Essen. Die Uniklinik Essen schreibt an ehemalige Patienten und bittet sie um Spenden für ihre Stiftung. Manchen Empfänger setzen die Briefe unter Druck.

Jahr für Jahr wirbt die Stiftung Universitätsmedizin Essen Millionen Euro ein: Damit werden Projekte an der Uniklinik gesponsert – von Kunsttherapie bis Forschungsvorhaben. Auch ehemalige Patienten bittet man um Spenden: „Helfen Sie heilen“, ermuntert sie ein Schreiben, das kurz nach der Entlassung aus der Uniklinik eintrifft. Manchen, der gerade mit der eigenen Heilung gerungen hat, verstört der Bettelbrief.

„Jeder Beitrag zählt und ist willkommen – ob groß oder klein“, schreibt der Ärztliche Direktor der Uniklinik Essen, Prof. Dr. Jochen A. Werner, in einem Brief an ehemalige Patienten.
„Jeder Beitrag zählt und ist willkommen – ob groß oder klein“, schreibt der Ärztliche Direktor der Uniklinik Essen, Prof. Dr. Jochen A. Werner, in einem Brief an ehemalige Patienten. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

„Ich fühlte mich überrumpelt“, sagt etwa Michael Reiter (Name geändert), der wegen einer schweren Krebserkrankung an der Uniklinik behandelt und mehrfach operiert worden war. „Es handelte sich nicht um eine Blinddarm-OP oder etwas von ähnlichem Kaliber, sondern um eine Krebs-Operation mit weitreichenden potenziellen Folgen im Falle des Nichtgelingens.“ Entsprechend sensibel reagierte er auf eine Bitte, die bei ihm den Eindruck erwecke, er müsse für das Gelingen der Behandlung womöglich besondere Dankbarkeit zeigen.

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„Sie wurden in den vergangenen Wochen bei uns behandelt. Ich hoffe, dass es Ihnen wieder besser geht und Sie sich sowohl medizinisch als auch menschlich gut bei uns aufgehoben fühlten. Das Wohl jedes Patienten liegt uns sehr am Herzen“, beginnt der Brief, der die Unterschrift des Ärztlichen Direktors der Uniklinik, Prof. Jochen A. Werner, trägt. Dann lobt der Mediziner das segensreiche Wirken der Stiftung Universitätsmedizin, um zu schließen: „Jeder Beitrag zählt und ist willkommen – ob groß oder klein.“

Der Patient fühlt sich durch die Post der Uniklinik Essen unter Druck gesetzt

Reiter betont, er habe eigentlich kein Problem mit Spendenanfragen, doch die Verknüpfung mit seinem Klinikaufenthalt bereite ihm Unbehagen. Zumal dem Brief eine Broschüre beilag, die glatzköpfige, krebskranke Kinder zeige: Ein schäbiger Versuch, mit dem Leid anderer Mitleid und Spendenbereitschaft zu erzeugen, findet Reiter. „Die Uniklinik nimmt Gewissensbisse von Patienten in Kauf, die das Gefühl nicht loswerden, sie müssten über die von ihrer Krankenversicherung bereits bezahlten Leistungen hinaus in einem gewissen Umfang finanzielle Anerkennung zeigen.“ Dabei sei der Klinik wohl nicht bekannt, wie schwer die Empfänger der Briefe erkrankt waren.

„Die allermeisten Reaktionen sind positiv und werden durch freiwillige Spenden zum Ausdruck gebracht“, sagt der Geschäftsführer der Stiftung Universitätsmedizin Essen, Jorit Ness, über die Briefe an ehemalige Patienten, in denen die Stiftung um Spenden bittet.
„Die allermeisten Reaktionen sind positiv und werden durch freiwillige Spenden zum Ausdruck gebracht“, sagt der Geschäftsführer der Stiftung Universitätsmedizin Essen, Jorit Ness, über die Briefe an ehemalige Patienten, in denen die Stiftung um Spenden bittet. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Gut zehn Jahre ist es her, dass sogar eine verstorbene Patientin um eine Spende für die Stiftung Universitätsmedizin gebeten wurde. Der Witwer war bestürzt, die Uniklinik gelobte, solch schmerzliche Missgriffe künftig zu vermeiden. Doch bis heute versieht sie ihre Post mit der vorauseilenden Entschuldigung: „Leider ist es nicht auszuschließen, dass dieses Schreiben in sehr wenigen, bedauerlichen Fällen an Adressaten verschickt wird, bei denen schwerste Erkrankungen nicht erfolgreich behandelt werden konnten. Für einen solchen Fall möchten wir uns entschuldigen.“

Ohne Einwilligung schreibe man niemanden an, sagt die Stiftung Universitätsmedizin

Die Bettelbriefe würden offenbar wahllos versendet, mutmaßt Patient Reiter. „Die Uniklinik nutzt dazu einen postalischen Zugang, den ich nicht bewusst und freiwillig für Werbezwecke hergegeben habe, wie man das bei vielen Gelegenheiten macht, sondern im Rahmen einer stationären Behandlung.“ Das sei auch datenschutzrechtlich fragwürdig. Das jedoch mag der Geschäftsführer der Stiftung Universitätsmedizin, Jorit Ness, so nicht stehen lassen: „Das Schreiben wird ausschließlich an jene, ehemalige Patienten versandt, die sich bei der Aufnahme in der Einwilligungserklärung zur Verarbeitung personenbezogener und medizinischer Daten schriftlich damit einverstanden erklärt haben, entsprechende Informationen über die Arbeit der Stiftung Universitätsmedizin zu erhalten.“ Die seit 2007 verschickten Briefe gingen nur an erwachsene Patienten, deren Behandlung zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sei.

Hilfe, die über die medizinische Grundversorgung hinausgeht

Die Stiftung Universitätsmedizin Essen ist mit dem Anspruch angetreten, „gemeinsam Gesundheit fördern – über die medizinische Grundversorgung hinaus“. So will sie helfen, wichtige Förderprojekte und wegweisende Ideen an der Uniklinik Essen zu realisieren. Ihr Engagement reicht von Motivbildern für Patientenzimmer über Sporttherapie für krebskranke Kinder bis zur Erforschung seltener Krankheiten.Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine unterstützt die Stiftung das Land und die betroffenen Menschen: Sie hat Hilfstransporte mit medizinischem Material ermöglicht und krebskranke Kinder zur Weiterbehandlung an die Uniklinik Essen geholt. Weitere Infos: www.universitaetsmedizin.de/

„Mag sein, dass ich bei der Patientenaufnahme irgendwo ein Häkchen gemacht oder eben nicht gemacht habe, mit dem das rechtlich abgesichert war“, räumt Reiter ein. Eine persönliche Willensentscheidung sei das auf keinen Fall gewesen: „Bei mir ging es um Krebs mit existenziellen Fragen, da ist man nicht so kühl kalkulierend, dass man an alles denkt.“ Selbst wenn er nur irrtümlich zugestimmt habe, könne der Patient sein Einverständnis „jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen“, teilt Jorit Ness dazu mit.

Mehr als zwei Millionen Euro im Jahr für Projekte zum Wohle des Patienten eingesetzt

Man sehe die Briefe an die Patienten als Teil einer „ganzheitlichen Herangehensweise“ beim Werben um Spenden. Die Stiftung ermögliche damit Projekte, „die über die gesetzliche Finanzierung nicht abgedeckt werden können“ und diene so dem Patientenwohl. Allein 2020 habe sie dafür 2,25 Millionen Euro bereitgestellt. Viele frühere Patienten trügen gern dazu bei, negative Reaktionen auf die Briefe gebe es kaum – im Gegenteil: „Die allermeisten Reaktionen sind positiv und werden durch freiwillige Spenden zum Ausdruck gebracht.“ Keineswegs wolle man Druck auf die Adressaten ausüben: „Spenden sind grundsätzlich immer freiwillig.“

Unter Druck gesetzt fühlt sich Michael Reiter indes schon: Anderthalb Jahre nach dem letzten Uniklinik-Aufenthalt, erhielt er wieder Post: „Ihre Spende hilft heilen. Ob zehn, 50 oder 100 Euro.“