Essen. Mit Kriegsausbruch brach für viele Kinder in der Ukraine die Krebstherapie ab. Die Uniklinik Essen hat 35 der Patienten samt Familie aufgenommen.
Mehr als 6000 Menschen aus der Ukraine hat Essen aufgenommen, sie alle flohen vor dem Krieg, mehr Sorgen als Sachen im Gepäck. 35 von ihnen hebt Oberbürgermeister Thomas Kufen an diesem Montag (8.8.) dennoch besonders heraus: Es sind krebskranke Kinder, die schon um ihr Leben rangen, als ihr Land überfallen wurde. Nun werden sie an der Universitätsklinik Essen behandelt, die sich auch ihrer Familien angenommen hat. Viele Mütter und Geschwister leben im Schwesternhaus auf dem Campus.
„Wenn man ein krankes Kind hat, ist der Krieg ein noch viel größerer Schicksalsschlag“, sagt Kufen. Die Eltern bangten, wo und wie ihr Kind weiter versorgt werden könne. „Wer die Onkologie hier kennt, weiß: Sie sind nun in den besten Händen.“ Kaum zwei Wochen nach Kriegsausbruch kamen die ersten kleinen Patienten in Essen an, dank eines spontanen Angebots der Uniklinik. Bürokratische Hürden habe die Stadt Stück für Stück aus dem Weg geräumt: „Aber selbst wenn ein Formular am Anfang fehlte – Ihre Hilfsbereitschaft war sofort da“, lobt der OB und bittet um Applaus für das Team des Klinikums.
Lebenswichtige Behandlung wird an der Uniklinik Essen fortgesetzt
Applaus und Dankesbekundungen gibt es viele bei diesem Austausch im Schwesternhaus, das nun die ukrainischen Familien beherbergt. „Wir freuen uns sehr, Ihnen ein wenig ein Zuhause in unserem Land geben zu können“, sagt der Kaufmännische Direktor der Uniklinik, Thorsten Kaatze. Dieses Zuhause auf Zeit bietet den Müttern die maximale Nähe zu ihren Kindern, kurze Wege zu anstehenden Untersuchungen und Therapien. Wer die kleinen Kinder sieht, die durch den Raum flitzen oder ein paar Tasten auf dem Flügel anschlagen, mag fast vergessen, dass dies kein gewöhnlicher Eltern-Kind-Treff ist.
Kranke Kinder im Reisebus von Polen nach Essen gebracht
Am 6. März 2022 kamen 21 krebskranke Kinder aus der Ukraine mit einem Reisebus an der Uniklinik Essen an, begleitet von Müttern und Geschwistern. Fünf Kinder blieben zur Behandlung in Essen, die anderen wurden auf Krebskliniken in NRW verteilt. Ein polnisches Krebszentrum in Lublin hatte den Transport zusammengestellt, weil die dortigen Fachkliniken ausgelastet waren. Es folgten weitere Patienten-Transporte. Aktuell werden 35 krebskranke Kinder aus der Ukraine an der Uniklinik Essen behandelt.
Die Familien werden von der Stiftung Universitätsmedizin Essen unterstützt. Infos auf: www.universitaetsmedizin.de/ Bei Betreuung und Unterbringung der Kinder haben auch die Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder e.V. sowie das Ronald-McDonald-Haus in Essen geholfen.
Welchen Weg diese Mütter zurückgelegt haben, kann Natalia exemplarisch erzählen. Sie stammt aus der Nähe von Kiew, hat eine Tochter (13) und einen Sohn (17), der ein Ewing-Sarkom hat. Das ist ein bösartiger Tumor, der meist im Knochen auftritt und schnell wachsen kann. Die Krebstherapie hatte schon in der Ukraine begonnen, eine Operation war angesetzt. „Als der Krieg ausbrach, wurde der Termin abgesagt“, berichtet Natalia. Ein Schock für die Familie, die nicht wusste, wo sie Behandlung fortsetzen konnte.
Der Sohn schwer krank, der Mann kämpft in der Armee
Eine ukrainische Stiftung vermittelte schließlich den Kontakt nach Essen, wo ihr Sohn nun behandelt wird. „Ich bin dafür so dankbar“, sagt Natalia, fügt an: „Und für alle Menschen, ob auf der Straße oder im Laden, die immer nett und hilfsbereit sind.“ Jedes Lächeln hilft der Mutter, die sich nicht nur um ihren Sohn sorgt, sondern auch um ihren Mann, der in der Ukraine in der Armee kämpft. „Wir hoffen alle auf Frieden.“
Trotz dieser Belastung erlebt Prof. Dr. Dirk Reinhardt, Direktor Kinderklinik III am Uniklinikum, die Kriegsflüchtlinge als „fantastische Gäste und tolle Patienten“, denen er die bestmögliche Behandlung bieten wolle. Oder vielmehr 35 bestmögliche Behandlungen: Die Patienten sind zwischen einem und 19 Jahre alt, haben verschiedene Erkrankungen, in unterschiedlichen Stadien; Neu-Diagnosen waren dabei und fast abgeschlossene Therapien ebenso wie Rückfälle.
Polnische Mediziner baten die deutschen Kollegen um Hilfe
Für sie alle galt, dass jeder Aufschub der Therapie riskant ist: „Da ging es um wenige Wochen.“ Darum habe die Uniklinik nicht gezögert, als der erste Hilferuf aus Polen kam, wo die Ärztekollegen an ihre Grenzen gerieten: Schon wenige Tage danach trafen ukrainische Familien in Essen ein. Da habe man bei Unterbringung und Mahlzeiten noch improvisieren müssen.
Längst hat sich vieles eingespielt für die Kinder, die Mütter und den einen Vater, der nur hier ist, weil er als Stammzellspender für sein Kind infrage kommt. Auch die meisten anderen hätten ihr Land, ihre Verwandten nicht verlassen wollen, sagt Reinhardt: „Sie trieb die Angst, dass ihr Kind stirbt.“ Und er tut alles, damit es lebt.