Essen. In einem Brief an den Innenminister und OB Kufen kritisiert der Landesjugendring die Polizei. Beamte trafen fast zwei Stunden nach Notruf ein.
„Hitler und SS zurück!“, „Ausländer raus!“, „Jetzt töten!“ - Eine etwa 50-köpfige Gruppe mutmaßlich Rechtsextremer soll Mitte Juni vor der Sportsbar 300 in Essen-Steele, der Stammkneipe der Steeler Jungs, diese Nazi-Parolen so lautstark gegrölt haben, dass sie 20 junge Teilnehmer eines Seminars im nahen Kulturzentrum Grend in Angst und Schrecken versetzten.
In ihrer Not riefen die Jugendlichen, von denen die Hälfte „Rassismuserfahrungen“ haben soll, die Polizei. Doch dann passierte erstmals nichts… Es dauerte fast zwei Stunden, bis ein Streifenwagen vor Ort eintraf. In einem offenen Brief an Innenminister Herbert Reul und Oberbürgermeister Thomas Kufen übte der Landesjugendring NRW nun massive Kritik an diesem Einsatz und forderte unter anderem, die „in der Polizei Essen offensichtlich vorhandenen Missstände umgehend abzustellen“.
Auf Nachfrage dieser Zeitung vom Mittwoch reagierte die Behörde an der Büscherstraße am Donnerstag: Das Präsidium bedauere „den Zeitverzug“ und nehme die Vorwürfe „sehr ernst“, heißt es in einer ersten Stellungnahme. Die Behördenleitung werde den Einsatzverlauf durch die betroffenen Dienststellen aufklären lassen, kündigte Polizeisprecher Christoph Wickhorst an.
Die Teilnehmer des Seminars fühlten sich massiv eingeschüchtert
Was bedeutet: Bislang kann die Polizei sich nicht wirklich erklären, warum mit einem solch großen zeitlichen Abstand reagiert wurde auf den Notruf, der nachweislich in der Nacht des 12. Juni um 1.45 Uhr auf der Leitstelle einging. Dass erste Beamte erst um 3.59 Uhr vor Ort waren, sei natürlich nicht hinnehmbar.
Der Landesjugendring als Dachorganisation der Jugendverbände in NRW schildert in seinem Brief eindringlich, wie die Gruppe vor der Sportsbar die jungen Teilnehmer des Wochenendseminars einschüchterte, als sie in Richtung Grend rechtsextreme Parolen grölte: „Vier Teilnehmende, davon drei von Rassismus betroffene Personen, haben dies aus dem Aufenthaltsraum heraus beobachtet und zu filmen versucht. Als sie von den Kneipenbesucher_innen wahrgenommen wurden, wurden sie massiv beschimpft und mit Gebärden wie einer hoch gehaltenen Messerklinge von der Straße aus bedroht.“
Nach dem Notruf habe die Polizei mehrere Streifenwagen ankündigt, die aber nicht erschienen. „Das Warten auf Hilfe, während die Rechtsextremen weiter die Straße bevölkerten und menschenverachtende und bedrohende Parolen skandierten, löste bei den Betroffenen extreme Gefühle von Angst, Ohnmacht und Verzweiflung aus“, heißt es in dem Schreiben an Reul und Kufen. Man habe „keinerlei Aktion von Seiten der Polizei erlebt“.
Die Betroffenen haben keine Strafanzeigen gestellt
Das Seminar wurde frühzeitig abgebrochen und auch Wochen nach den Vorfällen sei „eine intensive Nachbearbeitung erforderlich, insbesondere eine enge Begleitung der betroffenen Jugendlichen“.
Die Polizei sagt in ihrer ersten Stellungnahme, dass der Einsatz als Ruhestörung bewertet worden sei, da „keine Hinweise auf eine Bedrohung“ vorlagen. Die Beamten, die eine Stunde und 44 Minuten nach dem Anruf aus dem Grend vor Ort eintrafen, hätten die Anwesenden zur Ruhe ermahnt. „Hinweise auf rechtsextreme Ausrufe konnten nicht erlangt werden“, so Wickhorst.
Eine Strafanzeige sei von den Betroffenen nicht erstattet worden, dies habe die Polizei nun von Amts wegen nachgeholt - wegen des Verdachts der Bedrohung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Ob es Mitglieder der Steeler Jungs waren, sei nicht klar
Eine zentrale Frage der Landesjugend in dem Brief an Reul und Kufen wartet derweil noch auf eine Antwort - „wie es sein kann, dass die Sportsbar 300 als Treffpunkt der vom Verfassungsschutz beobachteten Steeler Jungs nach all den Jahren und Vorfällen dort noch immer existiert?“
Auch wenn der Verdacht nahe liegen mag: Ob es sich bei den Beschuldigten tatsächlich um Mitglieder der Steeler Jungs handelt, kann die Polizei Essen noch nicht sagen.