Essen. Essens Bäume leiden immer stärker unter dem Klimawandel. „Wir behandeln nur die Symptome“, heißt es bei Grün und Gruga.
Der Patient ist krank, die Diagnose bekannt: Auch in Essen leiden die Bäume unter dem Klimawandel. Grün und Gruga hat wieder damit begonnen, bis zu drei Jahre alte Bäume zu wässern. 10.000 Exemplare bekommen alle zehn Tage jeweils 80 bis 100 Liter Wasser, Trinkwasser wohlgemerkt. Jeder Durchgang kostet die Stadt Essen 60.000 Euro. „Vor 2017 mussten wir diesen Aufwand nicht betreiben“, sagt Forstingenieur Norbert Bösken. Danach folgte ein Hitzesommer auf den anderen. Erst das vergangene Sommer verlief vergleichsweise glimpflich. Erholt haben sich die Bäume aber nicht.
Im Gegenteil: Die Prognose lässt Schlimmes erwarten. Bösken verweist auf eine Studie aus Hessen, deren Erkenntnisse sich sehr wohl auf hiesige Breiten übertragen ließen. In dem waldreichen Bundesland seien heute 84 Prozent der Waldböden von guter Qualität. In 20 Jahren wird dies nur noch auf 14 Prozent zutreffen.
Auf den Hügelkuppen im Essener Süden sind die Folgen des Klimawandels nicht mehr zu übersehen. Alte Buchenbestände sterben ab. Norbert Bösken kann zahlreiche Stellen nennen: An der Baldeney, am Schwarze-Lenen-Weg, am Voßnacker Weg… Die Böden sind zu trocken, die Wurzeln finden kein Grundwasser mehr.
Auf alten Industrieflächen haben es Bäume schwer, denn der Boden wird versiegelt
Im Essener Norden, wo die Baumbestände jünger sind, sei die Situation weniger dramatisch. Problematisch sind dort Flächen, die über Jahrzehnte von der Industrie genutzt wurden und auf denen heute Wälder wachsen sollen wie beispielsweise im Krupp-Park. Altlasten wurden versiegelt, Mutterboden aufgeschüttet. Sollen die Bäume überleben, müssen sie gewässert werden, denn ans Grundwasser kommen sie nicht. Ob in 20 oder 30 Jahren im Krupp-Park noch Bäume wachsen? Es wird vom Wassermanagement abhängen.
„Wir behandeln nur die Symptome“, sagt Norbert Bösken. Und natürlich gebe es Baumarten, die mit den sich verändernden klimatischen Bedingungen besser zurecht kommen. Der Haken: „Diese Arten verdunsten kein Wasser“, erläutert Bösken. Die Folge: Die Stadt heizt sich weiter auf.
Grün und Gruga legt das Augenmerk auf die rund 200.000 Bäume, die in Parkanlagen und an Straßen wachsen. Baumbeete werden eingefasst, damit Regenwasser nicht abfließt, sondern langsam versickert. Stämme junger Bäume erhalten einen weißen Schutzanstrich, der das Sonnenlicht reflektiert. Mit Hilfe digitaler Technologien wird erfasst, wie feucht der Boden ist und wie sich Bäume an ihrem Standort entwickeln, um einschreiten zu können, bevor es zu spät ist.
Bei der Essener Ehrenamt-Agentur haben sich 371 „Gießkannen-Helden“ registriert
Auch Bürger helfen mit. 371 ehrenamtliche Helfer haben sich bei der Ehrenamt-Agentur als „Gießkannenhelden“ registriert. Sie gießen Bäume oder sammeln Regenwasser von den Dächern ihrer Häuser oder Garagen in Containern. 350 dieser Behälter hat die Ehrenamt-Agentur in Kooperation mit der Emschergenossenschaft bereits aufgestellt. Weitere sollen folgen.
So wertvoll und lobenswert das ehrenamtliche Engagement auch ist: Gemessen an der Zahl der Bäume, die mit Wasser versorgt werden müssen, ist es nicht mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.
Mittel- und langfristig wird es darum gehen, die Stadt so umzubauen, dass mehr Regenwasser gespeichert werden kann, sagt Bösken. Um für Abkühlung zu sorgen, und auch um Bäume mit dem, was sie so dringend brauchen, versorgen zu können. Bevor es heißt: Der Patient ist tot.