Essen. Der Streit um eine Heroin-Ambulanz am Hauptbahnhof Essen spitzt sich zu. Woanders wehrt man sich bisher erfolgreich gegen eine solche Praxis.

  • In der Nähe des Essener Hauptbahnhofs plant ein Düsseldorfer Mediziner zusammen mit einer Essener Kollegin eine Heroin-Ambulanz, in der schwer suchtkranke Menschen mir Diamorphin versorgt werden sollen – auf Rezept.
  • Die Pläne rufen Kritik auf städtischer Seite hervor, die im Rahmen der Suchthilfe eine eigene Ambulanz errichten will.
  • Einschätzungen über die in Essen in Frage kommenden Patienten geht auseinander. Die Details zum Streit lesen Sie in diesem Artikel.

Die Debatte um die Einrichtung einer Heroin-Ambulanz in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof Essen spitzt sich zu. Nach den Einlassungen des Düsseldorfer Mediziners Dr. Christian Plattner, der in Essen von 100 bis 150 in Frage kommenden Patienten ausgeht, widerspricht Essens Gesundheitsdezernent Peter Renzel vehement – und bleibt weiter bei seiner Einschätzung, dass höchstens 40 bis 50 drogensüchtige Männer und Frauen aus Essen in Frage kämen: „Das ist die einhellige Meinung aller Experten in Essen – und dabei bleibe ich.“

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Christian Plattner plant zusammen mit einer Essener Kollegin, im Gebäude der Hauptpost eine Praxis einzurichten, in der schwer suchtkranke Menschen mit reinem Heroin (Diamorphin) versorgt werden sollen. Es soll nach Angaben Plattners flächenmäßig Deutschlands größte Einrichtung ihrer Art werden – 1800 Quadratmeter sind geplant.

Essens Gesundheitsdezernent geht von 40 bis 50 möglichen Diamorphin-Patienten in Essen aus

Seitens der Stadt wird vermutet, dass die Pläne vor allem das Ziel haben, Suchtkranke aus anderen Städten nach Essen zu locken. OB Thomas Kufen sagt: „Die Ambulanz ist nicht in unserem Interesse. Das haben wir auf allen Ebenen deutlich gemacht.“ Bei der Kassenärztlichen Vereinigung, der Bezirksregierung und des NRW-Gesundheitsministeriums. „Ich sehe die menschliche Not, aber die Stadt Essen hat keinen regionalen Versorgungsauftrag zu erfüllen“, so Kufen.

Essens Gesundheitsdezernent Peter Renzel bleibt bei der Einschätzung, dass es in Essen höchstens 40 bis 50 Menschen gibt, bei denen eine Behandlung mit reinem Heroin in Frage kommt: „Das ist die einhellige Meinung aller Experten in Essen – und dabei bleibe ich!“
Essens Gesundheitsdezernent Peter Renzel bleibt bei der Einschätzung, dass es in Essen höchstens 40 bis 50 Menschen gibt, bei denen eine Behandlung mit reinem Heroin in Frage kommt: „Das ist die einhellige Meinung aller Experten in Essen – und dabei bleibe ich!“ © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Plattner selbst hatte dazu im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt: „Da, wo der Bedarf ist, wollen wir hin.“ Die Behandlung mit Diamorphin spreche „einen größeren Umkreis an“, „nicht in jedem kleinen Ort“ sei solch ein Angebot möglich. „Jeder Arzt kann, wenn er möchte, eine Diamorphin-Behandlung anbieten“, sagte er. Allerdings seien die Hürden relativ groß. „Ich bin der, der es kann“, behauptet er mit Blick auf andere seiner Praxen in NRW, die er beispielsweise in Düsseldorf, Wuppertal und Iserlohn mit anderen Kolleginnen und Kollegen betreibt.

Will in Essen eine Heroin-Ambulanz in der Nähe des Essener Hauptbahnhofs errichten: Dr. Christian Plattner aus Düsseldorf.
Will in Essen eine Heroin-Ambulanz in der Nähe des Essener Hauptbahnhofs errichten: Dr. Christian Plattner aus Düsseldorf. © Plattner

Stadt Essen fürchtet dramatische Konsequenzen

Die Stadt Essen, die über die Einrichtung einer solchen Praxis nicht entscheiden kann, befürchtet – wie berichtet – dramatische Konsequenzen für den Bahnhof und sein Umfeld. Die Stadtverwaltung selbst plant die Einrichtung einer Heroin-Ambulanz in den Räumen der bestehenden Suchthilfe am Westrand der Innenstadt. Dort würden nur Essener Patienten versorgt.

Diamorphin-Ambulanz am Hauptbahnhof Essen: Unsere bisherige Berichterstattung

Renzel verweist außerdem auf die Stadt Bielefeld, die sich seit Monaten bislang erfolgreich gegen die Ansiedlung einer Heroin-Ambulanz wehrt, die der Düsseldorfer Mediziner dort etablieren will. Sowohl SPD und CDU im Rat der Stadt Bielefeld haben sich entschieden gegen eine solche Praxis ausgesprochen – auch wenn sie am Ende nicht entscheiden, sondern nur eine Empfehlung aussprechen konnten.

Die Argumente der Politik in Bielefeld sind die gleichen wie in Essen: Erstens würde eine solche Praxis „das Bahnhofsumfeld zu stark belasten“, heißt es. Und zweitens: Die dortige Praxis ist für 300 Menschen ausgelegt – dabei ist der Bedarf vor Ort viel kleiner. „Wenn drei Viertel der Patienten gar nicht aus Bielefeld kommen“, schlussfolgert eine Politikerin vor Ort in der lokalen Presse, „dann kann die Einbindung in die örtliche Suchthilfe ja gar nicht gelingen.“ Jene Einbindung der Patienten in die örtlichen Hilfenetzwerke ist aber dem Vernehmen nach eine Bedingung, die die Behörden stellen, damit solche Praxen überhaupt eröffnen dürfen. Die Entscheidung liegt zum einen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) sowie bei der Bezirksregierung in Düsseldorf.

Die Stadt Essen hat eine eigene Ambulanz bei der Bezirksregierung beantragt. Von anderen sei noch kein Antrag eingegangen, heißt es. Die Beantwortung einer Anfrage bei der KVNO steht noch aus.

>>> INFO: Was ist Diamorphin?

  • Diamorphin ist reines Heroin. Im Jahr 2009 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass es in der Suchtbehandlung eingesetzt werden darf. Als verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel kommt es nur bei schwerst Suchtkranken zur Anwendung, die älter als 23 Jahre sind. Diese müssen seit fünf Jahren abhängig sein und zweimal erfolglos behandelt worden sein.