Essen. Essens OB ärgert sich über den Schlingerkurs bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Die bedeutet für die Stadt viel bürokratischen Aufwand.

Knapp 500 der 50.000 Beschäftigten im Essener Medizin- und Pflegewesen haben noch immer keinen ausreichenden Impfschutz gegen Covid-19 – und arbeiten dennoch weiter. Bisher hat die Stadt Essen kein einziges Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen. Dabei gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Mitarbeiter von Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen offiziell seit Mitte März. Doch das Prüfverfahren ist umständlich und langwierig. Trotzdem ärgert sich Oberbürgermeister Thomas Kufen über Forderungen, die Impfpflicht nun auszusetzen.

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Gerade erst hat NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die Bundesregierung ermuntert, „die einrichtungsbezogene Impfpflicht dringend auf den Prüfstand zu stellen“. Im Gegensatz zu Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält er sie in der aktuellen Situation nicht mehr für das Nonplusultra: „Die Impfung schließt Ansteckungen nicht aus.“ Das habe man sich zwar ursprünglich erhofft, sagt auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Mit der Omikron-Variante sei diese Annahme jedoch „hinfällig geworden“, die Impfpflicht sei nun noch schwerer vermittelbar.

Mit Unverständnis hat Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen auf eine mögliche Aufweichung der Impfpflicht reagiert: Dieser „Schlingerkurs“ sei nicht hilfreich, wenn man Bürger und Bürgerinnen im Herbst wieder verstärkt zur Corona-Impfung aufrufen wolle. Kufen, der auch Vorsitzender des Städtetags NRW ist, betonte, das Gremium habe auf die offensichtlichen Mängel des Gesetzes schon frühzeitig hingewiesen: „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht war von Anfang an zu bürokratisch angelegt.“

Tatsächlich lief schon das Meldeprozedere schleppend an. Am Ende waren dem Essener Gesundheitsamt über das städtische und das Landes-Meldeportal 1224 Betroffene ohne Impfschutz oder Genesenen-Nachweis bekanntgeworden. Bis zum 21. Juli hatten sich davon 479 Fälle erledigt, etwa weil die Beschäftigten die Impfung nachholten oder nur versäumt hatten, einen vorhandenen Impfnachweis rechtzeitig vorzulegen.

Stadt Essen hat alle ungeimpften Mitarbeiter angehört

489 Betroffene haben weiter keinen gültigen Impfschutz gegen Corona, das entspricht knapp einem Prozent der Beschäftigten im Essener Gesundheitswesen. Weitere 256 sind lediglich zweimal geimpft: Das reicht bis Ende September, dann müssten sie eine dritte Impfung nachweisen. Sollte das Verfahren in ähnlichem Tempo weiterlaufen, dürften ihnen kaum noch Sanktionen drohen: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht läuft zum Jahresende aus.

Das Gesetz schreibt in jedem Fall eine Anhörung der Betroffenen und ihrer Arbeitgeber vor. Dieser Schritt sei inzwischen abgeschlossen, sagt Stadtsprecherin Jasmin Trilling. „Die verbliebenen ungeimpften Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind alle entsprechend der gesetzlichen Regelung angehört worden.“ Ein Verbot sei bisher noch nicht ausgesprochen worden: „Die Bescheide sind aber in Vorbereitung.“

Die Überprüfung der ungeimpften Mitarbeiter von Krankenhäusern, Arztpraxen und Seniorenheimen ist umständlich und langwierig.
Die Überprüfung der ungeimpften Mitarbeiter von Krankenhäusern, Arztpraxen und Seniorenheimen ist umständlich und langwierig. © dpa | Christin Klose

Unterdessen haben bereits 73 Arbeitgeber „Unabkömmlichkeitsbescheinigungen“ für ihre Angestellten eingereicht. Sie machen damit geltend, dass der Betrieb ihrer Einrichtung ohne die Betroffenen nicht vollständig aufrecht erhalten werden könne. Ob die Stadt dem folgt, ist noch offen, „da jeder im Einzelfall für die jeweilige Einrichtung geprüft und beschieden werden muss“, wie Trilling erklärt. Auch hier gilt: „Die Bearbeitungen laufen.“

Verzögert wird das Verfahren auch auf juristischem Weg: So laufen zurzeit drei Klageverfahren, die sich laut Stadt, noch nicht mit den (drohenden) Sanktionen beschäftigen, „sondern mit den Schritten innerhalb des Prozesses“. Andere ungeimpfte Mitarbeiter hätten schon rechtliche Schritte angekündigt, anwaltlichen Beistand eingeleitet und Akteneinsichtnahmen beantragt.

Die Ungeimpften tragen immer FFP2-Maske

Mehrere Hundert der ungeimpften Beschäftigten arbeiten übrigens in den Krankenhäusern und den Pflegeheimen in der Stadt, bei den ambulanten Pflegediensten gibt es lediglich ein gutes Dutzend Ungeimpfte. Heribert Piel, Geschäftsführer der GSE, die sieben Seniorenheime in Essen betreibt, glaubt trotzdem nicht, dass die betagten und damit hochgefährdeten Bewohner durch die ungeimpften Kräfte einem zusätzlichen Risiko ausgesetzt sind: „Die Mitarbeiter ohne Impfung beachten die Sicherheitsregeln noch stärker, tragen zum Beispiel immer FFP2-Masken.“ Noch habe es keinen Corona-Ausbruch gegeben, den man auf sie hätte zurückführen können.

Auch Piel musste im Mai und Juni die Anhörungsbögen für die noch sieben Ungeimpften bei der GSE ausfüllen und hat notiert, „dass wir jeden Mitarbeiter brauchen“. Sämtliche Pflegekräfte seien „unverzichtbar und systemrelevant“, lediglich für eine Hauswirtschaftskraft habe er das nicht so absolut gesagt. Doch auch sie arbeite weiterhin bei der GSE. Ginge das nach Piel, bliebe es auch dabei. „Ich hoffe, dass sich diejenigen Stimmen durchsetzen, die die Impfpflicht aufgeben wollen.“

Viele Pflegekräfte sehen die Impfpflicht als Bestrafung, weil sie nicht für alle gilt

„Das ärgert die Pflegekräfte, die seit Beginn der Pandemie an vorderster Front gestanden haben“, sagt der Geschäftsführer der GSE, Heribert Piel. Die Betroffenen hätten eine Impfpflicht als fairer empfunden.
„Das ärgert die Pflegekräfte, die seit Beginn der Pandemie an vorderster Front gestanden haben“, sagt der Geschäftsführer der GSE, Heribert Piel. Die Betroffenen hätten eine Impfpflicht als fairer empfunden. © Bettina Steinacker

Der GSE-Geschäftsführer sagt, dass viele Mitarbeiter die einrichtungsbezogene Pflicht als Bestrafung empfänden, weil die angekündigte allgemeine Impfpflicht nie eingeführt wurde. „Das ärgert die Pflegekräfte, die seit Beginn der Pandemie an vorderster Front gestanden haben.“ Im Übrigen verursache das Gesetz einen enormen bürokratischen Aufwand, der den Gesundheitsämtern und den Einrichtungen viel Mehrarbeit beschere, aber noch zu keiner Sanktion geführt habe.

Als völlig folgenlos wertet Piel die einrichtungsbezogene Impfpflicht trotzdem nicht: Sie habe als Druckmittel funktioniert und im Februar und März etliche der 1300 GSE-Mitarbeiter veranlasst, sich impfen zu lassen. Die GSE hat jetzt eine stolze Impfquote von 99,5 Prozent. „Das hätte eine allgemeine Impfpflicht aber auch erreicht.“