Körperpflegeartikel – und natürlich die alte Spezialität des Konsums, mit dem einst alles begann: Lebensmittel. Erfrischungsraum, Schnellimbiss und sogar eine auf gemütlich getrimmte, holzgetäfelte Weinstube rundeten das Angebot ab.
Bei der Einweihung blickte der Konsumanstalt-Chef mit grenzenloser Euphorie in die Zukunft
Die Einweihung erfolgte durch Else Beitz, ihr Mann, der Krupp-Generalbevollmächtigte Berthold Beitz, konnte wetterbedingt mit dem Flugzeug nicht rechtzeitig von einer Dienstreise zurück in Essen sein. Dafür hatte Friedrich Wilhelm Seitz, der Direktor der Konsumanstalt, seinen großen Auftritt und entfaltete im Hochgefühl der Einweihung ein fast schon philosophisch zu nennendes Programm, eine Weltanschauung des Konsumierens.
„Wir arbeiten, um zu kaufen und wir kaufen, um zu verbrauchen“, so Seitz, der dies keineswegs kritisch meinte. Konsumieren sei nicht nur die Befriedigung notwendiger Bedürfnisse, sondern „Lebensaufgabe“ eines jeden einzelnen. „Man kann alles kaufen: Prestige, Schönheit, Fortschritt, Eleganz, Gesundheit und Selbstbewusstsein“, befand Seitz mit grenzenloser Euphorie und ergänzte zufrieden, dass dank des enorm gestiegenen Lebensstandards „die Luxusgüter von gestern die Konsumgüter von heute sind“. Zeitgeisttypisch spiegelte der Konsumanstalt-Chef hier die optimistische, geradezu amerikanische Stimmung der frühen 1960er Jahre wider, von der die junge Bundesrepublik erfasst war.
Die bescheidenen Anfänge der Krupp-Konsumanstalt
Die frühen Anfänge der Krupp-Konsumanstalt waren zeitbedingt weitaus bescheidener. Als die Stadt Essen um die Mitte des 19. Jahrhundert auch dank der Krupp-Fabriken rasant wuchs, kamen die Einzelhändler der Stadt mit dem Herbeischaffen des täglichen Bedarfs kaum nach. Nahrungsmittel waren knapp und folglich teuer. Im Jahr 1865 hatten einige Kruppianer eine Genossenschaft gegründet, die über zentralen Einkauf günstige Preise erzielen und diese dann an ihre Mitglieder weitergeben wollte.
Die nebenberufliche Initiative scheiterte, doch Firmeninhaber Alfred Krupp befand die Grundidee für gut, gliederte die vormalige Genossenschaft 1868 in seine Firma ein und professionalisierte das Prinzip. Dank der Marktmacht durch die vielen potenziellen Kunden – einkaufen durften lange nur Krupp-Mitarbeiter – wurde der „Kruppsche Konsum“ rasch ein großer Erfolg. Die meisten Läden befanden sich in den Stadtteilen in der Nähe der Arbeitersiedlungen, doch gab es schon sehr früh auch ein zentrales Kaufhaus am Eingang der Gussstahlfabrik, ungefähr da, wo heute das Cinemaxx-Kino steht.
Krupp musste mit den Vollprofis der Einzelhandelsbranche konkurrieren
Längst waren die Zeiten andere, als Krupp im Jahr 1962 mit dem neuen Kaufhaus den Sprung über die nun massiv ausgebaute Autoschneise Limbecker Platz in die Essener Innenstadt wagte. Spezialisierte Discounter wie Aldi begannen den Markt aufzurollen, Kaufhauskonzerne wie Wertheim und Karstadt verstanden letztlich mehr vom Einzelhandelsgeschäft als Krupp. Aber die Essener Traditionsfirma hatte das Selbstverständnis, eine Art Staat im Staate zu sein, noch nicht ganz ad acta gelegt. Begrenzung auf das, was man heute Kernkompetenz nennt, Geschäftsfelder auch einmal aufzugeben – all das galt nicht als Tugend, eher als Niederlage.
In rekordverdächtigen neun Monaten wurde das Gebäude errichtet. Vor dem Krieg befand sich hier ein kleinteiliges Wohn- und Geschäftsviertel, das zwar teilweise zerstört worden war, teilweise musste aber auch funktionsfähige Substanz für den Krupp-Neubau weichen. Hart am Wind der neuen Zeit segelte Krupp auch beim neuen Massenverkehrsmittel: Nach Westen hin, in Richtung der immer noch beachtlichen Fabrik-Landschaft, war an den Straßen Limbecker Platz und Berliner Platz, Hindenburgstraße und Friedrich-Ebert-Straße die „autogerechte Stadt“ in Reinkultur zu bewundern.
Für die Autofahrer gab es gleich zwei Dachgaragen, im Winter mit heizbaren Auffahrten
Viele Kunden wollten und sollten mit dem eigenen Auto kommen, für sie war im neuen Kaufhaus bestens gesorgt. Entsprechende Anregungen hatte sich die Konsum-Leitung bei einer Studienreise in die USA geholt. Noch einmal wörtlich diese Zeitung: „Es ist das erste Haus in Deutschland mit zwei Dachgaragen für 240 Wagen, die bequem hinaufgelangen und auch im kalten Winter auf den Schrägen kein Glatteis befürchten müssen, denn die Betonbahnen sind geheizt. An alles ist gedacht.“
Die Parkgebühr betrug für die erste Stunde übrigens zwei D-Mark, die bei einem Kauf immerhin zurückerstattet wurden, und 50 Pfennig für jede weitere Stunde, die man in jedem Fall selbst bezahlen musste. Wahrlich nicht billig in einer Zeit, in der ein durchschnittlicher Arbeiter pro Monat knapp 500 DM verdiente.
Doch bei allem Willen zur Modernität, glücklich wurde Krupp mit dem neuen Super-Kaufhaus nicht, denn die Euphorie der 1960er Jahre endete zumindest für Krupp sehr rasch. Schon 1969 nach nur sieben Jahren Betrieb wurde das Gebäude an den „Quelle“-Kaufhauskonzern verkauft und von diesem mindestens zweimal komplett umgebaut, später zog Sinn-Leffers ein. Im Jahr 2008 folgte dann der Abriss. Ein Kapitel Essener Kaufhaus-Geschichte war endgültig beendet, ein neues begann: Heute ist das wiederum vollkommen anders bebaute Gelände Teil des Einkaufszentrums Limbecker Platz.
Nach 105 Jahren kam das Ende für den „Kruppschen Konsum“
Auch für die Krupp-Konsumanstalt insgesamt kam bald nach dem Verkauf ihres Flaggschiffs das Ende: 1973 trennte sich der Konzern nach 105 Jahren von seiner Einzelhandelssparte. Die Konsumanstalt, ließ Krupp kühl wissen, passe nicht mehr in die Unternehmensstruktur. Die 33 noch bestehenden Konsum-Märkte sowie 54 DisKonta-Filialen, die es in Essen und einigen Nachbarstädten noch gab, wurden ebenso geschlossen wie die eigene Fleischwarenfabrik und die Bäckerei. Die rund 1200 Mitarbeiter wechselten zum genossenschaftlichen Handelsriesen coop, der ebenfalls bald in Schwierigkeiten geriet. Aber das ist eine andere Geschichte.