Essen. Die OP-Säle im Uniklinikum Essen laufen nach Ende des Streiks auf Hochtouren. In den vergangenen Wochen waren gut 3000 Operationen ausgefallen.

Nach einem beispiellosen Streik meldet sich die Uniklinik Essen in diesen Tagen selbstbewusst zurück. Von Anfang Mai bis zum 20. Juli hatten die Beschäftigten für einen Tarifvertrag „Entlastung“ gestreikt und damit Teile der Klinik lahmgelegt. Zeitweilig waren knapp zwei Drittel der OP-Säle geschlossen, blieben 500 der 1700 Betten im Haus leer. Nun wirbt das Haus in ganzseitigen Zeitungsanzeigen: „Wir sind zurück – mit 100 Prozent Leistung und mehr“. Doch der Abbau des Behandlungsstaus wird dauern.

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Das Werbeversprechen ist mutig, mussten doch während des Streiks rund 3000 Operationen abgesagt werden. Schon diese Eingriffe abzuarbeiten, dürfte enorme Zeit in Anspruch nehmen. „Unsere Operationssäle laufen wieder auf Hochtouren. Einige Eingriffe konnten wir bereits nachholen“, sagte Prof. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor der Uniklinik, Ende vergangener Woche dazu. „Zudem gehen wir davon aus, dass zumindest ein Teil der ausgefallenen elektiven [zeitlich wählbaren] Operationen – vor allem bei weniger komplexen Eingriffen – während der Streikphase in anderen Krankenhäusern durchgeführt wurde.“ Diese Erfahrung habe man bereits bei den Streiks von 2018 gemacht. „Für die verbliebenen Eingriffe rechnen wir mit einem Zeitraum von mehreren Wochen, bis alle Operationen abgearbeitet sind.“

Vor allem das Pflegepersonal an der Uniklinik Essen sollen durch den neuen Tarifvertrag entlastet werden. (Das Bild aus dem Jahr 2020 zeigt Beschäftigte auf einer Intensivstation).
Vor allem das Pflegepersonal an der Uniklinik Essen sollen durch den neuen Tarifvertrag entlastet werden. (Das Bild aus dem Jahr 2020 zeigt Beschäftigte auf einer Intensivstation). © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Werner weist auch darauf hin, dass nicht auf Knopfdruck wieder alle Betten belegt, alle Leistungen angeboten werden können. „Eine große Universitätsklinik ist ein komplexer Organismus, den man nach dem Ende eines langen Streiks nicht von einem Tag auf den anderen wieder auf Volllast hochfahren kann.“ Man sei in diesen Tagen dabei, alle Funktionsbereiche und Kliniken wieder Stück für Stück in den Normalbetrieb zu überführen. Er unterstreicht: „Vor allem unser OP-Programm können wir bereits wieder in vollem Umfang durchführen.“

Uniklinik-Beschäftigte erkämpfen sich Entlastung

Nach 80 Tagen endete der Streik an den sechs Unikliniken in NRW am 20. Juli 2022: Die Kliniken einigten sich mit der Gewerkschaft Verdi auf Eckpunkte zu einem Tarifvertrag „Entlastung“. Dieser soll die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten an den sechs Häusern deutlich verbessern.

Vereinbart wurden bessere Personalschlüssel, vor allem in „patientennahen Berufsgruppen“, an erster Stelle also in der Pflege. Werden die Schlüssel unterschritten, soll es Entlastungstage für die Beschäftigen geben. Die Belastung soll exakt bemessen, Überlastung durch freie Tage oder finanziell ausgeglichen werden. Auch die Ausbildung soll verbessert werden, etwa durch mehr persönliche Anleitung.

Der Tarifvertrag „Entlastung“ tritt am 1. Januar 2023 in Kraft und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Die Umsetzung erfolgt stufenweise und mit Übergangsfristen.

Bei nicht geplanten Eingriffen kann es offensichtlich noch zu Einschränkungen kommen. Wie bei der alten Dame, die vor einer Woche nach einem Sturz in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Das Röntgenbild zeigte dort, dass sich die 82-Jährige die Schulter gebrochen hatte. Sie wurde jedoch nicht stationär aufgenommen, sondern mit Schmerzmitteln versehen per Rettungswagen zunächst wieder nach Hause gebracht – man werde sich melden. „Nachdem wir interveniert hatten, fand die Operation einige Tage später statt“, berichtet der Sohn.

„Unsere Operationssäle laufen wieder auf Hochtouren“, sagt Prof. Dr. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Essen. „Generell setzen wir alles daran, schnellstmöglich nicht nur die optimale medizinisch-pflegerische Behandlung, sondern auch guten Service etwa durch geringe Wartezeiten anzubieten.“
„Unsere Operationssäle laufen wieder auf Hochtouren“, sagt Prof. Dr. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Essen. „Generell setzen wir alles daran, schnellstmöglich nicht nur die optimale medizinisch-pflegerische Behandlung, sondern auch guten Service etwa durch geringe Wartezeiten anzubieten.“ © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Gleichzeitig ermunterte die Anzeige der Uniklinik Patienten offensiv: „Jetzt Termin vereinbaren“; für Gespräche, Behandlungen – und Operationen. „Die Anzeige verdeutlicht, dass der Streik beendet ist, und nunmehr wieder das gesamte Leistungsportfolio der Universitätsklinik Essen und vor allem die Operationskapazitäten zur Verfügung stehen“, sagt Werner. Ein Signal, das durch die Berichterstattung über die Einigung mit der Gewerkschaft Verdi verstärkt werde. „Generell setzen wir alles daran, schnellstmöglich nicht nur die optimale medizinisch-pflegerische Behandlung, sondern auch guten Service etwa durch geringe Wartezeiten anzubieten.“ Der Direktor der Uniklinik räumt allerdings ein, dass auch es auch hier „eine Zeit lang dauern wird, bis der Behandlungsstau abgearbeitet sein wird“.

Uniklinik Essen wirbt um weitere Pflegekräfte

Erschwert wird die Rückkehr in den Normalbetrieb durch die Urlaubszeit sowie durch krankheitsbedingte Personalausfälle, mit denen derzeit bekanntlich auch andere Branchen kämpfen. So könne man nicht durchgängig alle Betten belegen, und müsse tagesaktuell das Angebot einzelner Stationen oder Kliniken einschränken. Angesichts solcher Engpässe dürfte es noch schwieriger sein, die mit Verdi vereinbarten Entlastungen für das Personal umzusetzen.

Während des Streiks forderten die Beschäftigten der Uniklinik Essen auch Neueinstellungen – die soll es nun geben.
Während des Streiks forderten die Beschäftigten der Uniklinik Essen auch Neueinstellungen – die soll es nun geben. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Werner weist darauf hin, dass das hierzu vereinbarte Eckpunktepapier am 5. August präzisiert werden, dann könne man den Personalbedarf genau ermitteln. Greifen soll der Tarifvertrag „Entlastung“ erst zum Jahresbeginn 2023. Angesichts eines leer gefegten Fachkräfte-Markts mag die Uniklinik jedoch keine Zeit verlieren: Schon vor zehn Tagen hat sie die langfristig angelegte Kampagne „Ja ich will“ gestartet, mit der sie ü̈ber digitale wie über klassische Kanäle um neues Personal wirbt, vor allem um Pflegekräfte. Gleichzeitig setze man sich dafür ein, die vorhandenen Kräfte ans Haus zu binden, etwa indem man Fortbildungen anbiete und Belastungssituationen möglichst vermeide.

Mit dem neuen Tarifvertrag biete man die besten Arbeitsbedingungen bundesweit

Die Umsetzung des neuen Tarifvertrags, von dem neben Pflegekräften auch die anderen Beschäftigten am Klinikum profitieren sollen, sieht Prof. Werner dabei als Pluspunkt. Er freue sich, „dass die Uniklinik zukünftig die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für Pflegefachpersonen anbieten wird, die es in Deutschland zurzeit geben kann“.