Essen. Im Winter wurde das Verkehrsaufkommen auf der Rü gemessen. Der Anteil der Fahrradfahrer war gering. Selbst Polizeibeamten schätzen ihn höher ein.

Ob es sinnvoll war, die Rüttenscheider Straße zur Fahrradstraße zu machen oder blanker Unsinn, daran scheiden sich auch mehr als zwei Jahre nach ihrer Einrichtung die Geister. Die Polizei hat die Diskussion jüngst um neue Zahlen bereichert. Ob die von Polizeipräsident Frank Richter vorgelegte Auswertung einer Verkehrserhebung aus Februar dieses Jahres aber zu einer Versachlichung der Debatte beigetragen hat, darf bezweifelt werden. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

So werfen Leser in Online-Kommentaren die Frage auf, warum die Polizei besagte Erhebung ausgerechnet im Februar durchgeführt hat. Sind doch zu dieser kalten Jahreszeit erfahrungsgemäß weniger Radfahrer unterwegs als im Frühling und Sommer. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt? Die statistische Auswertung aus dem Polizeipräsidium wurde jedenfalls mit Misstrauen aufgenommen. Vermutlich ist es unter Befürwortern der Fahrradstraße besonders groß.

Bei Messungen im Sommer 2021 lag der Anteil der Fahrradfahrer nur bei zwei Prozent

Insgesamt hat die Polizei zwischen 2. und 16. Februar 88.820 Verkehrsbewegungen erfasst, der Anteil der Fahrradfahrer lag im Tagesdurchschnitt bei vier Prozent. Warum wurde im Februar gemessen? Gegenüber der Redaktion lässt die Polizei diese Frage unbeantwortet. Der Zählung waren jedoch bereits zwei Erhebungen vorangegangen: eine vom 18. bis zum 30. November 2021 mit insgesamt 93.695 Fahrzeugen und einem Radverkehrsanteil von drei Prozent, so wie eine Zählung vom 29. Juni bis zum 16. Juli 2021 mit 153.527 Fahrzeuge. Der durchschnittliche Anteil des Fahrradverkehrs betrug – obwohl mitten im Sommer – da nur zwei Prozent.

Die im Februar gemessenen Werte entsprächen in weiten Teilen denen der beiden vorangegangenen Messungen, schreibt dazu der Polizeipräsident.

In diesem Jahr beobachtete die Polizei die Entwicklung auf der Rü aber über einen längeren Zeitraum, und zwar von Januar bis April. Neben den nackten Zahlen gibt die Polizei den subjektiven Eindruck ihrer Beamten wieder, die vor Ort im Einsatz waren.

Die Eindrücke der Polizeibeamten sollen die gemessenen Werte ergänzen

Ihren Schätzungen nach lag der Anteil des Radverkehrs höher als gemessen. Genannt wird 22 Mal ein Anteil von 10 Prozent, zwölf Mal ein Anteil von 20 Prozent und einmal ein Radverkehrsanteil von sogar 30 Prozent. An welchen Stellen der Rü und über welchen Zeitraum diese Eindrücke gewonnen wurden, bleibt offen.

Traute die Polizei ihren eigenen Messungen nicht? Die subjektiven Eindrücke sollen laut Polizei als Ergänzung dienen zu den objektiven Zahlen.

Erfasst wurden diese Daten jeweils mithilfe eines Radargerätes. Es misst das Verkehrsaufkommen, die Geschwindigkeit, mit der gefahren wird, und es kann unterscheiden, ob es sich um einen Pkw, um einen Lkw, ein Motorrad oder ein Fahrrad handelt. Das Gerät dürfte also unbestechlich sein.

Die Polizei hat das Verkehrsaufkommen an unterschiedlichen Stellen gemessen

Um „ein breites Bild zu bekommen“, seien für die drei Messungen drei unterschiedliche, aber nahe beieinander liegende Messstellen ausgewählt worden, heißt es auf Nachfrage bei der Polizei. Während der Messreihe im Februar stand das Gerät vor der Kreuzung Rüttenscheider Straße/Witteringstraße. Im November vergangenen Jahres hatte die Polizei es am Fußgängerüberweg in Höhe der Emmastraße platziert und im Juli an der Einmündung zur Girardetstraße. Ob die Zahlen vergleichbarer und damit aussagekräftiger wären, hätte das Gerät zu allen drei Messungen an derselben Stelle gestanden, sei dahingestellt.

Die Polizei spart sich nähere Interpretationen. Anders als im August vergangenen Jahres, als Ulrich Sievers, Leiter der Polizeidirektion Verkehr, der Stadt dringend nahelegte, den Autoverkehr auf der Rüttenscheider Straße weiter einzuschränken, damit die Fahrradstraße den ihr zugedachten Zweck auch erfüllt. Nicht nur polizeiintern sorgte das Schreiben dem Vernehmen nach für Diskussionsstoff. Auch Oberbürgermeister Thomas Kufen soll nicht erfreut gewesen sein über die verkehrspolitischen Ratschläge aus dem Polizeipräsidium.

Die FDP legt sich fest und will auf der Rüttenscheider Straße alles so lassen wie es ist

Was die Stadt mit den neuen Zahlen macht, bleibt nun abzuwarten. Verkehrsdezernentin Simone Raskob wollte die Messergebnisse gegenüber der Redaktion nicht kommentieren, ließ aber wissen, dass die Stadtverwaltung eigene Erhebungen anstellen wird. Diese würden in ein Verkehrsgutachten einfließen, welches der Politik als Grundlage dienen soll für eine Entscheidung, wie es mit der Fahrradstraße weitergehen soll.

Die FDP hat sich bereits festgelegt. Die Erhebung der Polizei spreche eine klare Sprache, sagt Hans-Peter Schöneweiß, Fraktionschef der Liberalen im Stadtrat. Eine deutliche Mehrheit von 96 Prozent sei weiterhin eben nicht mit dem Fahrrad unterwegs. Weitere Gutachten werden nach Überzeugung der Liberalen keine neuen Erkenntnisse bringen. Sie fordern die Stadtverwaltung und die Mehrheit im Rat aus CDU und Grünen deshalb auf, die Rüttenscheider Straße so zu belassen, wie sie ist.

Die Befürworter der Fahrradstraße, aber auch manche Kritiker sind damit allerdings nicht zufrieden.