Essen. In Essen entsteht eine Heroin-Ambulanz in der Nähe des Hauptbahnhofs – daran wird Kritik laut. Wie der Gründer der Ambulanz darauf reagiert.
Geht es nach dem Mediziner Dr. Christian Plattner, gibt es in der Nähe des Hauptbahnhofs Essen bald eine Heroin-Ambulanz. Der Düsseldorfer Arzt will zusammen mit einer Essener Kollegin an der Straße „An der Reichsbank“ suchtkranken Menschen Diamorphin verabreichen – reines Heroin also, auf Rezept.
Und es ist nicht irgendeine Praxis, die Plattner dort aktuell aufbaut. „Von der Fläche ist sie die größte in ganz Deutschland“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. 1800 Quadratmeter Fläche soll sie haben. Bereits im ersten Quartal 2023 soll sie eröffnen. Plattner geht davon aus, dass dort täglich „100 bis 150 Diamorphinpatienten“ behandelt werden können.
[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig & Werden + Borbeck & West | Alle Artikel aus Essen]
Neue Diamorphin-Praxis am Hauptbahnhof Essen: Stadt äußert Befürchtungen
In Essen gingen Akteure unter der Woche von täglich 200 Patientinnen und Patienten aus. Ordnungsdezernent Christian Kromberg hatte gesagt: „Die Ansiedlung einer solchen Praxis würde den öffentlichen Raum rund um den Hauptbahnhof erheblich überfordern und die gesellschaftliche Akzeptanz des Themas Sucht, die in Essen über Jahrzehnte aufgebaut wurde, massiv gefährden.“
Peter Renzel, Gesundheitsdezernent der Stadt, hatte auf „Expertenmeinung“ gestützt, gesagt: „Die Zahl der Essener Drogenkranken, die für eine Behandlung mit Diamorphin in Frage kommen, liegt bei gerade einmal bei 50 Personen.“ Eine Einschätzung, die der Düsseldorfer Mediziner Plattner anzweifelt und im Gespräch mit unserer Redaktion behauptet: „Es sind deutlich mehr als 50 – auch in Essen.“
Wer auch immer recht haben mag: Fakt ist, dass die geplante Diamorphin-Ambulanz an zentraler Stelle viele Fragen bei Essenerinnen und Essenern ausgelöst hat. Befürchtungen gehen etwa dahin, dass die Situation rund um den Hauptbahnhof mit Blick auf heroinabhängige Menschen vor etwa 20 Jahren schon einmal ausgesprochen schwierig war. Dann wurde die „Suchthilfe direkt“ etabliert, zunächst an der Hindenburg-, dann an der Hoffnungsstraße. Das hat die Lage am Hauptbahnhof nach Ansicht der Essener Akteure erheblich entschärft.
Diamorphin, also reines Heroin, wie es bald „An der Reichsbank“ verabreicht werden soll, gibt es für Suchtkranke in der Hoffnungstraße nicht. Noch nicht. Bedarf an dieser Form der Behandlung ist aber auch aus städtischer Sicht da. „Wir haben seit Anfang 2019 bereits das Thema besprochen“, teilt Gesundheitsdezernent Renzel mit. „Wir haben eine Konzeptentwicklung diskutiert, dann kam Corona.“ Nun sei es auch gesetzlich einfacher geworden, in die Diamorphin-Behandlung einzusteigen, und man habe eine eigene Diamorphin-Ambulanz beantragt. Renzel: „Somit komplettieren wir doch die bereits vorhandenen Hilfen um eine weitere Option.“ Ein weiterer Anbieter aus städtischer Sicht: nicht notwendig.
Düsseldorfer Mediziner erklärt, warum die Nähe zum Hauptbahnhof sein müsse
An den Plänen Plattners ändert dies aber nichts: „Die Praxis nimmt die Arbeit auf.“ Was aber sagt der Düsseldorfer zu den Befürchtungen, dass das Umfeld des Hauptbahnhofs wieder in Zeiten wie vor 20 Jahren zurückgeworfen werden könnte? Immerhin können sich Diamorphin-Patienten bis zu dreimal täglich eine Dosis geben lassen – und sich in der Zwischenzeit in Bahnhofsnähe aufhalten.
Lesen Sie auch zum Thema:
- Heroin-Ambulanz am Hauptbahnhof Essen: Was noch unklar ist
- Hauptbahnhof: Stadt Essen fürchtet wieder mehr Drogenabhängige
Plattner verweist auf die Größe der Praxis und das geplante Angebot. „Es gibt einen Raucherbereich, einen Liegebereich, ein Snoezel-Angebot, Billard, Kicker. Niemand muss diese Ambulanz verlassen.“ Seine Erfahrung an anderen Standorten habe gezeigt, dass das Gros der Patienten zwei- und nicht dreimal täglich eine Dosis bekomme. Betreut würden die Abhängigen vor Ort zudem von Internisten, Psychiatern und anderen Fachärzten sowie von drei Diplom-Sozialpädagogen.
Warum aber ausgerechnet die prominente Lage am Hauptbahnhof? „Wir wissen, dass Suchtkranke Wege scheuen“, sagt Plattner. „Die will ich nicht drei Kilometer durch die Innenstadt laufen lassen.“ Da es Diamorphin-Angebote nicht flächendeckend gibt, spreche eine Behandlung mit dem reinen Heroin „einen größeren Umkreis“ an. Spitzenmedizin, wie es sie an Unikliniken gibt, gebe es schließlich auch nicht überall, führt Christian Plattner als Vergleich an. Hinzu käme: „Welche Ärzte wollen das überhaupt machen?“
Zumindest auf Seite der Stadt gibt es da aber ebenfalls Mediziner.
>>> INFO: Blick nach Iserlohn – ein Vergleich
- Dr. Christian Plattner arbeitet in mehreren NRW-Städten mit Medizinerinnen und Medizinern zusammen und betreibt dort Diamorphin-Ambulanzen.
- Am Standort Iserlohn (ca. 93.000 Einwohner) würden „aktuell 132 Diamorphin-Patienten behandelt“ – suchtkranke Menschen aus dem ganzen ländlicheren Märkischen Kreis (ca. 408.000 Einwohner).