Essen. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz will die Stadt präzisere Vorhersagen über Starkregenereignisse treffen – zum Schutz vor Hochwasser.
Das Wetter schlägt mal wieder Kapriolen. Derzeit ist es die Hitze. Vor gut einem Jahr ließ sintflutartiger Regen Bäche und Flüsse über die Ufer treten. Die Folge: das Jahrhunderthochwasser. Wie lassen sich solche Ereignisse präzise vorhersagen, sodass die Rettungskräfte möglichst früh an Ort und Stelle sind und niemand zu Schaden kommt? Mit dieser Frage befasst sich auch Frank Knospe, Leiter des Amtes für Geoinformation, Vermessung und Kataster der Stadt Essen. Eine Antwort könnte die Digitalisierung sein.
Im Juli 2021 hatte der Deutsche Wetterdienst schon Tage zuvor davor gewarnt, dass ein sogenanntes Starkregenereignis drohe. Das Problem: „Vorherzusagen, ob es in Holsterhausen regnen wird oder in Heidhausen, damit tut sich der Wetterdienst schwer“, sagt Frank Knospe.
Was am 14. und 15. Juli geschah, kam im Rückblick Modellrechnungen sehr nahe. Knospe hat Computermodelle verglichen mit Luftaufnahmen, die zwei Tage nach der Katastrophe aufgenommen wurden. Auf Flächen, die vollständig überflutet waren, ist auf den Bildern stellenweise immer noch stehendes Wasser zu sehen, das weder abgeflossen, noch versickert ist. Zum Beispiel auf dem Gelände der Trinkwassergewinnungsanlage in Überruhr. Für Knospe steht fest: „Es war kein 100-jähriges Regenereignis, es war um den Faktor 5 bis 10 stärker.“
Von der Intensität des Starkregens wurden selbst Experten überrascht. Heute wisse man: Als Einfallstor in die Wassergewinnungsanlage in Überruhr erwies sich der S-Bahnhof Überruhr. Von dort kommend, breitete sich die Flut auf dem Gelände aus. Am Deilbach gingen die historischen Hammerschmieden unter, weil sich an Brücken Treibgut verfing, wodurch es zu einem Rückstau kam.
100-jährige Regenereignisse treten inzwischen öfter auf als erwartet
Dass es nicht das letzte Hochwasser gewesen ist, darf als sicher gelten. Sogenannte 100-jährige Regenereignisse treten inzwischen öfter auf als nur einmal in 100 Jahren. Essen könne als Stadt an der Ruhr „nur bedingt damit umgehen“, sagt Knospe.
Im Juli 2014 goss es im Sauerland in Strömen, Talsperren liefen voll. Talsperren sind die wichtigsten Wasserspeicher auch im Falle von Starkregenereignissen. Die Kunst besteht darin, so viel Wasser vorzuhalten, dass die Versorgung mit Trinkwasser jederzeit gewährleistet ist, aber noch genügend Raum zu lassen, um immer noch Wasser aufnehmen zu können, sollte es wie Mitte Juli 2021 in Strömen regnen.
Laut Ruhrverband erfassen die Talsperren nur 23 Prozent des Einzugsgebietes der Ruhr
Damals hatte der Ruhrverband den Pegelstand der Talsperren schon Tage zuvor abgesenkt. Das Problem: Das Einzugsgebiet der Ruhr wird nur zu 23 Prozent über die Talsperren erfasst, wie Verbandssprecher Markus Rüdel betont. Bäche wurden zu reißenden Gewässern. Am Ruhrpegel in Hattingen wurden in der Spitze 1230 Kubikmeter pro Sekunde gemessen; sonst sind es dort 60 bis 70 Kubikmeter. In Werden und Kettwig hieß es: Land unter.
Für die Stadt komme es darauf an, ein Risikomanagement aufzubauen, welches die Einsatzkräfte vor die Lage bringt, betont Knospe. „Je mehr wir wissen, desto präzisere Vorhersagen können wir treffen.“ Dabei geht es nicht nur um neuralgische Stellen wie Brücken, an denen Regen-Wachen postiert werden; diese Stellen dürften seit dem Jahrhunderthochwasser bekannt sein.
Laut Frank Knospe geht es darum, möglichst viele Daten zu sammeln in einem möglichst engmaschigen Netz aus Klimastationen. Ein solches gelte es aufzubauen. Bürger könnten sich daran beteiligen, indem sie Daten eigener Klimastationen online einspeisen.
Ein möglichst enges Netz aus Klimastationen könnte lokale Informationen liefern
Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ließen sich die gesammelten Daten dann mit den Vorhersagen der Wetterdienste abgleichen, um zu erkennen, wann, wo und unter welchen Bedingungen das eingetretene Wetterereignis von der Vorhersage abweicht und daraus sich wiederholende Muster zu erkennen. „Wir reden hier über eine langfristige Strategie“, betont Knospe.
Eine Strategie, die von der Stadtplanung begleitet werden müsste durch einen Stadtumbau, der die Möglichkeit schafft, Wasser besser aufzunehmen. Karten, auf denen sich das Risiko einer Überflutung abschätzen lässt, liegen bereits vor. „Wir haben genug Wissen, dass wir loslegen können“, sagt Knospe.