Essen. 80- und 90-Jährige haben jetzt in Essen demonstriert: Die Bewohner des Malteserstifts zeigten sich solidarisch mit überlasteten Pflegekräften.

Es ist nie zu spät für neue Erfahrungen und so sitzen an diesem Mittwoch (7.9.) über 80- und sogar über 90-Jährige vor dem Malteserstift St. Bonifatius in der Essener Innenstadt und demonstrieren: Die Bewohner des Seniorenheims zeigen sich solidarisch mit den überlasteten Pflegekräften. Die ächzen seit Beginn der Pandemie unter den zeitaufwendigen Coronaschutzmaßnahmen, für die es neuerdings keinen Ausgleich mehr gibt. „Die Pflege kann nicht mehr“, sagt die Leiterin des Stifts Heike Großheimann.

Essener Heim musste das zusätzliche Personal wieder kündigen

Denn seit Ende Juni ist der Pflegerettungsschirm ausgelaufen, über den die Heime zusätzliche Aufwendungen für den Infektionsschutz ebenso wie coronabedingte Mindereinnahmen geltend machen konnten. Dass diese Hilfe weggefallen ist, hatte unmittelbare Folgen: „Wir mussten das zusätzliche Personal wieder kündigen.“ Dabei sei der Aufwand keineswegs geringer geworden: Während es vielerorts Lockerungen gibt, muss im Pflegeheim weiterhin jeder Besucher einen Test vorweisen. Wer keinen hat, wird an einer Teststation im Foyer getestet.

„Die Pflege kann nicht mehr“, sagt die Leiterin des Malteserstifts St. Bonifatius, Heike Großheimann. Für den aufwendigen Infektionsschutz und coronabedingte Dokumentationspflichten gebe es seit Juni keinen Ausgleich mehr.
„Die Pflege kann nicht mehr“, sagt die Leiterin des Malteserstifts St. Bonifatius, Heike Großheimann. Für den aufwendigen Infektionsschutz und coronabedingte Dokumentationspflichten gebe es seit Juni keinen Ausgleich mehr. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das sei eine Pflichtaufgabe, erklärt Leiterin Großheimann. Der Gesetzgeber schreibe vor, dass die Heime die Tests mindestens viermal wöchentlich anbieten müssen, auch am Wochenende. Denn da ist schließlich Hauptbesuchszeit. Weil es schwieriger ist, Personal für die Einsätze an Samstag und Sonntag zu finden, ist die Rezeption dann nur bis 17 Uhr besetzt, an Wochentagen dagegen von 8 bis 19.30 Uhr.

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„Samstag um fünf stehen schon mal Angehörige vor der verschlossenen Tür und warten bis eine Pflegekraft von der Station kommt, um sie zu testen.“ Der Pfleger müsse dafür die Essensausgabe unterbrechen, eine Viertelstunde auf das Testergebnis warten und den Besucher in eine Liste eintragen, die später in den PC eingegeben wird: Das Heim muss wöchentlich melden, wie viele Tests es gemacht hat.

Protestierende Bewohner und Beschäftigte des Malteserstifts St. Bonifatius ließen sich auch vom Regen nicht vertreiben.
Protestierende Bewohner und Beschäftigte des Malteserstifts St. Bonifatius ließen sich auch vom Regen nicht vertreiben. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Wenn der Bundestag am Donnerstag (8.9.) beschließen sollte, den Infektionsschutz für die Pflegeheime fortzuschreiben, ohne dass diese dafür einen Ausgleich bekommen, könnte das zulasten der Pflege oder der Besuchszeiten gehen, fürchtet der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland e. V. (VKAD). Er hat daher zum Protest unter dem Motto „Besuch vor der Tür“ aufgerufen, an dem sich die Bewohner des Malteserstifts St. Bonifatius nun beteiligen.

Bewohner solidarisieren sich mit Pflegekräften

Einer von ihnen ist Peter Sürth (82), der seit sieben Jahren in der Einrichtung lebt und früher selbst als Psychiatrie-Krankenpfleger gearbeitet hat: „Pflegeberufe sind immer noch zu schlecht bezahlt“, sagt er und zeigt per Plakat, was er von den gesetzlichen Regelungen zulasten der Heime hält: Daumen runter.

„Pflegeberufe sind immer noch zu schlecht bezahlt“, sagt Peter Süth (82), der im Malteserstift St. Bonifatius in der Essener Innenstadt lebt.
„Pflegeberufe sind immer noch zu schlecht bezahlt“, sagt Peter Süth (82), der im Malteserstift St. Bonifatius in der Essener Innenstadt lebt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auch Iris Kutsch unterstützt den Protest: Ihre 92 Jahre alte Mutter Helena Schimanski lebt im Malteserstift und freut sich, dass die Tochter dreimal wöchentlich zu Besuch kommt – in der Pandemie war das lange Zeit nicht möglich. „Sie ist dement und konnte nicht begreifen, dass ich nicht zu ihr kam, sondern im Hof stand und ihr etwas zurief.“ Im zweiten Stock habe die schwerhörige Frau sie kaum verstehen können.

Vor der Tür des Malteserstifts St. Bonifatius sitzt Iris Kutsch mit ihrer Mutter Helena Schimanski (92). Die beiden beteiligen sich am Protest gegen eine Überlastung der Pflege.
Vor der Tür des Malteserstifts St. Bonifatius sitzt Iris Kutsch mit ihrer Mutter Helena Schimanski (92). Die beiden beteiligen sich am Protest gegen eine Überlastung der Pflege. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Die Pfleger machen hier einen ganz tollen Job, die sind nie kurz angebunden“, sagt Iris Kutsch. Um sie zu entlasten, macht sie den Coronatest vor jedem Besuch in einem Testzentrum. Die Einlasskontrolle muss das Heim trotzdem machen. Auch teste man regelmäßig Bewohner und Beschäftigte und dokumentiere den Impfstatus des Personals, ergänzt Leiterin Heike Großheimann. Sollte das Malteserstift wegen des großen Aufwands die Besuchszeiten einschränken müssen, würde ihre Mutter das nicht verkraften, glaubt Iris Kutsch: „Sie strahlt, wenn wir zu Besuch kommen – in der Coronazeit hat sie nur geweint.“