Essen. Kommt eine Heroin-Ambulanz in die direkte Nähe des Hauptbahnhofs? Welche Erfahrung eine andere Stadt machte – und was Essen vorhat.
Nachdem bekannt geworden ist, dass sich in direkter Nähe zum Hauptbahnhof Essen eine Ambulanz etablieren will, die Suchtkranke mit reinem Heroin (Diamorphin) versorgt, haben Bürgerinnen und Bürger viele neue Fragen. Die Stadt befürchtet, dass die Praxis, die an der Straße „An der Reichsbank“ am Hauptpostgebäude eingerichtet werden soll, überdurchschnittlich viele Suchtkranke nach Essen lotst.
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„Der öffentliche Raum“, hatte Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg erklärt, „würde damit überfordert werden.“ Konkret stehe die Befürchtung im Raum, dass bis zu 200 Suchtkranke täglich das Umfeld des Hauptbahnhofs bevölkern würden. Die Behandlung mit dem reinen, synthetisch hergestellten Heroin erfordert in manchen Fällen drei Dosen, verteilt über den gesamten Tag.
Etliche Diamorphinambulanzen in NRW
Ein Düsseldorfer Mediziner hat in einigen NRW-Städten bereits Diamorphinambulanzen eröffnet und plant weitere Standorte, darunter auch in Essen. Ende 2020 etablierte er die damals größte ihrer Art in der Gemeinde Holzwickede bei Dortmund. Dort gab es nach der Eröffnung einigen Unmut – manche Geschäfte im Umfeld der Praxis erteilten den Ambulanzpatienten Hausverbot; sie hätten mehrfach gestohlen, hieß es.
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Grundsätzlich sei es für die Kleinstadt (20.000 Einwohner) zu Beginn nur schwer zu verkraften gewesen, von heute auf morgen mit der Drogenklientel konfrontiert zu werden, berichtet jemand, der sich vor Ort auskennt. Die Holzwickeder Praxis hat Platz für 250 Patienten täglich; in Essen sollen es dem Vernehmen nach 200 sein.
Diamorphin: Ist der Einsatz sinnvoll?
Ist der Einsatz von reinem Heroin überhaupt sinnvoll? Seit 2009 ist Diamorphin als Ersatzdroge erlaubt, die unter ärztlicher Aufsicht verabreicht wird. Sie kommt für jene in Frage, bei denen Ersatztherapien mit dem Medikament Methadon oder anderen Stoffen nicht wirksam war. „Insgesamt halte ich das Risiko, bestimmte, schwere Fälle von Heroinabhängigkeit mit Diamorphin zu behandeln, für vertretbar“, sagt Prof. Norbert Scherbaum, der Ärztliche Direktor des LVR-Klinikums in Holsterhausen. Scherbaum ist ein bundesweit renommierter Suchtexperte, steht zudem als Vorstandsvorsitzender der „Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen“ vor.
Der Vorteil bei der Gabe reinen Heroins sei, dass die Patienten weniger gefährdet seien, an Hepatitis zu erkranken. Wer Heroin von der Straße konsumiert, setzt sich immer zusätzlichen Gefahren aus; der Stoff ist in der Regel schließlich gestreckt. „Beim Straßenheroin“, erklärt Scherbaum, „weiß der Süchtige nie genau, wie hoch die Heroindosis wirklich ist.“
Stadt Essen registriert Diamorphinbedarf
Wie berichtet, hat die Stadt die Eröffnung einer eigenen Diamorphinambulanz beantragt – in den Räumen der seit rund 20 Jahren etablierten „Suchthilfe direkt“, die am Westrand der Innenstadt sitzt (Hoffnungstraße). Die Kapazitäten sollen unter den der am Hauptbahnhof geplanten Ambulanz liegen. Offenbar hat man bei der Stadt aber erkannt, dass es eine Nachfrage für die Diamorphinbehandlung gibt. Essens Gesundheitsdezernent sagte unter der Woche: „Der Bedarf ist da. Wir müssen unsere Suchthilfe ertüchtigen, dass wir das selbst machen.“ Einen neuen Anbieter jenseits des bereits bestehenden Netzwerks in der Suchthilfe möchte man wohl nur ungern haben.
Bundespolizei: Kriminalität am Hauptbahnhof hat sich nicht verändert
Im Zuge der aktuellen Debatte um die geplante neue Praxis am Hauptbahnhof erneuern Bürgerinnen und Bürger ihre Kritik am dortigen Umfeld: Dort ließen Sauberkeit und Sicherheit seit Jahren zu Wünschen übrig, heißt es in vielen Kommentaren im Internet. Wobei Ziel der Kritik vor allem die Wohnungslosen und Trinker sind, die sich regelmäßig am Südausgang aufhalten. Die für den Hauptbahnhof zuständig Bundespolizei stellt allerdings nicht fest, dass sich die Zahl der kriminellen Taten von Trinkern in den letzten Jahren deutlich verändert hätte, heißt es auf Anfrage.
Der Düsseldorfer Mediziner kündigt auf seiner Internetseite offensiv die Eröffnung einer Essener Praxis an – „Coming Soon“ heißt es dort. Der zuständigen Bezirksregierung liegt aber noch kein Antrag vor, hieß es am Donnerstag seitens der Behörde. Die Bezirksregierung und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) entscheiden am Ende, ob die Praxis eingerichtet wird.